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Klaus F. Schneider: Kommentar zu Timo Brandts "Bei aller Poetik"

Diskurs/Kommentare > Diskurse > Lyrikkritik
Klaus F. Schneider
Kommentar zu Timo Brandt: "Bei aller Poetik"


Muss bekennen – in mir sträubt sich so einiges und revoltiert gegen viele der in dem Artikel enthaltenen Aussagen und Forderungen, zu viel, um auf alles einzugehen oder auch nur anzuführen.
    Was soll diese ganze Netiquette (in Haltung und Jargon) wie anderseits auch Apodiktik? Ist es das Wort zum Sonntag oder geht es um Hundefutter für Golden Retriever? Das wäre die sarkastische, bewegt offene Zusammenfassung meiner Kritik und Ablehnung.

Die Hauptpunkte sind: diese Krönung kontemporärer Angepasstheit nebst der (impliziten) Logik einer Schlüsselstelle wie dieser: "Was nicht bedeutet, dass jedes Gedicht sich nicht Fragen gefallen lassen muss, welche die mittransportierte Ethik betreffen". Warum? Seit wann? Jedes Gedicht? Haben wir denn alles schon schön der Prüfung unterzogen und selektiert? Und vor keinen Namen haltgemacht?
    Natürlich, in bestimmten Fällen, durchaus ein Problem und angebracht – aber, wo fangen wir denn damit an? Denn Aufhören … also ein Ende wird es kaum noch geben! Und dann kommt durch die Vordertür all das rein, was man/frau und Gedichte und Kritik, laut Timo Brandt, nicht sollen, und steht Pate wie Wache.

Sodann: In Anbetracht der Parallele zwischen Sex und Kunst (Literatur, Gedichte) – und wie schön die Passagen davor und danach eine Haltung repräsentieren und (ganz ungewollt?) zur Schau stellen, bei der man Alle nur noch streicheln möchte oder sollte – fehlt mir bitte, ebenso dem Zeitgeist entsprechend, auch noch ein vorangestellter Hinweis wie: „Achtung, dieser Artikel enthält Passagen, die Sie verstören könnten oder Ihnen unangemessen erscheinen.

ACHTUNG, die jetzt folgenden Sätze könnten Sie verstören oder Ihnen unangemessen erscheinen!

Da es dabei, bei aller Poetik, auch darum geht, wie Sex (so wie auch Gedichte z.B.) sein sollte, (nur nicht den ethischen Hinweis dazu unbeachtet lassen, was darunter zu verstehen ist und was sich ausschließt, egal, wie selbstverständlich er an sich ist!) fehlt mir dann doch die Erweiterung des Vergleiches um die Komponente: Masturbation. Wozu ich stellvertretend den Volksmund zu Wort kommen lassen möchte: Vögeln (hier gemeint: Sex haben) ist selten so schön, wie man es sich beim Onanieren vorstellt! In dem Fall: Kunst ist nicht immer so schön, vor allem so aufregend, wie es das Reden und Schreiben über Kunst vermuten lassen!

Tut mir leid, ist heftig, auch etwas ungerecht dem Artikel im Ganzen gegenüber, seinen guten Absichten, aber m.E. auch nicht unverdient! Selbst wenn ich mir einbilde zu wissen, was weshalb so geäußert wurde, und damit meine ich nicht das mit dem Sex, sondern vor allem die ausgemacht  partizipativ inkludierend korrekten hyperdemokratisch daherkommenden „sollte Kunst“ oder „dürfen Gedichte bzw. dürfen nicht“-Stellen, die in der (inzwischen mit einer gewissen Regelmäßig- und Häufigkeit von Dichtenden aus dem Laien- wie Elitebereich gleichermaßen proklamierten wie reklamierten) Aussage kulminieren, dass jede Herangehensweise an einen Text nicht nur berechtigt ist und zulässig, sondern auch bereichernd sei, fehlen mir jegliche die (den) Voraussetzungen und Implikationen dieser Ansicht abklärenden oder zumindest Rechnung tragenden Erwägungen.

Warum? Wodurch? Und wer bestimmt und belegt das Wie? Wie weit sind solche Forderungen durchdacht? Und was wären ihre Folgen? Bis zu welchem Punkt sind sie bestimmt von Unsinn und Projektionen eines ungenügenden, manchmal doch notwendigen Wissens und Einfühlens, wie dann andererseits dem überbordenden Überbau und aller möglichen Derivate und Anleihen? Oder dem ausgesetzt, wenn nicht schon ausgeliefert?

Wozu noch überhaupt z.B. Textgestaltung, auktoriale Arbeit, bestimmte Ausformulierungen oder Auslassungen und kompositorische formale oder inhaltlich Schlüsselstellen, Bezüge und Verweise, usw., wenn all dem nur dieser geringe, nach-, wenn nicht untergeordnete  Stellenwert und eine eingeschränkte Funktion zukommt? Womit ich keiner Akadämonisierung oder kanonisierten Inzucht von Tradierungen bzw. nur noch theoretisch innerbetrieblichen, selbstreferenziellen Postulaten das Wort rede oder solches dagegenhielte!
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