Leo Trotzki: Stalin. Sechstes Kapitel: Krieg und Verbannung
Portraits
Leo Trotzki
Lev Dawidowitsch Bronstein
Stalin
Eine Biographie
(Übersetzung N. N.)
Sechstes Kapitel.
Krieg und Verbannung
Auf der
Straße einen Mann sitzen sehend, der wunderliche Gesten vollführte, entschied
Leo Tolstoi, daß er einen Verrückten vor sich habe; er näherte sich ihm und
mußte feststellen, daß der Mann ein nützliches Werk verrichtete – er schliff
ein Messer an einem Stein.
Lenin
zitierte dieses Beispiel gern. Die unaufhörlichen Diskussionen, die
Fraktionskämpfe, die Spaltungen zwischen Bolschewiki und Menschewiki, der
Meinungsstreit und die Spaltungen innerhalb der bolschewistischen Fraktion
selbst, erschienen dem Außenstehenden als wunderliches Gehabe. Der Prüfstein
der Ereignisse bewies, daß diese Leute ein nützliches Werk verrichteten. Der
Streit ging keineswegs um scholastische Subtilitäten, wie Dilettanten glauben
mochten, sondern um die grundlegenden Fragen der revolutionären Bewegung.
Nur Lenin
und seine Anhänger, die ihre Ideen sorgfältig definiert und die politischen
Demarkationslinien klar abgesteckt hatten, standen dem neuen Aufstieg
vorbereitet gegenüber. Daher die Reihe von Erfolgen, die den »Prawdisten« in
kurzer Zeit das völlige Übergewicht in der Arbeiterbewegung sicherten. Die alte
Generation hatte sich in ihrer Mehrheit in den Jahren der Reaktion vom Kampf
zurückgezogen. »Lenin hat nur kleine Jungens«, pflegten die Liquidatoren
verächtlich zu sagen. Lenin sah darin den großen Vorzug seiner Partei. Die
Revolution, wie der Krieg, legt der Jugend die schwerste Bürde auf die
Schultern. Eine sozialistische Partei, die unfähig ist, die »Jungens« für sich
zu gewinnen, hat nichts zu erhoffen.
Die
zaristische Polizei, die den revolutionären Parteien von Angesicht zu Angesicht
gegenüberstand, sparte in ihrer Geheimkorrespondenz nicht mit schmeichelhaften
Bemerkungen über die Bolschewiki. »Während der letzten zehn Jahre«, schrieb der
Leiter der Geheimpolizei im Jahre 1913, »sind das energischste und mutigste
Element, das imstande ist, einen unablässigen Kampf zu führen, sich dauernd zu
organisieren und Widerstand zu leisten ... die Organisationen und Leute gewesen,
die sich um Lenin herum gruppieren ... Das Herz und die Seele aller
einigermaßen bedeutenden Unternehmungen der Partei ist der dauernd
organisierende Lenin ... Die Fraktion der Leninisten ist immer besser
organisiert als die anderen, stärker in ihrer Einmütigkeit, erfindungsreicher
in der Propaganda ihrer Ideen unter den Arbeitern ... Wenn sich in den
vergangenen zwei Jahren die Arbeiterbewegung verstärkt hat, so war Lenin mit
seinen Anhängern den Arbeitern immer näher als andere, und er war der Erste,
der rein revolutionäre Losungen proklamiert hat ... Heute gibt es in allen
Städten bolschewistische Zirkel, Zellen und Organisationen. Ständige
Korrespondenz und Fühlungnahme sind mit fast allen Industriezentren hergestellt
worden. Das Zentralkomitee arbeitet ziemlich regelmäßig und ist ganz in Händen
Lenins ... Das Gesagte zeigt, daß es nicht erstaunlich ist, wenn sich heute
tatsächlich die Sammlung der ganzen geheimen Partei um die bolschewistischen
Organisationen herum vollzieht und daß in Wirklichkeit diese die russische
sozialdemokratische Arbeiterpartei darstellen.« Da ist fast nichts
hinzuzufügen.
Die Briefe
des ausländischen Hauptquartiers gewinnen eine neue optimistische Färbung. Die
Krupskaja schreibt Anfang 1913 an Schklowsky: »Alle Verbindungen sind jetzt
ganz anders als früher. Man fühlt jetzt viel besser, daß man es mit
Gesinnungsgenossen zu tun hat ... Die bolschewistische Sache steht besser denn
je.« Die Liquidatoren, die sich ob ihres Realismus brüsteten und gestern noch
erklärt hatten, daß Lenin der Führer einer dekadenten Sekte sei, sahen sich
plötzlich isoliert und beiseite geschoben. Von Krakau aus verfolgt Lenin
unermüdlich das Auftreten der Arbeiterbewegung, registriert und klassifiziert
alle Ereignisse, die ihm erlauben, den Pulsschlag des Proletariats zu
verfolgen. Nach in Krakau angestellten minutiösen Berechnungen über die
Geldsammlungen für die Arbeiterpresse ergibt sich, daß in Petersburg 86 %
der Arbeiterleser auf Seiten der »Prawda« stehen und nur 14 % auf Seiten der
Liquidatoren; in Moskau ist das Verhältnis fast dasselbe; in der
rückständigeren Provinz ist die Stellung der Liquidatoren etwas günstiger, aber
im ganzen stehen vier Fünftel der fortgeschrittenen Arbeiter zur »Prawda«.
Welchen Wert konnten abstrakte Aufrufe zur Einheit der Fraktionen und Tendenzen
besitzen, wenn die richtige Politik gegenüber den »Fraktionen und Tendenzen«
imstande gewesen war, in drei Jahren die überwältigende Mehrheit der
fortgeschrittenen Arbeiter um den Bolschewismus zu sammeln? Bei den Wahlen zur
Vierten Duma, wo es sich nicht mehr nur um die Sozialdemokraten handelte,
sondern um alle Wähler überhaupt sprachen sich 67 %
der Stimmen der Arbeitervertretung für die Bolschewiki aus. Bei dem Konflikt
zwischen beiden Teilen der Petersburger Dumafraktion erhielten die Bolschewiki
fünftausend Stimmen und die Menschewiki nur sechshunderteinundzwanzig. In der
Hauptstadt wurden die Liquidatoren völlig geschlagen. In der
Gewerkschaftsbewegung dasselbe Verhältnis: von den dreizehn Moskauer
Gewerkschaften ging nicht eine mit den Liquidatoren; von den zwanzig
Petersburger Gewerkschaften befanden sich nur vier, die unbedeutendsten und am
wenigsten proletarischen, in den Händen der Menschewiki. Anfang 1914, bei den
Wahlen der Arbeitervertreter zu den Krankenversicherungskassen, errangen die
Listen der »Prawda«- Anhänger in Petersburg einen vollständigen Sieg. Alle dem
Bolschewismus feindlichen Gruppen – Liquidatoren, »Zurückrufer«, Versöhnler
aller Art – waren absolut unfähig, in der Arbeiterklasse Wurzel zu fassen.
Lenin zog daraus folgende Schlußfolgerung: »Nur im Kampf gegen diese Gruppen
kann die wirkliche sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands geschmiedet
werden.«
Im Frühjahr
1914 besuchte Emil Vandervelde, damals Vorsitzender der Zweiten Internationale,
Petersburg, um die Fraktionskämpfe innerhalb der dortigen Arbeiterbewegung aus
nächster Nähe kennenzulernen. Der opportunistische Skeptiker legte an die
Streitigkeiten unter den russischen Barbaren den Maßstab des belgischen
Parlamentarismus an. Die Menschewiki, verkündete er nach seiner Rückkunft,
wollen sich legal organisieren und verlangen das Koalitionsrecht; die
Bolschewiki wollen die sofortige Proklamierung der Republik und die
Landaufteilung. Solche Unstimmigkeiten fand er »reichlich kindisch«. Lenin
konnte über all das nur bitter lächeln. Bald traten Ereignisse ein, die
Menschen und Ideen in unanzweifelbarer Weise auf die Probe stellten. Die
»kindischen« Meinungsverschiedenheiten zwischen Marxisten und Opportunisten
griffen nach und nach auf die Arbeiterbewegung der ganzen Welt über.
»Ein Krieg
zwischen Österreich und Rußland«, schrieb Lenin Anfang 1913 an Gorki, »wäre für
die Revolution sehr nützlich (in ganz Osteuropa); es ist aber wenig
wahrscheinlich, daß uns Franz Josef und Väterchen Nikolaus dieses Vergnügen
machen werden.« Sie taten es aber, wenn auch erst anderthalb Jahre später.
In der
Zwischenzeit hatte die wirtschaftliche Konjunktur schon ihren Zenit
überschritten. Die ersten unterirdischen Krisenstöße machten
sich bemerkbar. Sie brachten aber die Streikkämpfe nicht zum Stillstand. Im
Gegenteil, sie verliehen ihnen einen aggressiveren Charakter. Kaum etwas über
sechs Monate vor Ausbruch des Krieges wurden fast einundeinehalbe Million
Streikende gezählt. Das letzte große Aufflammen fand am Vorabend der
Mobilmachung statt. Am 3. Juli schoß die Polizei in Petersburg auf eine Gruppe
von Arbeitern. Auf einen Aufruf des bolschewistischen Parteikomitees hin
stellten die größten Fabriken zum Zeichen des Protestes die Arbeit ein. Die
Zahl der Streikenden stieg auf zweihunderttausend Mann an. Überall fanden
Versammlungen und Demonstrationen statt. Es wurden Versuche gemacht, Barrikaden
zu errichten. Mitten im Feuer der Ereignisse, die sich in der in ein Heerlager
verwandelten Hauptstadt abspielten, traf der französische Präsident Poincaré zu
letzten Besprechungen mit seinem gekrönten »Freunde« ein – so hatte er
Gelegenheit, einen Blick in das Laboratorium der russischen Revolution zu tun.
Einige Tage später jedoch nützte die Regierung die Kriegserklärung aus, um die
Organisationen und die Presse der Arbeiterschaft von der Erdoberfläche
hinwegzuwischen. Das erste Opfer war die »Prawda«. Die zaristische Regierung
hatte die glänzende Idee, mit Hilfe des Krieges die Revolution zu ersticken.
Die
Behauptung einiger Biographen, daß Stalin der Urheber der Theorie des
»Defätismus« oder der Formel von der »Umwandlung des imperialistischen Krieges
in den Bürgerkrieg« gewesen sei, ist eine reine Erfindung und heißt den
intellektuellen und politischen Charakter Stalins völlig verkennen. Mehr als
alles andere fehlen ihm Erfindungsgabe und theoretische Kühnheit. Niemals hat
er etwas vorweggenommen, niemals ist er vorausgegangen. Empiriker, schrak er
vor den Schlußfolgerungen a priori zurück und maß den Stoff zehnmal,
bevor er ihn zuschnitt. In diesem Revolutionär stak immer ein konservativer
Bürokrat. Die Zweite Internationale war ein mächtiger Apparat. Niemals wäre
Stalin aus eigener Initiative heraus dazu übergegangen, mit ihr zu brechen. Die
Herausarbeitung der bolschewistischen Kriegsdoktrin war ganz und gar Lenins
Werk. Stalin hat nicht ein einziges Wort dazu beigetragen, ebensowenig wie zur
Doktrin der Revolution. Es ist aber für eine Beurteilung von Stalins Verhalten
während der Jahre der Verbannung und besonders während der kritischen Wochen,
die unmittelbar auf die Februarrevolution folgten, sowie seines späteren
Bruches mit allen Grundsätzen des Bolschewismus
unerläßlich, kurz das System der Auffassungen zu skizzieren, die Lenin zu
Anfang des Krieges ausgearbeitet hatte und für die er nach und nach seine
Partei gewann.
Die
Hauptfrage, die die europäische Katastrophe stellte, war, ob die Sozialisten
die »Verteidigung des Vaterlandes« auf sich nehmen sollten. Die Frage war
nicht, ob ein Sozialist seine Pflicht als Soldat erfüllen sollte oder nicht:
ihm blieb nichts anderes übrig; Fahnenflucht ist keine revolutionäre Politik.
Die Frage lautete vielmehr, ob eine sozialistische Partei den Krieg politisch
unterstützen sollte, ob sie für das Militärbudget stimmen, ihren Kampf gegen
die Regierung einstellen, Propaganda für die »Vaterlandsverteidigung« machen
sollte. Lenin antwortete: nein, das darf sie nicht tun, dazu hat sie nicht das
Recht, nicht weil Krieg ist, sondern weil es sich um einen reaktionären
Krieg handelt, ein von Sklaventreibern veranstaltetes blutiges Schlachten zur
Aufteilung der Welt.
Die Bildung
von Nationalstaaten auf dem europäischen Kontinent füllt eine Epoche, die
ungefähr mit der großen französischen Revolution begann und mit dem Versailler
Frieden von 1871 endete. Während dieser Zeit hatten die Kriege für die
Schaffung oder Verteidigung eines Nationalstaates, der die notwendige
Vorbedingung für die Entwicklung der Produktivkräfte und der Kultur war, einen
geschichtlich fortschrittlichen Charakter. Revolutionäre konnten nicht nur,
sondern hatten sogar die Pflicht, diese nationalen Kriege politisch zu
unterstützen. Der europäische Kapitalismus, der seine höchste Entfaltung auf
der Grundlage der Nationalstaaten erreicht hatte, überlebte sich selbst in der Zeit
von 1871 bis 1914 und verwandelte sich in monopolistischen oder
imperialistischen Kapitalismus. »Der Imperialismus ist das Stadium des
Kapitalismus, wo er, nachdem er alle Aufgaben erfüllt hat, die er erfüllen
kann, zu verfallen beginnt.« Die Ursache dieses Verfalls liegt darin, daß der
Rahmen des Privateigentums und die Grenzen des nationalen Staates für die
Produktivkräfte in zunehmendem Maße zu eng werden. Auf der Suche nach einem
Ausweg will der Imperialismus die Welt aufteilen und wieder aufteilen. Auf die
nationalen Kriege folgen die imperialistischen Kriege. Sie sind von vollständig
reaktionärer Art, sie reflektieren eine geschichtliche Sackgasse, die
Stagnation, den Verfall des Monopolkapitalismus.
Der
Imperialismus kann nur existieren, weil es auf unserem Planeten koloniale und
halbkoloniale Länder gibt. Der Kampf dieser unterdrückten
Völker für ihre Einheit und Unabhängigkeit hat einen doppelt fortschrittlichen
Charakter, denn einerseits bereitet er günstigere Bedingungen für die
Entwicklung dieser Völker selbst vor und andererseits versetzt er dem
Imperialismus Schläge. Daraus folgt besonders, daß in einem Kriege zwischen
einer zivilisierten, imperialistischen demokratischen Republik und der
barbarischen, rückständigen Monarchie eines Koloniallandes die Sozialisten
gänzlich auf Seiten des unterdrückten Landes stehen, trotz seiner Monarchie,
und daß sie gegen das unterdrückende Land sind, trotz dessen »Demokratie«.
Der
Imperialismus versteckt seine räuberischen Ziele – das Einheimsen von Kolonien,
Absatzmärkten, Rohstoffquellen, Einflußgebieten – hinter solchen Ideen wie
»Schutz des Friedens vor Angreifern«, »Vaterlandsverteidigung«, »Verteidigung
der Demokratie« usw. Diese Ideen sind vollständig falsch. »Die Frage, ob die
eine oder die andere Gruppe den ersten Schuß abgefeuert oder den Krieg erklärt
hat«, schrieb Lenin im März 1915, »hat überhaupt keine Bedeutung für die
Festlegung der Taktik der Sozialisten. Die Phrasen über die
Vaterlandsverteidigung, über den Widerstand gegen die feindliche Invasion, über
den Verteidigungskrieg usw. werden von beiden Seiten nur angewandt, um das Volk
irrezuführen.« »Jahrzehntelang«, erklärte Lenin, »haben sich drei Räuber (die
Bourgeoisie und die Regierungen Englands, Rußlands und Frankreichs) bewaffnet,
um über Deutschland herzufallen. Ist es erstaunlich, daß zwei andere Räuber
angegriffen haben, bevor die drei die neuen Messer geliefert bekommen, die sie
bestellt hatten?« Was für das Proletariat entscheidend ist, das ist einzig und
allein die objektive historische Bedeutung des Krieges: welche Klasse führt ihn
und mit welchem Ziel ? – nicht aber die Schliche der Diplomatie, die es immer
versteht, den Feind als den Angreifer hinzustellen.
Ebenso
falsch ist es, wenn sich die Imperialisten auf die Bewahrung der Demokratie und
der Kultur berufen. »Die deutsche Bourgeoisie ... täuscht die Arbeiterklasse
und die werktätigen Massen, wenn sie vorgibt, daß sie den Krieg führt ... für
die Befreiung der vom Zarismus unterdrückten Volker... Die englische und
französische Bourgeoisie ... täuscht die Arbeiterklasse, wenn sie behauptet,
daß sie den Krieg führt ... gegen den Militarismus und Despotismus
Deutschlands.« Irgendeine Staatsform kann an der reaktionären, ökonomischen
Basis des Imperialismus nichts ändern. Der Charakter eines Krieges wird aber ganz von dieser Basis bestimmt. »In unserer Zeit ... ist
der bloße Gedanke einer fortschrittlichen Bourgeoisie, einer fortschrittlichen
bürgerlichen Bewegung, lächerlich. Die alte bürgerliche ›Demokratie‹ ... ist
reaktionär geworden.« Diese Einschätzung der imperialistischen »Demokratie«
bildet den Eckstein der ganzen Konzeption Lenins.
Da der Krieg
von keinem der beiden Lager für die Verteidigung des Vaterlands, der Demokratie
und der Kultur geführt wird, sondern für die Neuaufteilung der Welt und die
Versklavung der Kolonien, hat ein Sozialist nicht das Recht, eins der
imperialistischen Lager dem anderen vorzuziehen. Völlig vergeblich wäre der
Versuch, »vom Gesichtspunkt des internationalen Proletariats aus festzustellen,
welche diejenige der beiden Gruppen kriegführender Nationen sei, deren
Niederlage für den Sozialismus das geringere Übel wäre«. Im Namen des
sogenannten »kleineren Übels« die politische Unabhängigkeit des Proletariats
aufopfern hieße, die Zukunft der Menschheit verraten.
Die Politik
des »Burgfriedens« bedeutet im Kriege noch mehr als in Friedenszeiten die
Unterstützung der Reaktion und die Verewigung der imperialistischen Barbarei.
Wenn es auch die elementare Pflicht eines jeden Sozialisten ist, diese
Unterstützung zu verweigern, so ist dies doch nur erst die negative oder
passive Seite des Internationalismus. Sie allein genügt nicht. Aufgabe der
Partei des Proletariats ist »eine allseitige Propaganda, die sich auch auf die
Armee und die Kriegsschauplätze ausdehnt, für die sozialistische Revolution und
für die Notwendigkeit, die Gewehre nicht gegen die eigenen Brüder, die
gedungenen Sklaven anderer Länder zu richten, sondern gegen die reaktionären
und bürgerlichen Regierungen und Parteien aller Länder«.
Aber der
revolutionäre Kampf während des Krieges kann die Niederlage der eigenen
Regierung mit sich bringen! Diese Folgerung schreckt Lenin nicht. »In keinem
Lande darf der Kampf gegen die Regierung, die einen imperialistischen Krieg
führt, haltmachen, weil die Möglichkeit einer Niederlage dieses Landes infolge
der revolutionären Agitation besteht.« Hierin liegt das Wesen der sogenannten
Theorie des »Defätismus«. Skrupellose Gegner haben versucht, das so zu
interpretieren, als ob Lenin die Zusammenarbeit der Internationalisten mit dem
ausländischen Imperialismus gutgeheißen hätte, um die Reaktion im eigenen Lande
zu besiegen. In Wirklichkeit handelte es sich um einen gemeinsamen Kampf des
Weltproletariats gegen den Weltimperialismus durch den
gleichzeitigen Kampf des Proletariats jedes Landes gegen seinen eigenen
Imperialismus als den unmittelbaren und Hauptfeind. »Für uns Russen«, schrieb
Lenin im Oktober 1914 an Schljapnikow, »kann es vom Standpunkt der Interessen
der werktätigen Massen und der Arbeiterklasse Rußlands aus gesehen nicht den
geringsten Zweifel geben, absolut keinen Zweifel, daß das kleinere Übel jetzt
und unmittelbar die Niederlage des Zarismus in dem augenblicklichen Kriege
wäre.«
Es ist
unmöglich, gegen den imperialistischen Krieg zu kämpfen, indem man in der Art
der Pazifisten nach dem Frieden seufzt. »Eine der Arten, die Arbeiterklasse zu
täuschen, ist der Pazifismus und das abstrakte Predigen des Friedens. Unter dem
Kapitalismus, und besonders in seinem imperialistischen Stadium, sind Kriege
unvermeidlich.« Ein von Imperialisten geschlossener Friede ist nur eine Pause
vor einem neuen Krieg. Nur der revolutionäre Kampf der Massen gegen den Krieg
und gegen den Imperialismus, der den Krieg hervorruft, kann einen wirklichen
Frieden sichern. »Ohne eine Reihe von Revolutionen ist der sogenannte
demokratische Friede eine philisterhafte Utopie.«
Der Kampf
gegen die pazifistischen Illusionen ist eins der wichtigsten Elemente in Lenins
Doktrin. Mit ganz besonderem Abscheu weist er die Forderung nach »Abrüstung« zurück,
als offenkundig utopisch unter dem Kapitalismus und nur dazu geeignet, das
Denken der Arbeiter von der Notwendigkeit abzulenken, sich selbst zu bewaffnen.
»Eine unterdrückte Klasse, die nicht alle Anstrengungen macht zu lernen, mit
der Waffe umzugehen und Waffen zu besitzen, solch eine unterdrückte Klasse
verdient nur, als Sklavin behandelt zu werden.« Und weiter: »Unsere Losung muß
sein: Bewaffnung des Proletariats, um über die Bourgeoisie zu siegen, sie zu
enteignen und sie zu entwaffnen... Nur nachdem das Proletariat die Bourgeoisie
entwaffnet haben wird, kann es alle Waffen zum alten Eisen werfen, ohne seine
weltumfassende geschichtliche Aufgabe zu verraten.« Lenin weist die bloße
Losung »Frieden« zurück und stellt ihr die der »Umwandlung des imperialistischen
Krieges in den Bürgerkrieg« entgegen.
Die meisten
Führer der Arbeiterparteien befanden sich während des Krieges auf der Seite
ihrer Bourgeoisie. Lenin taufte diese Tendenz »Sozialchauvinismus«: Sozialismus
in Worten, Chauvinismus in den Taten. Der Verrat am Internationalismus fiel aber nicht vom Himmel, sondern war die unvermeidliche
Entwicklung und Fortsetzung der Politik der reformistischen Anpassung an den
kapitalistischen Staat. »Der Opportunismus und der Sozialchauvinismus enthalten
dieselben politischen Ideen: Klassenzusammenarbeit an Stelle von Klassenkampf,
Verzicht auf revolutionäre Kampfmittel, Unterstützung der ›eigenen‹ Regierung,
wenn sich diese in einer schwierigen Situation befindet, an Stelle des
Ausnützens dieser Schwierigkeiten für die Revolution.«
Die letzte
Periode kapitalistischer Prosperität vor dem Kriege (1909–1913) trug dazu bei,
die proletarische Oberschicht mit besonders festen Banden an den Imperialismus
zu knüpfen. Aus dem Überprofit, den die Bourgeoisie in den Kolonien und
überhaupt in den zurückgebliebenen Ländern machte, fiel so mancher fette Happen
für die Arbeiteraristokratie und die Arbeiterbürokratie ab. Deren Patriotismus
war von unmittelbarem eigenen Interesse an der imperialistischen Politik
diktiert. Während des Krieges, der alle gesellschaftlichen Beziehungen ins
hellste Licht stellte, »gab ihr Bündnis mit der Bourgeoisie, den Regierungen
und den Generalstäben, den Opportunisten und Chauvinisten eine gewaltige
Kraft«. Die Opportunisten gingen endgültig ins Lager des Klassenfeindes über.
Die
intermediäre und wahrscheinlich verbreitetste Tendenz im Sozialismus, die des
sogenannten »Zentrums« (Kautsky und andere), die in Friedenszeiten zwischen
Reformismus und Marxismus geschwankt hatte, wurde, obwohl sie sich mit
pazifistischen Phrasen zu decken versuchte, fast gänzlich die Gefangene der
Sozialchauvinisten. Die Massen selbst waren unvorbereitet und wurden von den
Führern ihrer eigenen Organisationen, die sie in den vorhergegangenen
Jahrzehnten aufgebaut hatten, getäuscht. Nachdem er eine soziologische und
politische Einschätzung der Arbeiterbürokratie der Zweiten Internationale
gegeben hatte, machte Lenin nicht auf halbem Wege halt. »Die Einheit mit den
Opportunisten, das ist das Bündnis der Arbeiter mit ›ihrer eigenen‹ nationalen
Bourgeoisie und die Spaltung der internationalen revolutionären
Arbeiterklasse.« Daraus folgte die Notwendigkeit, ein für allemal jeden
Zusammenhang mit den Sozialchauvinisten zu lösen. »Es ist unmöglich, die
Aufgaben des Sozialismus in der heutigen Epoche zu erfüllen, es ist unmöglich,
eine wirkliche internationale Mobilisierung der Arbeiter zustande zu bringen,
ohne entschlossen mit dem Opportunismus zu brechen« sowie auch mit dem
Zentrismus, »dieser bürgerlichen Tendenz im Sozialismus«.
Selbst der Name der Partei muß geändert werden. »Ist es nicht besser, die
beschmutzte und diskreditierte Bezeichnung ›Sozialdemokrat‹ abzulegen und
wieder den alten marxistischen Namen ›Kommunisten‹ anzunehmen?« Es ist höchste
Zeit, mit der Zweiten Internationale zu brechen und die Dritte zu schaffen!
So weit
hatten die Meinungsverschiedenheiten geführt, die Emil Vandervelde noch zwei
oder drei Monate vor dem Kriege »kindisch« vorgekommen waren. Der Vorsitzende
der Zweiten Internationale war in der Zwischenzeit der patriotische Minister
seines Königs geworden.
Die
Bolschewistische Partei war die revolutionärste – in der Tat die einzige
revolutionäre – Sektion der Zweiten Internationale. Aber auch die
bolschewistische Partei fand im Labyrinth des Krieges nicht sogleich ihren Weg.
Im großen und ganzen war die Konfusion in den Spitzen der Partei, die mit der
bürgerlichen öffentlichen Meinung in Tuchfühlung standen, tiefer und hielt hier
länger an. Die bolschewistische Dumafraktion machte sofort eine scharfe
Rechtswendung und schloß sich einer zweideutigen menschewistischen Erklärung
an. Dieses Dokument, das am 26. Juli in der Duma verlesen wurde, hielt sich
zwar frei von dem »falschen Patriotismus, diesem Feigenblatt, unter dem die
herrschenden Klassen ihre räuberische Politik durchführen«, versprach aber
gleichzeitig, das Proletariat würde »das Kulturgut des Volkes gegen alle
Angriffe verteidigen, woher sie auch kommen mögen, von innen oder von außen«.
Unter dem Deckmantel der »Verteidigung der Kultur« hatte die Fraktion eine
patriotische Stellung bezogen.
Lenins
Kriegsthesen erreichten Petersburg erst Anfang September. Der Empfang, der
ihnen von der Partei zuteil wurde, war weit von einem allgemeinen
Einverständnis entfernt. Die meisten Einwände richteten sich gegen das
Losungswort vom »Defätismus«, das nach Schljapnikow »Verblüffung« hervorrief.
Die von Kamenew geführte Dumafraktion versuchte abermals, die scharfen Ecken
der Leninschen Formulierungen abzuschleifen. In Moskau und in der Provinz war
die Situation die gleiche. »Der Krieg fand die ›Leninisten‹ unvorbereitet vor«,
bezeugt die Moskauer »Ochrana«, »und lange Zeit hindurch ... konnten sie sich
nicht über ihre Haltung dem Kriege gegenüber verständigen.« Die Moskauer
Bolschewiki schrieben mit Hilfe eines Kode über Stockholm an Lenin, daß »trotz
allen Respektes vor ihm, sein berühmter Rat, das Haus zu
verkaufen (die Losung »Defätismus«), überhaupt kein Echo gefunden habe.« In
Saratow teilen, dem Ortsleiter Antonow zufolge, »die Arbeiter mit bolschewistischen,
menschewistischen und sozialrevolutionären Auffassungen nicht die defätistische
Ansicht. Mehr noch ... sie sind (mit einigen Ausnahmen) überzeugte
Verteidiger.« Unter den fortgeschrittenen Arbeitern war die Situation etwas
günstiger. In Petersburg tauchten an den Fabrikwänden Inschriften auf: »Wenn
Rußland siegt, wird unser Schicksal nicht besser sein, man wird uns noch mehr
unterdrücken!« Und Samoilow schrieb: »Die Genossen von Iwanowo-Wossnessensk
haben mit dem Klasseninstinkt der Proletarier ... den richtigen Weg gefunden
und sind ihn von den ersten Monaten des Krieges an entschlossen gegangen.«
Nur einige
Einzelpersonen, einige Dutzend vielleicht, waren imstande, ihre Auffassungen zu
formulieren. Massenverhaftungen rissen die sozialdemokratischen Organisationen
nieder. Die Vernichtung ihrer Presse isolierte die Arbeiter. Um so wichtiger
wurde die Rolle der Dumafraktion. Nachdem sie sich von der ersten Panik erholt
hatten, begannen die bolschewistischen Abgeordneten, eine umfassende illegale
Tätigkeit zu entfalten. Doch wurden auch sie schon am 4. November verhaftet.
Die Anklage gegen sie stützte sich hauptsächlich auf die von der ausländischen
Parteileitung stammenden Dokumente. Die Behörden klagten die Abgeordneten des
Hochverrats an. Während der Untersuchung leugneten Kamenew und alle anderen
Abgeordneten, mit der einzigen Ausnahme von Muranow, ihr Einverständnis mit den
Leninschen Thesen. In der Gerichtsverhandlung am 10. Februar nahmen sie
dieselbe Haltung ein. Kamenew erklärte, daß die ihm vorgelegten Dokumente
»entschieden seinen eigenen Ansichten über den gegenwärtigen Krieg
widersprächen«, was nicht nur der Sorge um seine persönliche Sicherheit
entsprang; seine Erklärung drückte die negative Haltung der ganzen oberen
Schicht der Partei gegenüber dem Defätismus aus. Zur großen Empörung Lenins
minderte die rein negative Taktik der Angeklagten erheblich den
propagandistischen Wert des Prozesses. Die Verteidigung auf juristischem Gebiet
hätte sich sehr gut mit einer politischen Offensive vereinigen lassen. Aber
Kamenew, ein geschickter und erfahrener Politiker, war für außergewöhnliche
Situationen nicht geschaffen. Die Anwälte ihrerseits taten, was sie konnten.
Einer von ihnen, Perewerzew, sprach, indem er die Anklage
auf Hochverrat zurückwies, die Prophezeiung aus, daß die Loyalität der
Arbeiterabgeordneten ihrer Klasse gegenüber sich für immer in das Gedächtnis
der kommenden Generationen eingraben werde, während ihre Schwächen, ihre
mangelnde Vorbereitung, ihre Abhängigkeit von ihren geistigen Ratgebern und
»all das, wie leere Schalen verschwinden wird, zusammen mit der
verleumderischen Anklage des Hochverrats«.
Eine jener
sadistischen Kaprizen, wie sie die Geschichte nicht müde wird hervorzubringen,
hat gewollt, daß es gerade Perewerzew in seiner Eigenschaft als Justizminister
der Kerensky- Regierung war, der alle bolschewistischen Führer des Hochverrats
und der Spionage anklagte – gestützt übrigens auf zynische Fälschungen, wie sie
selbst der zaristische Staatsanwalt niemals benutzt hatte. Nur Wyschinsky, als
Staatsanwalt Stalins, hat in dieser Beziehung den demokratischen Justizminister
noch übertroffen.
Trotz der
ausweichenden Haltung der Angeklagten versetzte der Prozeß der Legende vom
»Burgfrieden« einen nicht wieder gutzumachenden Schlag und rüttelte die
Arbeiterschicht wach, die durch die revolutionäre Schule gegangen war. »Über
vierzigtausend Arbeiter kauften die ›Prawda‹«, schrieb Lenin im März 1915,
»viel mehr noch lasen sie ... Diese Schicht auszurotten, ist unmöglich. Sie
lebt ... Sie allein steht mitten in den Volksmassen und mitten in deren Herzen
und propagiert den Internationalismus der Werktätigen, der Ausgebeuteten, der
Unterdrückten.« Die Ernüchterung der Massen setzte bald ein, sie wurde aber
nach außen hin nur langsam spürbar. Dem Militärdienst unterworfen, waren die
Arbeiter an Händen und Füßen gefesselt. Jede Auflehnung gegen die Disziplin
konnte nur den unmittelbaren Abtransport an die Front nach sich ziehen,
verbunden mit einem besonderen Vermerk der Polizei, was ungefähr einem
Todesurteil gleichkam. Das war wirksam, besonders in Petersburg, wo die
Überwachung doppelt scharf war.
In der
Zwischenzeit erlitt die zaristische Armee immer weitere Niederlagen. Die
Hypnose des Patriotismus und die der Furcht verschwanden allmählich. In der
zweiten Hälfte von 1915 brachen plötzlich sporadische Streiks aus,
hervorgerufen durch die hohen Preise für Bekleidungsartikel im Moskauer Gebiet.
Sie führten aber nicht sehr weit. Die Massen waren unzufrieden, schwiegen aber.
Im Mai 1916 gab es einige Fälle von Aufruhr unter den in
der Provinz ausgehobenen Rekruten. Im Süden gab es Lebensmittelunruhen, die
gleich darauf ein Echo in Kronstadt fanden, der Festung, die den Weg zur
Hauptstadt hütet. Ende Dezember ist die Reihe an Petersburg. Mit einem Schlage
wurden zweihunderttausend Arbeiter in einen politischen Streik hineingezogen;
die Mitwirkung der Bolschewiki stand fest. Das Eis war gebrochen. Im Februar
brachen eine Reihe von Streiks und heftigen Unruhen aus, die schnell die Form
eines Aufstandes annahmen und in dem Übergang der hauptstädtischen Garnison auf
die Seite der Arbeiter ihren Kulminationspunkt fanden. Der »deutsche Weg der
Entwicklung«, auf den die Liberalen und die Menschewiki ihre Hoffnungen gesetzt
hatten, verwirklichte sich nicht. Tatsache war vielmehr, daß sich die Deutschen
selbst von dem sogenannten deutschen Wege abwandten ... Stalin war dazu
verurteilt, vom Sieg des Aufstandes und von der Abdankung des Zaren im fernen
Exil zu hören.
Über einen
Raum von 45 000 Quadratkilometer verstreut, lebt die ungefähr zehntausend
Menschen, Russen und Nichtrussen, umfassende Bevölkerung des Turukansker
Gebiets im Norden der Provinz Jenisseisk. Die kleinen Ansiedlungen, zwei bis
zehn Gehöfte, selten mehr, sind voneinander durch viele hundert Werst getrennt.
Da der Winter acht Monate dauert, gibt es keine Landwirtschaft. Die Einwohner
fischen und jagen. Fische und Wild gibt es in Überfülle. Stalin kam Mitte 1913
in diesem unwirtlichen Gebiet an und traf dort Swerdlow, der schon vorher
eingetroffen war. Allilujew erhielt bald darauf einen Brief, in dem Stalin ihn
bat, den Deputierten Badajew dringend zu ersuchen, ihm das Geld zukommen zu
lassen, das Lenin vom Ausland her gesandt hatte. »... Stalin setzte in dem
Brief im einzelnen auseinander, daß er das Geld dringend brauchte, um die
notwendigen Nahrungsmittelvorräte, Petroleum und andere Dinge noch vor Einbruch
des harten Polarwinters kaufen zu können.«
Am 25.
August machte die Geheimpolizei die Gendarmerie von Jenisseisk auf die
Möglichkeit aufmerksam, daß die Deportierten Swerdlow und Dschugaschwili einen
Fluchtversuch unternehmen könnten. Am 18. Dezember fordert die »Ochrana«
telegraphisch den Gouverneur der Provinz Jenisseisk auf, Maßnahmen zu treffen,
um eine Flucht zu verhindern. Im Januar telegraphierte sie an die Jenisseisker
Gendarmerie, daß Swerdlow und Dschugaschwili außer den hundert Rubeln, die sie
schon erhalten hätten, weitere fünfzig Rubel bekommen
würden, um ihre Flucht zu organisieren. Im März hatten »Ochrana«-Agenten sogar
sagen hören, daß Swerdlow in Moskau gesehen worden sei. Der Provinzgouverneur
beeilte sich mitzuteilen, daß beide Verbannte »hier sind und Maßnahmen
getroffen worden sind, um ihre Flucht zu vereiteln«. Es war verlorene Mühe
gewesen, daß Stalin in seinem Brief an Allilujew auseinandergesetzt hatte, er
brauche das von Lenin geschickte Geld für Petroleum und andere Dinge: die
Geheimpolizei wußte aus guter Quelle, das heißt von Malinowsky selbst, daß eine
Flucht vorbereitet wurde.
Im Februar
1914 schrieb Swerdlow an seine Schwester: »Man hat uns, Jossif Dschugaschwili
und mich, hundert Werst weiter nach dem Norden transportiert, achtzig Werst
hinter dem Polarkreis. Die Überwachung ist verstärkt worden; keine Post mehr,
die Briefe kommen nur einmal im Monat an, mit einem ›Botengänger‹, der oft
ausbleibt. Praktisch kommt die Post nur acht- oder neunmal im Jahr an.« Die
Ortschaft, die ihnen jetzt zugewiesen ist, ist das weltverlorene Dörfchen
Kureika. Aber damit nicht genug. »Weil er Geld erhalten hat, wird
Dschugaschwili die Unterstützung für vier Monate entzogen. Er und ich, wir
brauchen Geld. Es ist aber unmöglich, es auf unsere Namen zu senden.«
In seinem
ersten Brief aus Kureika lieferte Swerdlow eine klare Beschreibung von seinem
gemeinsamen Leben mit Stalin. »Meine Einrichtung ist in dem neuen Ort bedeutend
schlechter. Erstens einmal habe ich kein Zimmer mehr für mich allein. Wir sind
zu zweien. Mit mir ist der Georgier Dschugaschwili, ein alter Bekannter, mit
dem ich schon während einer anderen Verbannung zusammen war. Er ist ein guter
Junge, aber viel zu sehr Individualist im alltäglichen Leben, während ich für
ein Mindestmaß von Ordnung bin. Deshalb bin ich manchmal gereizt. Aber das ist
nicht wichtig. Viel schlimmer ist das Zusammensein mit der Familie unseres
Hausbesitzers. Unser Zimmer grenzt an das ihrige und hat keinen eigenen
Eingang. Sie haben Kinder. Natürlich halten die sich stundenlang bei uns auf.
Manchmal fallen sie uns zur Last. Dann sind da die Erwachsenen aus dem Dorf.
Sie kommen, setzen sich, schweigen eine halbe Stunde lang, dann stehen sie
plötzlich auf: ›So, jetzt muß ich gehen, auf Wiedersehen!‹ Kaum ist der eine
weg, kommt ein anderer, und dieselbe Sache beginnt von vorn. Sie kommen
haargenau zur Abendstunde, der besten Zeit fürs Studium. Das ist verständlich,
am Tage arbeiten sie. Wir haben unsere alten Gewohnheiten
aufgegeben und unseren Tag anders einteilen müssen. Auch die Gewohnheit, bis
nach Mitternacht über den Büchern zu sitzen, mußten wir fallen lassen. Es gibt
überhaupt kein Petroleum. Wir benützen Kerzen. Für meine Augen gibt das zu
wenig Licht, deshalb habe ich meine Lesezeit auf den Tag verlegen müssen. Sehr
viel studieren tue ich eigentlich nicht. Es gibt fast keine Bücher.« Das war
das Leben, das der zukünftige Präsident der Sowjetrepublik und der zukünftige
Diktator des nach-sowjetischen Rußlands führten.
Was uns an
diesem Brief am meisten interessiert, ist die reservierte Art, in der von
Stalin gesprochen wird: »Ein guter Junge, aber viel zu sehr Individualist im
alltäglichen Leben.« Der erste Teil des Urteils bezweckt offensichtlich, den
zweiten Teil abzuschwächen. Ein »Individualist im alltäglichen Leben«, das
bezeichnet einen Menschen, der, wenn man gezwungen ist, Seite an Seite mit ihm
zu leben, auf die Gewohnheiten und Interessen des anderen keine Rücksicht
nimmt. Das »Mindestmaß von Ordnung«, das Swerdlow vergeblich verlangt,
erfordert eine gewisse freiwillige Selbstdisziplin zur Wahrung der Interessen
des Zimmergenossen. Swerdlow war von Natur aus ein rücksichtsvoller Mensch. Samoilow
sprach von ihm als von einem in persönlicher Beziehung »ausgezeichneten
Genossen«. Bei Stalin keine Spur von Rücksichtnahme. In seinem Verhalten mag
aber auch ein gut Teil Rache gesteckt haben: vergessen wir nicht, daß es
Swerdlow war, der beauftragt gewesen war, die Redaktion der »Prawda« umzubauen,
auf die sich Stalin gegen Lenin gestützt hatte. Solche Dinge verzieh Stalin
nie; er verzieh überhaupt nie irgend etwas. Die Veröffentlichung der gesamten
Korrespondenz Swerdlows während seines Aufenthalts in Turukansk, die 1924
angekündigt wurde, erfolgte nie; wahrscheinlich enthielt sie die Geschichte
einer späteren Verschärfung der Beziehungen.
Frau
Schweitzer, die Lebensgefährtin Spandarians, des dritten Mitglieds des
Zentralkomitees, die am Vorabend des Krieges nach Kureika kam, als Swerdlow
schon woandershin verschickt worden war, berichtet, daß im Zimmer Stalins »der
Tisch mit Büchern und einem Haufen Zeitungen bedeckt war und in einer Ecke auf
einer Leine Angel- und Jagdgeräte eigener Herstellung hingen«. Swerdlows
Beschwerde über den Mangel an Literatur war offensichtlich auf fruchtbaren
Boden gefallen: Freunde hatten die Bibliothek von Kureika aufgefüllt. Bei den Geräten »eigener Herstellung« konnte es sich natürlich nicht
um Feuerwaffen handeln. Es waren Fischnetze, Hasen- und andere Fallen. Selbst
späterhin ist Stalin weder Schütze noch Jäger im sportlichen Sinne des Wortes
geworden. Seinem allgemeinen Habitus nach stellt man sich ihn leichter vor, wie
er nächtens Fallen stellt, statt wie er einen Vogel im Fluge schießt.
Der
Sozialrevolutionär Karganow, der später Opernsänger wurde, versetzt sein
Zusammentreffen mit Stalin in der Verbannung von Turukansk in das Jahr 1911
anstatt 1913; solche chronologischen Irrtümer passieren häufig. Karganow
erzählt unter anderem, wie Stalin einen wegen gemeinen Verbrechens Verbannten,
Tschaika genannt, der einen Bauern bestohlen hatte, in Schutz nahm und wie
Stalin nachwies, daß es unmöglich sei, Tschaika zu verurteilen, daß man ihn für
die Sache gewinnen müsse, daß man Leute solchen Schlages in dem bevorstehenden
Kampf brauchen würde. Wir haben schon bei Wereschtschak Kobas Neigung für
Verbrecher bemerkt. Eines Tages entpuppte sich Stalin als Antisemit: bei einem
Streit bediente er sich der gewöhnlichsten georgischen Ausdrücke für Juden.
Alle Regeln der politischen Verbannten mit Füßen tretend, schloß Stalin, wenn
man Karganow glauben kann, Freundschaft mit einem Polizeibeamten, dem Osseten
Kibirow. Die Vorwürfe seiner Kameraden beantwortete er mit der Erklärung, daß freundschaftliche
Beziehungen ihn nicht daran hindern würden, den Beamten nötigenfalls als
politischen Feind umzubringen. Immer Karganow nach, verblüffte Stalin alle
anderen Verbannten »durch den vollständigen Mangel an Grundsätzen, seine
Schläue und seine außergewöhnliche Grausamkeit ... Selbst in Kleinigkeiten
zeigte er unerhörten Ehrgeiz«. Es ist schwer zu entscheiden, wo bei all dem die
Wahrheit aufhört und die Erfindung anfängt. Im allgemeinen erinnert das, was
Karganow berichtet, sehr an die Beobachtungen, die Wereschtschak im Bakuer
Gefängnis gemacht hatte.
Für Post-
und andere Verbindungen hing Kureika von dem Dorf Monastyrskoje ab, von wo aus
die Fäden nach Jenisseisk und von dort aus nach Krasnojarsk weiterliefen. Der
frühere Verbannte Gaven, der jetzt zu den Verschollenen gehört, erzählt, daß
die Jennisseisker Gruppe sowohl über das legale als auch das geheime politische
Leben auf dem laufenden war. Sie stand mit anderen Deportationsgebieten und mit
Krasnojarsk im Briefwechsel; Krasnojarsk seinerseits hatte mit den
bolschewistischen Komitees in Petersburg und Moskau
Verbindung und versah die Verbannten mit geheimen Druckschriften. Selbst im
Polarkreis nahm man Anteil am Leben der Partei, Gruppen bildeten sich und
Diskussionen wurden geführt, die manchmal zu wütendem gegenseitigen Haß Anlaß
gaben. Ihren Grundsätzen nach zu differenzieren begannen sich die Deportierten
aber erst Mitte 1914, nach der Ankunft des dritten Mitglieds des
Zentralkomitees, des Heißsporns Spandarian, in Turukansk.
Stalin blieb
für sich. Schumjatzky, dem späteren Leiter des sowjetischen Filmwesens nach,
»hielt sich Stalin abseits. Mit Fischfang und Jagd beschäftigt, lebte er in
einer fast völligen Einsamkeit ... Er hatte die Gesellschaft anderer fast
überhaupt nicht nötig, und nur selten ging er seinen Freund Suren Spandarian im
Dorf Monastyrskoje besuchen, um einige Tage darauf wieder in seine
Einsiedlerhöhle zurückzukehren. Er machte nur sparsame und vereinzelte
Bemerkungen über diese oder jene Frage, wenn es vorkam, daß er an Versammlungen
teilnahm, die die Deportierten veranstalteten.« Die Zeilen, die in einer
späteren Version abgeschwächt und verschönert worden sind (»Höhle« ist aus
einem unerfindlichen Grunde durch »Laboratorium« ersetzt worden), müssen so
verstanden werden, daß Stalin alle persönlichen Beziehungen zu dem Großteil der
Verbannten abgebrochen hatte und diese mied. Kein Wunder, daß sich seine
Beziehungen zu Swerdlow verschlimmerten: in der Eintönigkeit des
Verbanntenlebens können selbst umgänglichere Leute nicht vermeiden, in
Streitigkeiten zu geraten.
»Die
moralische Atmosphäre«, schreibt Swerdlow vorsichtig in einem der Briefe, die
an die Öffentlichkeit gedrungen sind, »ist nicht sehr günstig ... Eine Anzahl
von Schwierigkeiten (persönliche Konflikte), wie sie nur in Gefängnissen und in
der Verbannung möglich sind, gehen mir mächtig auf die Nerven.« Dieser
»Schwierigkeiten« wegen ließ sich Swerdlow in eine andere Verbanntenkolonie
versetzen. Zwei andere Bolschewiki, Goloschtschekin und Medwedjew, die heute zu
den Verschwundenen gehören, beeilten sich ebenfalls, Kureika zu verlassen.
Cholerisch, grob, von Ehrgeiz zerfressen, war Stalin kein bequemer Gesell.
Die
Biographen übertreiben ganz offensichtlich, wenn sie sagen, daß eine Flucht
diesmal materiell unmöglich gewesen sei; allerdings begegnete sie zweifellos
ernsthaften Schwierigkeiten. Bei den verschiedenen Malen, die Stalin schon
geflüchtet war, hatte es sich nicht um Flucht im eigentlichen Sinne des Wortes gehandelt, sondern um illegale Abreisen aus dem Verbannungsort.
Solwytschegodsk, Wologda, selbst Narym zu verlassen, hatte keine große Mühe
gekostet; es war nur nötig gewesen, auf die »Legalität« zu verzichten. Im
Turukansker Gebiet war das anders: von dort aus war eine schwierige Reise zu
unternehmen, entweder mit Rentieren oder Hunden, oder im Sommer mit einem Boot,
wenn man sich nicht unter den Brettern im Lagerraum eines Dampfschiffes
verstecken konnte, vorausgesetzt, daß der Kapitän den politischen Verbannten
günstig gesinnt war; mit einem Wort, die Flucht brachte diesmal ernsthafte
Gefahren mit sich. Die Schwierigkeiten waren aber keineswegs unüberwindlich,
was am besten dadurch bewiesen wird, daß es in jenen Jahren mehreren Verbannten
gelang, aus dem Turukansker Gebiet zu entkommen. Gewiß, nachdem die Geheimpolizei
einmal von dem Fluchtplan Kenntnis hatte, wurden Swerdlow und Stalin unter
besondere Bewachung gestellt. Doch hatten die »Wächter« im Polarkreis, faul und
dem Trunk ergeben, noch niemand an einer Flucht gehindert. Die Verbannten von
Turukansk erfreuten sich ziemlich großer Bewegungsfreiheit. »Stalin kam oft
nach dem Dorf Monastyrskoje«, schreibt Frau Schweitzer, »wo sich die Verbannten
zusammenfanden. Er benützte dazu alle illegalen Mittel und auch alle legalen
Vorwände.« Die Überwachung konnte in der grenzenlosen Einsamkeit des Nordens
nicht sehr wirksam sein. Im ersten Jahre beschränkte sich Stalin darauf,
scheint es, Beobachtungen zu machen und sich vorzubereiten, ohne sich zu
überhasten: immer vorsichtig. Im Juli des folgenden Jahres aber brach der Krieg
aus. Zu den materiellen Schwierigkeiten und den polizeilichen Hindernissen
kamen die Gefahren einer illegalen Existenz unter den Bedingungen des
Kriegsregimes. Eben dieses erhöhte Risiko hielt Stalin zurück, wie so viele
andere auch.
»Dieses Mal«,
schreibt Frau Schweitzer, »entschied sich Stalin dafür, in der Verbannung zu
bleiben. Er setzte seine Arbeit über die nationale Frage fort und beendete den
zweiten Teil seines Buches.« Auch Schumjatzky erwähnt, daß Stalin an dieser
Materie arbeitete. Stalin schrieb in den ersten Monaten seiner Verbannung
tatsächlich einen Artikel über die nationale Frage; wir besitzen darüber das
kategorische Zeugnis Allilujews. »Im selben Jahre (1913), zu Anfang des
Winters«, schreibt er, »erhielt ich einen zweiten Brief von Stalin ... Im
Umschlag war auch ein Artikel über die nationale Frage, den mich Stalin an
Lenin ins Ausland weiterzuschicken bat.« Die Arbeit war
natürlich nicht sehr umfangreich, wenn sie in einen Briefumschlag getan werden
konnte. Was ist aber aus diesem Artikel geworden? Während des ganzen Jahres
1913 hindurch fuhr Lenin fort, sich mit der weiteren Ausarbeitung und
Präzisierung des Nationalitäten-Programms zu beschäftigen. Sicher hat er sich
mit Heißhunger auf Stalins neuestes Werk gestürzt. Das Schweigen über das
Schicksal dieses Artikels bezeugt lediglich, daß er als für eine
Veröffentlichung ungeeignet angesehen worden ist. Stalins Versuch, die Ideen,
die ihm Lenin in Krakau eingeflößt hatte, selbständig weiterzuentwickeln, hatte
ihn anscheinend auf einen so falschen Weg geführt, daß Lenin es nicht einmal
für möglich fand, den Artikel auch nur zu korrigieren. Nur so ist die
erstaunliche Tatsache zu erklären, daß der beleidigte Stalin im Verlauf der
folgenden dreieinhalb Jahre Verbannungszeit nie wieder den geringsten Versuch
machte, in der bolschewistischen Presse etwas zu veröffentlichen.
In der
Verbannung, wie im Gefängnis, bekommen große Ereignisse leicht etwas
Unglaubhaftes. Schumjatzky nach »verblüfften die Nachrichten vom Kriegsausbruch
unser Publikum, und die Genossen gerieten überhaupt ganz aus dem Häuschen ...«.
»Die Tendenz für die Vaterlandsverteidigung war stark unter den Verbannten,
alle waren desorientiert«, schreibt Gaven. Das ist nicht verwunderlich, sogar
in Petersburg, das jetzt Petrograd hieß, waren die Revolutionäre desorientiert.
»Aber Stalins Autorität unter den Bolschewiki war so groß«, erklärt Frau
Schweitzer, »daß sein erster Brief an die Verbannten allen Zweifeln ein Ende
setzte und die Schwankenden wieder auf die Füße stellte.« Was ist aus diesem
Brief geworden? Dokumente dieser Art wurden mit der Hand kopiert und
zirkulierten dann in den Verbanntenkolonien in zahlreichen Exemplaren. Alle
Kopien können nicht verlorengegangen sein; diejenigen, die der Polizei in die
Hände fielen, müßten sich in den Polizeiarchiven finden. Wenn man des
historischen »Briefes« Stalins nicht habhaft werden kann, so nur, weil er nie
geschrieben worden ist. In all ihrer Banalität stellt die Bekundung von Frau
Schweitzer ein tragisches, menschliches Dokument dar. Sie schrieb ihre
Erinnerungen im Jahre 1937 nieder, ein Vierteljahrhundert nach den Ereignissen,
als bestellte Arbeit. Die politischen Verdienste, die sie Stalin zuzuerkennen
gezwungen war, müssen in Wirklichkeit, wenn auch in bescheidenerem Umfang,
ihrem Gatten, dem unbeugsamen Spandarian, zugeschrieben
werden, der 1916 in der Verbannung starb. Frau Schweitzer wußte natürlich sehr
gut, wie die Dinge vor sich gegangen waren. Aber die Fälschungsmaschine
arbeitet automatisch.
Den
Tatsachen näher kommen die Lebenserinnerungen Schumjatzkys, die 13 Jahre vor
dem Artikel der Frau Schweitzer veröffentlicht worden sind. Schumjatzky
schreibt die führende Rolle im Kampf gegen die Patrioten Spandarian zu. »Als
einer der ersten nahm er eine unversöhnlich ›defätistische‹ Haltung ein, und
auf den paar Versammlungen, die die Genossen veranstalteten, überschüttete er
die Sozialpatrioten mit Sarkasmen.« Und selbst in einer viel später
erschienenen Ausgabe ließ Schumjatzky, von der allgemeinen Konfusion sprechend,
die in den Vorstellungen herrschte, den Satz stehen: »Der verstorbene
Spandarian beurteilte die Dinge klar und scharf.« Die anderen haben
offensichtlich die Dinge weniger klar gesehen. Allerdings beeilt sich
Schumjatzky, der nie in Kureika war, hinzuzufügen, daß »Stalin, völlig isoliert
in seiner Höhle, unmittelbar und ohne Zögern die defätistische Linie
einschlug«, und daß die Briefe Stalins »Suren in seinem Kampf wider die Gegner
unterstützten«. Doch wird die Überzeugungskraft dieser zwischengefügten Bemerkung,
mit der versucht wird, Stalin den zweiten Platz unter den »Defätisten«
zuzuschreiben, von Schumjatzky selbst bedeutend abgeschwächt. »Erst ab Ende
1914 und Anfang 1915«, fährt er fort, »als es Stalin gelungen war, nach
Monastyrskoje zu kommen und Spandarian zu unterstützen, war letzterer nicht
mehr den Angriffen der Oppositionsgruppen ausgesetzt.« Geht daraus nicht
hervor, daß Stalin eine internationalistische Stellungnahme erst nach seiner
Begegnung mit Spandarian bezog und nicht zu Beginn des Krieges? Mit seinem
Versuch, Stalins langes Schweigen zu verbergen – weshalb Schumjatzky in der
neuesten Ausgabe seiner Lebenserinnerungen nicht mehr erwähnt, daß Stalin
Monastyrskoje »erst Ende 1914 und Anfang 1915« besuchte –, erreicht er nur, daß
dieses Stillschweigen noch mehr hervortritt. In Wirklichkeit fand der Besuch
Ende Februar 1915 statt, als nicht nur die Zögernden, sondern sogar manche
aktiven »Patrioten« aus dem Rausch erwacht waren. Und anders konnte es in
Wirklichkeit auch nicht sein. Die führenden Bolschewiki von Petrograd, von
Moskau und aus der Provinz nahmen Lenins Thesen mit Überraschung und Bestürzung
auf. Niemand akzeptierte sie so, wie sie waren. Deshalb ist nicht der mindeste
Grund vorhanden, anzunehmen, daß Stalins langsamer und konservativer Verstand von selbst zu Schlußfolgerungen gelangte, die eine
vollständige Umwälzung in der Arbeiterbewegung bedeuteten.
Aus der
ganzen Verbannungszeit Stalins sind nur zwei Dokumente bekannt, in denen seine
Stellungnahme zum Kriege zum Ausdruck kommt: ein persönliches Schreiben an
Lenin und seine Unterschrift unter eine gemeinsame Erklärung der
bolschewistischen Gruppe. Das am 27. Februar im Dorf Monastyrskoje abgefaßte
Schreiben ist die erste und anscheinend einzige Mitteilung Stalins an Lenin während
des Krieges. Wir geben sie ganz wieder:
»Meine Grüße
für Sie, teurer Iljitsch, heiße, heiße Grüße. Grüße an Sinowjew, Grüße an
Nadeschda Konstantinowna. Krupskaja. Wie geht es Ihnen, sind Sie gesund? Ich
lebe wie früher, kaue mein Brot »Sein Brot kauen« ist eine russische
Redewendung, die bedeutet, ein langweiliges, eintöniges Leben führen., die
Hälfte meiner Zeit ist herum. Es ist langweilig hier, aber da kann man nichts
machen. Und wie stehen die Dinge bei Ihnen? Ihr Dasein muß abwechslungsreicher sein
... Ich habe vor kurzem Kropotkins Artikel gelesen – der alte Narr muß
vollständig den Kopf verloren haben. Ich habe auch den kurzen Artikel von
Plechanow in ›Rjetsch‹ gelesen – ein unverbesserlicher alter Schwätzer. O je!
Und die Liquidatoren mit ihren Deputierten als Agenten der Freien
Wirtschaftsgesellschaft! Und niemand da, um ihnen eins draufzugeben, der Teufel
soll mich holen! Ist es möglich, daß sie ungestraft davonkommen? Machen Sie uns
das Vergnügen und teilen Sie uns bald mit, daß in nächster Zeit ein Organ
erscheinen wird, wo ihnen ins Gesicht geschlagen wird, wie es sich gehört,
unaufhörlich. Wenn Sie die Absicht haben sollten zu schreiben, dann an folgende
Adresse: Turukaner Territorium, Provinz Jenisseisk, Dorf Monastyrskoje, Suren
Spandarian. Der Ihre, Koba. Timofei (Spandarian) bittet, Guesde, Sembat und
Vandervelde seine süßsauren Glückwünsche zu übermitteln für ihre glorreichen –
ha, ha! – Ministerposten.«
Dieser
Brief, sicherlich unter dem Einfluß der Gespräche mit Spandarian geschrieben,
bietet im Grunde recht wenig für die Kenntnis der politischen Einstellung
Stalins. Der alte Kropotkin, Theoretiker der reinen Anarchie, war zu Beginn des
Krieges ein wütender Chauvinist geworden. Plechanow, von dem sich selbst die
Menschewiki vollständig lossagten, machte keine bessere
Figur. Vandervelde, Guesde, Sembat, bürgerliche Minister geworden, bildeten
eine allzu leicht zu treffende Zielscheibe. Stalins Brief enthält nicht den
geringsten Hinweis auf die neuen Probleme, die damals das Denken der revolutionären
Marxisten beschäftigten. Die Haltung, die dem Pazifismus gegenüber einzunehmen
war, die Losung des »Defätismus« und der »Umwandlung des imperialistischen
Krieges in den Bürgerkrieg«, die Frage der neuen Internationale – um diese
Punkte wurden damals unzählige Diskussionen geführt. Lenins Ideen waren noch
längst nicht allgemein anerkannt. Was wäre natürlicher gewesen, als daß Stalin
Lenin sein Einverständnis mit ihm ausgedrückt hätte, falls dieses
Einverständnis eine Tatsache war? Frau Schweitzer nach war es gerade hier in
Monastyrskoje, wo Stalin mit Lenins Ideen bekannt wurde. »Es ist schwer
auszudrücken«, schreibt sie im Stile Berias, »mit was für einem Gefühl der
Freude, der Überzeugung und des Triumphes Stalin die Thesen Lenins las, die seine
eigenen Gedanken bestätigten.« Warum sagt er in seinem Briefe nicht das
mindeste Wort über die Thesen? Wenn er selbständig an dem Problem der neuen
Internationale gearbeitet hatte, hätte er der Versuchung nicht widerstanden,
seinem Lehrmeister zumindest einige Worte über seine eigenen Schlußfolgerungen
zu sagen und ihn wegen der heikelsten Punkte um Rat zu fragen. Nichts von
alledem. Von Lenins Ideen übernahm Stalin das, was seinem eigenen Horizont
entsprach. Der Rest schien ihm zweifelhafte Zukunftsmusik, wenn nicht gar ein
ausländischer »Sturm im Wasserglas« zu sein. Von diesem Gesichtswinkel aus hat
er später die Februarrevolution angesehen.
Der Brief
aus Monastyrskoje, armseligen Inhalts, mit seiner gekünstelten Bravour (»Hol
mich der Teufel!«, »Ha, ha!«, und so weiter), sagt aber mehr, als seinem
Verfasser lieb ist. »Es ist langweilig hier, aber da kann man nichts machen.«
Ein Mensch, der ein intensives geistiges Leben zu führen imstande ist, schreibt
nicht so. »Wenn Sie die Absicht haben sollten zu schreiben, dann an folgende
Adresse ...« Ein Mensch, der wirklich Wert auf den Austausch theoretischer
Gedanken legt, schreibt nicht so. Der Brief steht unter dem charakteristischen
dreifachen Zeichen: List, Engstirnigkeit, Vulgarität. Während der vier Jahre
Verbannung entsteht kein regelmäßiger Briefwechsel mit Lenin, obwohl dieser dem
Gedankenaustausch mit Gleichgesinnten einen hohen Wert beimaß und gern eine
Korrespondenz aufrechterhielt. Im Herbst 1915 schrieb Lenin an den Emigranten Karpinsky: »Ich habe eine große Bitte an Sie: finden Sie
heraus ... wie der Familienname von ›Koba‹ lautet (Josef Dsch...? Wir haben es
vergessen). Sehr wichtig!« Karpinsky antwortete: »Josef Dschugaschwili.« Worum
handelte es sich? Um eine neue Geldsendung, einen Brief? Daß Lenin nach Kobas
Familiennamen fragen mußte, zeigt auf alle Fälle, daß nicht regelmäßig Briefe
gewechselt wurden.
Das andere
Dokument, das Stalins Unterschrift trägt, ist eine Erklärung, die eine Gruppe
von Deportierten an eine legal erscheinende Zeitschrift richtete, die sich mit
den Fragen der Sozialversicherung für Arbeiter befaßte: »Daß die Zeitschrift
›Woprossi Strakowanija‹ (›Versicherungsfragen‹) alle Anstrengungen machen möge,
um der Sache zu helfen, die die Arbeiterklasse unseres Landes gegen die äußerst
korrumpierenden, antiproletarischen und absolut gegen die Grundsätze des
proletarischen Internationalismus gerichteten Predigten der Herren Potressow,
Lewitzky und Plechanow sichert.« Das war zweifellos eine Handlung, die sich
gegen den Sozialpatriotismus richtete, die sich aber ebenfalls im Rahmen der
Auffassungen hielt, die den Bolschewiki und dem linken Flügel der Menschewiki
gemeinsam waren. Dieses Schreiben, das, dem Stil nach zu urteilen, von Kamenew
verfaßt worden ist, datiert vom 12. März 1916, das heißt, es stammt aus einer
Zeit, in der der revolutionäre Druck mächtig angeschwollen und der patriotische
Druck sehr zurückgegangen war.
Kamenew und
die anderen zur Verbannung verurteilten Abgeordneten kamen im Sommer 1915 im
Turukansker Gebiet an. Das Verhalten der Abgeordneten auf dem Prozeß gab
weiterhin Stoff zu großen Diskussionen unter den Parteimitgliedern. Ungefähr 18
Bolschewiki, darunter vier Mitglieder des Zentralkomitees – Spandarian,
Swerdlow, Stalin und Kamenew versammelten sich in Monastyrskoje. Petrowsky
berichtete über den Prozeß, und Kamenew ergänzte seine Darstellung. Die
Teilnehmer an der Debatte, erzählt Samoilow, »hoben die Fehler hervor, die wir
auf dem Prozeß begangen hatten: Spandarian drückte sich besonders scharf aus,
alle anderen waren nachsichtiger.« Von Stalins Teilnahme an der Diskussion
spricht Samoilow nicht. Im Gegensatz dazu fühlt sich Spandarians Witwe abermals
veranlaßt, Stalin etwas zuzuschreiben, was in Wirklichkeit ihrem Manne zukommt.
Samoilow fährt folgendermaßen fort: »Nach der Diskussion wurde eine Resolution
angenommen, die im großen und ganzen das Verhalten der
Fraktion vor Gericht billigte.« Eine solche Nachsicht war weit von Lenins
Unversöhnlichkeit entfernt, der in der Presse erklärte, daß Kamenews Verhalten
»eines revolutionären Sozialdemokraten unwürdig« gewesen sei. Auf Lenins
Verlangen schrieb Schklowsky von Bern aus an Samoilow in Monastyrskoje in der
Briefüberwachung angepaßten Formulierungen: »Ich bin sehr zufrieden, daß Sie
nicht die Absicht haben, es mit meiner Familie zu verderben, aber welche
Unannehmlichkeiten hat er uns nicht verursacht (Kamenew), und nicht er allein!
... Jeder kann sich irren oder eine Dummheit begehen, aber er muß seinen Fehler
berichtigen, mindestens durch eine öffentliche Entschuldigung, wenn meine Ehre
und die meiner Eltern ihm und seinen Freunden etwas wert sind.« Samoilow
erklärt, daß unter »meine Familie« und »meine Eltern« das Zentralkomitee zu
verstehen ist. Dieser Brief stellte ein Ultimatum dar. Aber weder Kamenew noch
die Abgeordneten gaben die Erklärung ab, die Lenin von ihnen verlangte. Und es
ist kein Grund vorhanden anzunehmen, daß Stalin Lenins Verlangen unterstützte,
obwohl Schklowskys Brief kurz vor der Versammlung in Monastyrskoje eintraf.
Stalins
Toleranz gegenüber dem Verhalten der Abgeordneten war im Grunde vorsichtig
ausgedrückte Solidarität. Einem Gerichtshof gegenüber, der die schwersten
Strafen aussprechen konnte, mußten Lenins messerscharfe Formulierungen doppelt
fehl am Platze erscheinen: welchen Sinn kann es haben, sich für etwas zu
opfern, das man für falsch hält? Stalin selbst hatte in der Vergangenheit
durchaus keine Neigung gezeigt, die Angeklagtenbank als revolutionäre Tribüne
auszunützen; zur Zeit der Voruntersuchung für den Prozeß der Bakuer Demonstranten
nahm er zu einer nicht ganz einwandfreien List seine Zuflucht, damit sein
Verfahren von dem der übrigen Angeklagten abgetrennt würde. Er hielt die Taktik
Kamenews vor Gericht viel eher für eine Kriegslist, als sie vom Standpunkt der
politischen Agitation aus anzusehen. Auf alle Fälle blieb er mit Kamenew
während der ganzen Dauer der Verbannung und während der Revolution in enger
Freundschaft verbunden. Auf der Fotografie einer Gruppe von Deportierten in
Monastyrskoje stehen sie Seite an Seite. Zwölf Jahre sollten vergehen, bevor
Stalin Kamenew wegen seines Verhaltens auf dem Prozeß schwer anklagte – nun
handelte es sich aber nicht mehr um die Verteidigung der Grundsätze, sondern um
persönlichen Machtkampf. Schklowskys Brief aber war seinem
ganzen Ton nach dazu bestimmt, ihm klarzumachen, daß die Frage brennender war,
als er glaubte, und daß eine zweideutige Stellung nicht länger möglich war. Das
ist der Grund, aus dem er gerade in jenen Tagen den oben zitierten Brief an
Lenin schrieb, dessen Zusammenhanglosigkeit dazu dienen sollte, das politische
Ausweichen zu maskieren.
1915
versuchte Lenin, in Moskau ein marxistisches Sammelwerk legal herauszugeben, um
wenigstens im Flüsterton die bolschewistische Auffassung über den Krieg zu
Gehör zu bringen. Das Werk wurde von der Zensur nicht zugelassen, aber die
Artikel wurden aufbewahrt und sind nach der Revolution wiedergefunden worden.
Unter den Autoren befinden sich außer Lenin der Schriftsteller Stepanow, der
uns schon bekannte Olminski, der erst seit kurzer Zeit Bolschewik gewordene
Miljutin und der Versöhnler Nogin. Keiner von ihnen war emigriert. Schließlich
sandte Swerdlow noch einen Artikel ein, der Ȇber die Spaltung in der deutschen
Sozialdemokratie« überschrieben war. Stalin aber, der in der Verbannung unter
denselben Bedingungen lebte wie Swerdlow, steuerte zu dem Sammelband nichts
bei. Das läßt sich erklären mit der Furcht, eine falsche Note anzuschlagen,
oder auch mit dem Mißerfolg, den sein Artikel über die nationale Frage gehabt
hatte: Empfindlichkeit und Launenhaftigkeit sind ihm ebenso eigen wie Vorsicht.
Schumjatzky
erwähnt, daß Stalin während der Verbannung zur Musterung aufgerufen wurde –
anscheinend im Jahre 1916, als auch die älteren Jahrgänge ausgehoben wurden
(Stalin war 37 Jahre alt) –, daß er aber für untauglich erklärt wurde, weil er
den linken Arm nicht krümmen konnte. Geduldig blieb er im Polarkreis, fischend,
Hasenfallen stellend, lesend und vielleicht sogar etwas schreibend. »Man
langweilt sich, aber da ist nichts zu machen.« Verschlossen, schweigsam, zu
Zornesausbrüchen geneigt, gehörte er keineswegs zu den Hauptfiguren unter den
Verbannten. »Schärfer als die aller anderen«, schreibt Schumjatzky, der doch
später Stalins Parteigänger wurde, »ist den Turukansker Deportierten die
monumentale Figur Suren Spandarians im Gedächtnis haften geblieben ... dieses
unbeugsamen revolutionären Marxisten und ausgezeichneten Organisators.«
Spandarian kam kurz vor Ausbruch des Krieges in die Turukansker Region, ein
Jahr nach Stalin. »Was hier für Frieden und Ruhe herrscht!«, bemerkte er
sarkastisch, »jeder ist mit jedem über alles einig – Sozialrevolutionäre,
Bolschewiki, Menschewiki, Anarchisten ... Wißt ihr denn
nicht, daß das Petersburger Proletariat auf die Stimme der Verbannten hört?«
Suren war der erste, der eine antipatriotische Position einnahm und sich Gehör
zu verschaffen wußte. Was den persönlichen Einfluß auf die übrigen Genossen
betraf, so nahm hier Swerdlow den ersten Platz ein. »Lebenslustig, äußerst
umgänglich, organisch unfähig, sich auf sich selbst zu beschränken«, ging
Swerdlow immer zu anderen, sammelte wichtige Neuigkeiten und verbreitete sie in
den Kolonien, organisierte eine Kooperative der Verbannten und stellte auf der
meteorologischen Station Beobachtungen an. Die Beziehungen zwischen Spandarian
und Swerdlow waren ziemlich gespannt. Die übrigen Verbannten gruppierten sich
um sie beide. Die beiden Gruppen kämpften gegen die Verwaltung, doch hörte der
Konkurrenzkampf um die »Einflußsphären«, wie Schumjatzky sagt, niemals auf. Es
ist schwierig, heute die prinzipiellen Ursachen des Kampfes herauszufinden.
Swerdlow gegenüber feindlich eingestellt, unterstützte Stalin Spandarian,
vorsichtig und mit Abstand.
In der
ersten Ausgabe seiner Erinnerungen hatte Schumjatzky geschrieben: »Die
Gebietsverwaltung sah in Suren Spandarian den aktivsten aller Revolutionäre und
hielt ihn für den Führer.« In der darauffolgenden Ausgabe finden sich in diesen
Satz zwei Personen eingeschlossen: Spandarian und Swerdlow. Der Polizeibeamte
Kibirow, mit dem Stalin freundschaftliche Beziehungen angeknüpft hatte, hielt
Spandarian und Swerdlow unter schärfster Bewachung, da er glaubte, sie seien
»die Anführer aller Verbannten«. Schumjatzky verliert für einen Augenblick den
offiziellen Faden aus den Fingern und vergißt ganz, hier auch Stalin zu nennen.
Der Grund ist unschwer zu erkennen: das allgemeine Niveau der Turukansker
Deportierten lag beträchtlich über dem Durchschnitt. Hier hatten sich alle
zusammengefunden, die den Kern der russischen »Zentrale« bildeten: Kamenew,
Stalin, Spandarian, Swerdlow, Goloschtschekin und verschiedene andere bekannte
Bolschewiki. Es gab keinen offiziellen »Apparat« der Partei, und es war nicht
möglich, anonym und von der Kulisse aus zu lenken und zu leiten. Jeder stand, so
wie er war, unter der ständigen Beobachtung durch die anderen. Um so erfahrene
Männer zu gewinnen, genügten Schläue, Entschlossenheit und Hartnäckigkeit
nicht, dazu mußte man Kenntnisse besitzen, ein selbständiger Denker sein und
ein geschickter Debattenredner. Spandarian zeichnete sich anscheinend durch
große Kühnheit im Denken aus, Kamenew durch große
Belesenheit und seinen umfassenden Gesichtskreis, Swerdlow durch seine
Aufnahmefähigkeit, sein Anpassungsvermögen und seine Initiative. Eben deshalb
zog sich Stalin »auf sich selbst zurück« und trat nur mit einsilbigen
Bemerkungen auf, die Schumjatzky erst in der neuen Ausgabe seines Buches mit
der Qualifizierung »geschickt« bedenkt.
Studierte
Stalin in der Verbannung, und wenn ja, was studierte er? Er hatte schon längst
das Alter hinter sich, in dem man sich mit ziel- und planlosem Lesen zufrieden
gibt. Er konnte nur vorankommen, wenn er bestimmte Fragen studierte, sich
Notizen machte, seine Schlußfolgerungen schriftlich zu formulieren versuchte.
Indes wird außer der Bemerkung über den Artikel zur nationalen Frage nichts
über Stalins geistiges Leben während dieser vier Jahre gesagt. Swerdlow, weder
Theoretiker noch Schriftsteller, schreibt in seiner Deportationszeit eine Reihe
von Artikeln, korrespondiert mit dem Ausland, arbeitet an der sibirischen
Presse mit. »In diesem Punkte stehen die Dinge nicht schlecht«, schreibt er
voller Optimismus an einen seiner Freunde. Nach dem Tode Ordschonikidses, der
absolut keine theoretische Begabung hatte, schrieb seine Frau über die
Gefängnisjahre des Verstorbenen: »Er arbeitete und las, las endlos. In dem
dicken Wachstuchheft, das Sergo von der Gefängnisverwaltung erhalten hatte,
stehen lange Auszüge aus den Büchern, die er in jener Zeit las.« Jeder
Revolutionär brachte aus dem Gefängnis oder aus der Verbannung solche
Wachstuchhefte mit. Gewiß sind viele davon auf der Flucht oder bei
Durchsuchungen verlorengegangen. Stalin aber konnte von seiner letzten
Verbannung aus alles mitnehmen, was er wollte, und zwar unter den günstigsten
Bedingungen, und auch später war er keinen Haussuchungen ausgesetzt, im
Gegenteil, es war er, der bei anderen Haussuchungen veranstaltete. Indes suchen
wir vergeblich irgendwelche Spuren seines intellektuellen Lebens in jener
Periode der Einsamkeit und des Müßiggangs. Es ist unmöglich, daß Stalin volle
vier Jahre lang nicht die Feder in die Hand genommen hat – diese vier Jahre
sahen den neuen revolutionären Aufschwung in Rußland, den Weltkrieg, den
Zusammenbruch der internationalen Sozialdemokratie, einen leidenschaftlichen
Kampf der Ideen im Sozialismus, die Vorbereitung der neuen Internationale. Aber
unter all dem, was er schrieb, befand sich anscheinend nicht eine einzige
Zeile, die zur Erhöhung seines späteren Prestiges hätte dienen
können. Die Jahre des Krieges und der Vorbereitung der Oktoberrevolution
ergeben für die Schilderung der ideologischen Entwicklung Stalins nur ein
leeres Blatt.
Der
revolutionäre Internationalismus fand seinen vollkommenen Ausdruck durch die
Feder des »Emigranten« Lenin. Die Arena eines einzelnen Landes, noch dazu des
rückständigen Rußlands, war zu begrenzt, um eine richtige Einschätzung der
Weltperspektive zu erlauben. Ebenso wie der Emigrant Marx London brauchte,
damals die Hochburg des Kapitalismus, um die deutsche Philosophie und die
französische Revolution mit der englischen Ökonomie in Verbindung zu bringen,
genau so bedurfte Lenin während des Krieges des Brennpunktes der europäischen
und Weltereignisse, um die entscheidenden revolutionären Schlüsse aus den marxistischen
Prämissen zu ziehen. Manuilski, nach Bucharin und vor Dimitroff der offizielle
Führer der Kommunistischen Internationale, schrieb im Jahre 1928: »... Der
›Sozialdemokrat‹, den Lenin und Sinowjew in der Schweiz herausgaben, und der
von Trotzky in Paris herausgegebene ›Golos‹ (später: »Nasche Slowo«, »Unser
Wort«), werden für den zukünftigen Geschichtsschreiber der Dritten
Internationale die grundlegenden Materialien sein, aus denen sich die neue
revolutionäre Ideologie aufbaute.« Wir wollen gern anerkennen, daß Manuilski
hier Trotzkys Rolle überschätzt. Immerhin sah er nicht die Möglichkeit, Stalin
zu nennen. Einige Jahre später tat er das Äußerste, um seine Vergeßlichkeit
wiedergutzumachen.
Eingeschläfert
vom monotonen Rhythmus der verschneiten Einöde, rechneten die Verbannten keinen
Augenblick mit den Ereignissen, die im Februar 1917 losbrachen. Alle waren
überrascht, obwohl sie ständig mit der Idee von der Unvermeidlichkeit der
Revolution gelebt hatten. »Zuerst«, schreibt Samoilow, »vergaßen wir einmal
sozusagen alle unsere Meinungsverschiedenheiten ... Politischer Streit und
persönliche Antipathien schienen mit einem Schlage verschwunden zu sein ...«
Alle Veröffentlichungen, Reden und praktischen Schritte aus jener Zeit
bestätigen dieses interessante Eingeständnis. Die Barrieren zwischen
Bolschewiki und Menschewiki, zwischen Internationalisten und Patrioten, fielen.
Das ganze Land wurde von dem alles durch die rosa Brille sehenden, aber
kurzsichtigen und geschwätzigen Geist der Versöhnung überschwemmt. Alles
berauschte sich an heroischen Phrasen, dem Hauptelement der Februarrevolution,
besonders in den ersten Wochen. Aus ganz Sibirien brachen Gruppen
von Verbannten auf, vereinigten sich zu einem Strom und fluteten westwärts in
einer Atmosphäre ekstatischer Begeisterung.
In einer der
Versammlungen, die in Sibirien abgehalten wurden, fügte Kamenew, der, wie sich
später herausstellte, zusammen mit Liberalen, Volkstümlern und Menschewiki den
Vorsitz innegehabt hatte, seine Unterschrift unter ein Telegramm, das den
Großfürst Michael Romanow beglückwünschte, weil er sich geweigert hatte, den
Thron zu besteigen, bevor die Konstituierende Versammlung ihre Entscheidung
getroffen hatte – was anscheinend der Großmut, in Wirklichkeit aber der
Feigheit entsprang. Nicht ausgeschlossen ist, daß Kamenew unter dem Einfluß der
sentimentalen Atmosphäre seine Kollegen im Vorsitz nicht durch eine unhöfliche
Verweigerung kränken zu dürfen glaubte. In der großen Verwirrung dieser Tage
schenkte niemand diesem Vorfall Beachtung, und Stalin, den unter die
Vorsitzenden aufzunehmen niemand auch nur in den Sinn kam, erhob sich gegen
Kamenews neueste Sünde erst, als ein gnadenloser Kampf zwischen beiden begann.
Der erste
Haltepunkt auf dem Wege war Krasnojarsk, wo eine beträchtliche Anzahl von
Arbeitern lebte. Hier gab es sogar schon einen Sowjet der Deputierten. Die
Bolschewiki des Ortes, die mit den Menschewiki zusammen in einer Organisation
waren, erwarteten Anweisungen von den Führern, die durch den Ort kamen. Diese
von der Vereinigungswelle vollständig überspülten Führer verlangten nicht
einmal die Gründung einer selbständigen bolschewistischen Organisation. Wozu
auch? So gut wie die Menschewiki waren auch die Bolschewiki für die
Unterstützung der Provisorischen Regierung, an deren Spitze sich der liberale
Fürst Lwow befand. Über die Kriegsfrage gab es ebenfalls keine
Meinungsverschiedenheiten mehr: das revolutionäre Rußland mußte verteidigt
werden! Das war die Geisteshaltung, mit der Stalin, Kamenew und die anderen
sich nach Petrograd auf den Weg machten. »Das war ein außergewöhnlicher Weg«,
erzählt Samoilow in seinen Erinnerungen, »die ganze Eisenbahnstrecke entlang,
voller Tumult, Massen von Willkommenskundgebungen, Versammlungen usw.« Auf den
meisten Bahnhöfen wurden die Verbannten von der enthusiastischen Menge mit
Militärmusik empfangen, die die »Marseillaise« spielte; die Zeit der
»Internationale« war noch nicht gekommen. Auf den größeren Haltestellen gab es
feierliche Bankette. Die Amnestierten mußten »Ansprachen
halten, endlos Ansprachen halten«. Viele wurden heiser, waren zum Umfallen müde
und weigerten sich schließlich, den Waggon zu verlassen, »aber auch in den
Waggons ließ man uns nicht zufrieden«.
Stalin wurde
nicht heiser. Er hielt keine Ansprachen. Es gab genügend andere, geübtere
Redner, darunter den körperlich schwachen Swerdlow mit seiner mächtigen
Baßstimme. Stalin hielt sich abseits, von der überschäumenden Frühjahrsflut
verängstigt und wie immer mürrisch und mißgünstig gestimmt. Wieder einmal wurde
er von Leuten geringeren Kalibers in den Hintergrund gedrängt. Und er hatte nun
doch schon rund zwanzig Jahre revolutionärer Tätigkeit hinter sich, die von den
unvermeidlichen Verhaftungen unterbrochen und nach den Ausbrüchen wieder
aufgenommen worden war. Fast zehn Jahre waren verflossen, seit Koba den
»Sumpfboden« von Tiflis mit dem Industriezentrum Baku vertauscht hatte. Acht
Monate lang hatte er in der Hauptstadt der Petroleumerzeugung gearbeitet,
sieben Monate hatte er im Bakuer Gefängnis zugebracht und ungefähr neun Monate
in der Verbannung in Wologda. Einen Monat illegaler Tätigkeit hatte er mit zwei
Monaten Strafe bezahlt. Nach seiner Flucht arbeitete er von neuem neun Monate
lang in der Illegalität, verbrachte sechs Monate im Gefängnis und blieb neun
Monate in der Verbannung – was ein etwas günstigeres Verhältnis ergibt. Nach
dem Ende der Verbannung nicht ganz zwei Monate illegaler Tätigkeit, ungefähr
drei Monate Gefängnis, annähernd zwei Monate in der Provinz Wologda:
zweiundeinenhalben Monat Strafe für einen Monat Arbeit. Von neuem zwei Monate
Illegalität, ungefähr vier Monate Gefängnis und Verbannung. Neue Flucht. Etwas
über sechs Monate revolutionärer Tätigkeit, dann Gefängnis und Verbannung,
diesmal bis zur Februarrevolution, das heißt vier Jahre lang. Im ganzen
neunzehn Jahre Teilnahme an der revolutionären Bewegung, zweiunddreiviertel
Jahre davon im Gefängnis, fünfunddreiviertel Jahre in der Verbannung. Das war
kein schlechtes Verhältnis; die meisten Berufsrevolutionäre brachten viel
längere Zeit in Gefangenschaft zu.
In diesen
neunzehn Jahren ist Stalin nicht als eine erstrangige und auch nicht einmal als
zweitrangige Figur hervorgetreten. Er war unbekannt. Bei Gelegenheit des
Briefes, den Stalin von Solwytschegodsk nach Moskau gesandt hatte und der von
der Polizei aufgefangen worden war, machte der Leiter der Tifliser »Ochrana« im Jahre 1911 einen ausführlichen Rapport über Josef
Dschugaschwili, ein Rapport, der weder bemerkenswerte Tatsachen noch
hervorstechende Züge enthält, ausgenommen die Erwähnung, daß »Sosso« alias
»Koba« seine Laufbahn als Menschewik begonnen hatte. In demselben Brief bemerkt
aber der Polizeichef mit Bezug auf Gurgen (Tsakakaja), daß er »seit, langem zu
den wichtigen Revolutionären gehört«. Gurgen war, dem gleichen Bericht nach,
»zur selben Zeit wie der bekannte Revolutionär Bogdan Knunjanz« festgenommen
worden. Daß Dschugaschwili selbst »bekannt« war, wird nicht gesagt, obwohl
Knunjanz nicht nur ebenfalls aus Georgien stammte, sondern auch mit Koba im
gleichen Alter war.
Zwei Jahre
später bemerkt der Leiter der Geheimpolizei nebenbei in einer detaillierten
Beschreibung des Aufbaus der bolschewistischen Partei und des Zentralkomitees,
daß Swerdlow durch Kooptation in das Büro des Zentralkomitees eingetreten sei,
sowie »ein gewisser Josef Dschugaschwili«. Der Ausdruck »ein gewisser« zeigt,
daß der Name Dschugaschwili dem Leiter der Geheimpolizei im Jahre 1913 noch
nichts sagte, obwohl dieser über eine ausgezeichnete Informationsquelle
verfügte: Malinowsky. Bis zum Februar 1917 weist die revolutionäre Biographie
Stalins nichts Bemerkenswertes auf. Dutzende, ja, Hunderte von
Berufsrevolutionären hatten dieselbe Arbeit geleistet, die einen besser, die
anderen schlechter.
Fleißige
Moskauer Forscher haben ausgerechnet, daß Koba in den drei Jahren von 1906 bis
1909 siebenundsechzig Aufrufe und Zeitungsartikel schrieb, nicht ganz zwei im
Monat. Nicht einer von diesen Artikeln, die nur eine Wiedergabe der Ideen
anderer für das kaukasische Publikum waren, wurde aus dem Georgischen übersetzt
oder in den Zentralorganen der Partei oder der Fraktion abgedruckt. Kein
Artikel von Stalin, nicht einmal eine Erwähnung seines Namens ist in den Listen
der Mitarbeiter der Publikationen, Zeitungen, Zeitschriften, Sammelwerke zu
finden, die in jener Zeit in Petersburg, Moskau oder im Ausland legal oder
illegal herausgegeben wurden. Man hielt ihn weiterhin nicht für einen
marxistischen Schriftsteller, sondern für einen örtlichen Propagandisten und
Organisator.
Von 1912 ab,
als seine Artikel mehr oder weniger regelmäßig in der Petersburger
bolsche-wistischen Presse zu erscheinen beginnen, nimmt Koba das Pseudonym
»Stalin« an, das von dem Worte »Stahl« herkommt, wie Rosenfeld vor ihm den
Namen »Kamenew« angenommen hatte, der von »Stein« herkommt:
unter den jungen Bolschewiki herrschte die Mode, harte Decknamen zu wählen ...
Stalins mit diesem Namen gezeichnete Artikel erregen niemandes Aufmerksamkeit:
sie hatten keinen persönlichen Charakter, es sei denn die Primitivität der
Darstellungsweise. In dem engen Kreise der führenden Bolschewiki wußte niemand,
wer der Verfasser dieser Artikel war, und niemand fragte danach. Im Januar 1913
schrieb Lenin einen sorgfältig abgewogenen Text für das berühmte
bibliographische Wörterbuch von Rubakin: »Die wichtigsten bolschewistischen
Schriftsteller sind: G. Sinowjew, W. Iljin, Ju. Kamenew, P. Orlowsky usw. ...«
Es konnte Lenin gar nicht in den Sinn kommen, Stalin unter den »wichtigsten
bolschewistischen Schriftstellern« zu nennen, obwohl dieser sich in jenen Tagen
im Ausland befand und an seinem Artikel über die nationale Frage arbeitete.
Pjatnitzki,
der mit der gesamten Parteigeschichte eng verbunden ist, mit ihrem Generalstab
in der Emigration ebenso wie mit ihrer geheimen Organisation in Rußland, mit
ihren Schriftstellern ebenso wie mit denen ihrer Leute, die die illegale
Literatur transportierten, spricht in seinen sorgfältig und im ganzen
gewissenhaft geschriebenen Memoiren, die die Periode von 1896 bis 1917
umfassen, von allen einigermaßen bekannten Bolschewiki, erwähnt aber nicht ein
einziges Mal Stalin; Stalins Name figuriert nicht einmal in dem Index, der dem
Buche beigefügt ist. Diese Tatsache verdient um so mehr Beachtung, als
Pjatnitzki keineswegs Stalin feindlich gesinnt ist; im Gegenteil: er gehört bis
jetzt zur zweiten Garnitur von Stalins Umgebung. In einer großen
Dokumentensammlung der Moskauer Abteilung der »Ochrana«, die die Geschichte des
Bolschewismus von 1903 bis 1917 umfaßt, wird Stalin dreimal erwähnt: anläßlich
seiner Kooptation ins Zentralkomitee, seiner Aufnahme ins Büro des Zentralkomitees
und seiner Teilnahme an der Krakauer Konferenz. Nichts über seine Arbeit, kein
Wort der Beurteilung, nicht ein individueller Zug.
In den
Gesichtskreis der Polizei trat Stalin, wie in den der Partei, nicht als
Persönlichkeit, sondern als Mitglied der bolschewistischen Zentrale. In den
Berichten der Gendarmen wie in den Erinnerungsschriften der Revolutionäre wird
er niemals persönlich hervorgehoben als Führer, als Anreger, Schriftsteller,
wegen eigener Ideen oder eigener Handlungen, sondern immer als ein Teilstück
des Parteiapparats, als Mitglied eines Ortskomitees, Mitglied
des Zentralkomitees, Mitarbeiter einer Zeitung, Teilnehmer an einer Konferenz,
als einer der Verbannten, als einer unter anderen auf einer Liste von Namen,
und niemals an der ersten Stelle. Es ist kein Zufall, daß er erheblich später
als andere seines Alters in das Zentralkomitee eintrat und dann auch nicht
durch Wahl, sondern durch Kooptation.
Von Perm aus
wurde an Lenin in der Schweiz folgendes Telegramm gesandt: »Brüderlichen Gruß.
Reisen heute nach Petrograd ab. Kamenew, Muranow, Stalin.« Die Idee, ein
Telegramm abzusenden, stammte sicherlich von Kamenew. Stalin unterzeichnete an
letzter Stelle. Die drei fühlten sich durch das Band der Solidarität verbunden.
Die Amnestie hatte die besten Kräfte der Partei befreit, und Stalin dachte mit
Unruhe an die revolutionäre Hauptstadt. Er brauchte Kamenews relative
Volkstümlichkeit und Muranows Abgeordnetentitel. So trafen die drei in dem von
der Revolution erbebenden Petrograd ein. »Sein Name«, schreibt Ch. Windecke,
einer seiner deutschen Biographen, »war zu dieser Zeit nur in engen
Parteikreisen bekannt. Er wurde nicht, wie einen Monat später Lenin, von einer
begeisterten Menge mit roten Fahnen und Musik empfangen. Er wurde nicht, wie
zwei Monate später der eiligst aus Amerika herbeigeeilte Trotzky, von einer
Abordnung empfangen, die ihn auf den Schultern trug. Er kam sang- und klanglos
an und machte sich an die Arbeit. Außerhalb der Grenzen Rußlands ahnte niemand
etwas von seiner Existenz.«