Thomas Gsella: Ich zahl's euch reim
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Stefan Hölscher
Thomas
Gsella: Ich zahl’s euch reim. Neue politische Gedichte. München (Verlag Antje
Kunstmann) 2021. 234 Seiten. 18,00 Euro.
Ich bin
cis und hetero und deutsch und alt und dick und so
In einer Zeit, in der um Themen wie Inklusion,
erst recht aber die grammatisch explizite Berücksichtigung aller sexuellen
Orientierungs- und Geschlechtsvarianten heftige Kämpfe ausgetragen werden, um
ja kein*e unberücksichtigt zu lassen, ist es auf der anderen Seite auch
problemlos möglich, ganze Populationen von Leuten, die zu sehr anders ticken
als man selbst, dadurch komplett zu exkludieren, dass man sie einfach gar nicht
wahrnimmt - als gäbe es sie nicht. So werden in den Reihen derer, die sich intensiver
mit sogenannter Gegenwartslyrik beschäftigen, Leute, die sogenannte komische
Lyrik produzieren, gerne ebenso konsequent ignoriert, wie das auch umgekehrt und
kongenial die komischen Lyriker*innen mit den Gegenwartslyriker*innen tun. So kann
man denn auch als Mensch mit zumindest selbst erkannter geistiger Größe komfortabel
in der eigenen Blase weiterschwimmen und muss sich nicht allzu sehr mit dissonanzerzeugenden
Alternativansätzen herumplagen, die auftauchen könnten, wenn man zu
interessiert über den Zaun des eigenen Gärtchens hinausschaut und auf
Entdeckungs-blickreise geht. Da könnte einem dann zum Beispiel ein Buch
begegnen, das schon vom Titel her wie eine Provokation für die feinen Nerven avantgardistischer
Lyriker*innen erscheinen muss, nämlich: „ICH ZAHL’S EUCH REIM“, „Neue
politische Gedichte“ von Thomas Gsella.
Nun ist Gsella ja alles
andere als eine Neuentdeckung; vielmehr stellt er eine Art Markenzeichen der
komischen Lyrik nach Robert Gernhardt im deutschsprachigen Raum dar.
Nichtsdesto-trotz oder gerade deswegen hat es bis heute keines seiner Gedichte
in das sogenannte „Jahrbuch der deutschen Lyrik“ geschafft, vielleicht weil man
dort lyrischen Geistesblitz und Witz, wenn sie zu ungeschwurbelt um die Ecke kommen,
apriori unter Trivialitäts- oder Gegenwartsnichtadäquatheitsverdacht stellt.
Insbesondere wenn die Texte auch noch notorisch mit fester Strophenform und
Endreim daherkommen; und genau das tun die Gedichte von Gsella in guter alter
Tradition der komischen Lyrik. Und sie tun es faktisch alle auch in Gsellas neuem
Buch.
Der bereits im
Spätsommer 2021 im Kunstmann Verlag erschienene Band „ICH ZAHL’S EUCH REIM“
wartet mit fast 200 gereimten Gedichten auf, die sich auf die Kapitel „Menschen
und Dinge“, „Tiere und Viren“ sowie „Orte und Zeiten“ verteilen. Einige der
Texte, und das ist vielleicht ein Novum bei Gsella, wollen gar nicht komisch
sein. Sie kommen zwar ebenfalls in Strophenform, klarer Sprache und Endreim
daher, gehen ihr politisches Thema aber ernst an. Die meisten der Texte sind
aber komisch. Natürlich nicht alle in gleicher Weise. Manche bewegen sich recht
stark im Rahmen des Erwartbaren oder Kalauerhaften, was angesichts der Vielzahl
der Texte vielleicht auch nicht verwunderlich ist. Viele der Gedichte sind aber
nicht nur auf intelligente und kritische Weise witzig, sondern trotz der traditionellen
Form sprachlich frisch und unverbraucht. Hier zeigt sich die Kunst von Gsella,
die sicher allen Lesenden, die nicht völlig spaßbefreit sind, anregend komische
Lektüreerlebnisse bescheren kann, zum Beispiel zum Thema Spam:
SPAMJede SPAM-Mail ein Verbrechen,Sagt der Fachmann. Harte Kost!Und ich möchte widersprechen,Denn ich liebe schöne Post.Und der Schleim aus Müll und LügeOffenbart sehr schön gerafftSinn, Zweck, Mittel und GefügeKapitaler Marktwirtschaft:Dreck verhökern, Opfer schröpfen,Räubern, wo sich räubern lässt,Letztes Geld der Welt abschöpfen –Jede SPAM ein Manifest.
Oder zum Thema der gleichermaßen
unhinterfragten wie unverrückbaren eigenen Meinung:
MEINE MEINUNGIch weiß nicht viel, jedoch genug,So ist mein Wissensdurst gestillt.Ich bin gefeit vor Lug und Trug:Ich bin im Bild.Und immer wieder hinzusehn,Ist Unsinn und vertane Zeit.Ich muss nicht in die Tiefe gehn:Ich weiß Bescheid.
Und werde ich auch ausgelacht,Und ist mein Argument auch schlechtUnd deines gut und klug bedacht:Ich habe recht.
Viele der Gedichte von Gsella haben einen
aktuellen Bezug. Sie beziehen sich auf Corona, auf die Bundestagswahl, auf die
Parteien, auf das Geschehen in der Wirtschaft oder auf den Umgang mit
Flüchtlingen. Durchzogen sind sie vom Geist des solidarischen Eintretens für
die Armen, Unterdrückten und Im-Stich-Gelassenen und von der beißenden Kritik
an den selbstgefällig Mächtigen. Gsella, der sich vermutlich als politisch
links bezeichnen würde, bleibt sich dabei auf jeden Fall absolut treu.
Inwieweit die Texte hier von der Sache her greifen, werden verschiedene Lesende
bei verschiedenen Texten sicher recht unterschiedlich beurteilen. Für mich gibt
es Highlights der politischen Zuspitzung, wie etwa diesen:
DIE CORONA-LEHREQuarantänehäuser sprießen,Ärzte, Betten überall,Forscher forschen, Gelder fließen –Politik mit Überschall.Also hat sie klargestellt:Wenn sie will, dann kann die Welt.Also will sie nicht beendenDas Krepieren in den Kriegen,Das Verrecken vor den SträndenUnd dass Kinder schreiend liegenIn den Zelten, zitternd, nass.Also will sie. Alles das.
Und es gibt für mich Lowlights, wo ein bestens
konserviertes Alt-68-iger Weltbild die Welt krude und fernab der
Berücksichtigung irgendwelcher Systemzusammenhänge in Gut und Böse einteilt,
wobei das Böse, das natürlich immer rechts liegt, schon mit Referenz auf „CDU“,
„FDP“, „Konzern“ oder „Mittelstand“ ganz generell bezeichnet wird, wie dieser
Gedichtauszug zu illustrieren vermag:
OFFENER BRIEF AN DEN MITTELSTAND…Mittelstand, Mittelstand!Mit der CDU verwandt,Mit dem Lindner Hand in Hand,Allen Unglücks Unterpfand:Immer strengst konservativ,Lobbyistisch explosivOffensiv, ja aggressiv,Deomarke: Muff & Mief –Mittelstand! Mittelstand!Stündlich kommst du angerannt!Von der Tagesschau genannt,Doofer Presse bestbekannt,Nervlich immer angespannt,Immer zorn- und wutentbrannt,Von dir selber wie verranntÜberzeugt und übermannt…
Dass der Grat zwischen satirischer Pointierung
und ideologischer Simplifizierung schmal ist, machen Texte wie dieser, der mir
selbst ein wenig „aggressiv“ und mit „Deomarke Muff & Mief“ erscheint,
deutlich. Interessanter und luftiger wird es da, wo der Humor wieder spielerischer
wird, selbst wenn die politische Haltung, die dahintersteckt, wohl nicht
weniger festzementiert sein dürfte:
DER FDP-WÄHLERSie weiß es immer noch genau.Sie hatte, so erzählt die Frau,Mal eine Freundin, deren SohnVor vielen vielen Jahren schonGelesen hatte, dass ein MannErst einer Metzgerin und dannDem Pfarrer anvertraute, dass –Denn derlei sei ja halt kein Spaß –Er jemand kenne, einen Fritz,Der habe, nein, das sei kein Witz,Erschrocken und zutiefst verstörtVon einem namens Jens gehört,Der habe, sagt die Frau gequält,Schon einmal FDP gewählt.
Erfrischend fand ich, dass sich in dem Buch
auch Gedichte finden, die mal in ganz andere Richtung als bezogen auf die
üblichen Verdächtigen satirisch und auch nicht zu knapp selbstironisch
austeilen, so wie dieses:
WER DARF MICH ÜBERSETZEN?Amanda Gorman trug was vor,Die Welt sah zu und war ganz Ohr.Doch wollt’s wer übersetzen,Die war nicht jung und war nicht schwarzUnd überhaupt. Die Welt verbat’s:Dies würd das Werk verletzen.Ihr Übersetzer*innen all:Ganz anders liegt bei mir der Fall!Meins könnt ihr gerne nehmen!Auch wenn’s im Groben passen muss:Ich fress kein Knoblauch, bin kein Russ,Mein Haar muss ich nicht zähmen,
Denn kahl erstrahlt mein WeißgesichtSo rund als wie mein Augenlicht –Wer könnt es also machen?Der Gelbe nicht, der Rote nicht,Der Franke und der Gote nichtUnd keine Schwulkasachen,Denn ich bin cis und heteroUnd deutsch und alt und dick und so,Da passt kein Jungtransdäne;Auch keine dünne Käsköppin,Nix lesbische Chineserin,Kein Bipolarrumäne…
Viele der Texte in „ICH ZAHL’S EUCH REIM“ bieten
Gsella vom Feinsten: direkt, bissig, witzig, vital und wunderbar auf den Punkt.
Dass das dann nicht kompliziert zu lesen ist, mag man als fundamentale Schwäche
sehen. Ich sehe es als Stärke und mag es, selbst wenn ich politisch manches ein
wenig anders einschätze als der Autor.