Walter Benjamin: Die frühromantische Kunsttheorie und Goethe
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Walter Benjamin
Die frühromantische Kunsttheorie und Goethe
(Auszug)
Die
Kunsttheorie der Frühromantiker und die Goethes sind in den Prinzipien einander
entgegengesetzt. Und zwar erweitert das Studium dieses Gegensatzes ungemein die
Kenntnis der Geschichte des Begriffs der Kunstkritik. Denn dieser Gegensatz
bedeutet zugleich das kritische Stadium dieser Geschichte: in der
problemgeschichtlichen Beziehung, in welcher der Kritikbegriff der Romantiker
zu demjenigen Goethes steht, tritt unmittelbar das reine Problem der
Kunstkritik an den Tag. Der Begriff der Kunstkritik selbst aber steht in einer
eindeutigen Abhängigkeit vom Zentrum der Kunstphilosophie. Diese Abhängigkeit
formuliert sich am schärfsten im Problem der Kritisierbarkeit des Kunstwerks.
Ob diese geleugnet, ob sie behauptet wird, ist durchaus von den philosophischen
Grundbegriffen abhängig, welche die Kunsttheorie fundieren. Die ganze
kunstphilosophische Arbeit der Frühromantiker kann also dahin zusammengefaßt
werden, daß sie die Kritisierbarkeit des Kunstwerks prinzipiell nachzuweisen
gesucht haben. Die ganze Kunsttheorie Goethes steht hinter seiner Anschauung
von der Unkritisierbarkeit der Werke. Nicht als ob er diese Ansicht anders als
gelegentlich betont, nicht als ob er keine Kritiken geschrieben hätte. Er war
an der begrifflichen Ausführung dieser Anschauung nicht interessiert, und noch
in seiner spätern Zeit, die hier vor allem in Betracht kommt, hat er nicht
wenige Kritiken verfaßt. Aber man wird in vielen unter ihnen eine gewisse
ironische Zurückhaltung, nicht nur dem Werk, sondern auch dem eignen Geschäft
gegenüber finden, und jedenfalls war die Absicht dieser Kritiken nur exoterisch
und pädagogisch.
(In: Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik (Diss.), Teil 2, Die Kunstkritik, 1919)
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