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Horst Samson: In der Straßenbahn nach Irgendwo

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Horst Samson
IN DER STRASSENBAHN NACH IRGENDWO


Amadé Esperers Einwürfe zu dem Gedichtband von Thilo Krause „Was wir reden, wenn es gewittert“ sollte man wirklich zweimal lesen. Er umreißt zwar kurz, aber präzise und vorzüglich in der Knappheit verständlich, welches Maß, welche Wertstäbe an Gedichte anzulegen, wie sie zu betrachten, zu prüfen und zu bewerten und wie sie letztlich einzuordnen sind. Er beschreibt ganz gut, worauf es überhaupt ankommt beim Schreiben eines Gedichtes und der feinsinnigen Gestaltung. Und Esperer macht klar, was so manchen nicht klar ist, dass Prosa und Lyrik – als in eine formale Verseordnung gebrachte Prosa – keine Gedichte ergeben. Man muss da nicht Gabriele Wohmann oder andere Scheindichter bemühen, um den Fall zu klären, man kann es ruhig auch dabei belassen.

Die Ernsthaftigkeit, mit der sich Esperer über das Gedicht und speziell über die Sprache beugt, hat mich aufmerken lassen, weil diese kritisch aufgeweckte „Beschattung“ des zu Papier Gebrachten inzwischen in einer betrachtenden Beliebigkeit erstickt wurde, eskapistisch längst ins Gelände oberflächlicher Zerstreuung ohne Grund und Hintergrund ausgebrochen ist, auf dem man sich taumelnd im Nichts, in Skurrilem und in Banalitäten bewegt – ohne dass dies von allen auch für Inhalt und sprachliche Genauigkeit noch Zuständigen (Hans Sahl) bemerkt wurde. Esperers Zuschreibungen zu dem, worunter er ein Gedicht versteht, trifft den Nerv, auf jeden Fall meinen, weil sowohl seine Außen- als auch seine Innenansichten zum Gedicht weitläufig mit meinen Maßstäben kongruent sind. Ich habe zwar nicht den Zeilenbruch erfunden, aber schon vor Jahren mir eine dezidiert eigene, auf multiplen Zugewinn abzielende „Geistes-Strategie“ des Zeilenbruchs erarbeitet, die Jan Kuhlbrodt mal vorbildlich in einer seiner Einlassungen zu meinen Gedichten zu beschreiben und zu würdigen wusste. Auch Literaturkritiker Peter Motzan spricht diesbezüglich von einer Perfektion, die so bei keinem anderen Lyriker zu finden sei. Die buchgestalterisch herrliche Lyrik-Reihe des Lyrik-Kabinetts fasziniert mich durch die Ästhetik des Layouts, auch das Haptische, geradezu elektrisierend, und ich kann Bücher dieser Reihe kaum aus der Hand legen, ohne sie mit zur Ladenkasse zu befördern, obwohl unser Haus unter der Last der Lyrik, aber auch vieler anderer Genres in seiner Standfestigkeit allmählich an Grenzen der Statik stößt. In dem Band „Was wir reden, wenn es gewittert“ von Thilo Krause habe ich auch in einer Frankfurter Buchhandlung reingelesen, und ich kam schnell zu dem Schluss, liegen lassen, wo es liegt – und wo es nicht gewittert, über das, was wir darüber zu reden, auch zu schreiben hätten. Nun findet aber genau dieses Buch keineswegs auf darin vorkommenden „verwilderten“ Trassen, sondern auf nüchtern analysierenden und zurecht kritisierenden Wegen in mein Arbeitszimmer. Was tun, an dem Buch vorbeireden oder es gewittern lassen? Das war die Frage, die plötzlich wie ein Projektil in meinem Kopf steckte. Wenn ein Indianer keinen Schmerz kennt, muss auch der Dichter einiges aushalten. Die Beispiele also, die Amadé Esperer gibt, untermauern im Großen das, was auch ich meine. Unter dem Signum vermeintlicher Originalität wird die Sprache leicht und leichtfertig verhunzt, auf lächerliche Weise mitunter vorgeführt, etwa durch einen „verwilderten schlenker“ der Straßenbahn, der auch noch „im Nirgendwo“ passiert, wo mit Sicherheit keine Straßenbahnen verkehren. Ein Lehrsatz, destilliert aus den Werken des Schlagerphilosophen Christian Anders besagt, „Oh Maria“ trau keinem Zug, auch keiner Straßenbahn, die nach Nirgendwo fährt! Sprachlicher Unsinn erscheint hier nicht als hochkarätiger Solitär, sondern als Massenware der gleichen verschlenkerten Kategorie, als hätte der Dichter einen Kater gehabt: „Ich schnurre / lote mit den Beinen// die Leere.“ Das ist, zugegeben, so etwas von leer, wie es leerer nicht zu denken ist. Im Klartext: Verszeilen zu Strohballen und Leerzeilen zusammengebunden. Nicht besser sind auch die von Esperer aufgestoßenen Sprach-Fenster, „eines geht nach gestern, eins nach morgen. /Ich schaue hinaus in beide Richtungen zugleich.“ Donnerwetter, mein lieber Janus! Was für ein innovativer Blick, was für Fenster, an denen die Bäume vorbeifließen, wären es doch wenigstens Zugfenster. Den hier nochmals aufgegriffenen Belegen für Amadé Esperers Distanzierung von den als solche erkannten papierenen Nichtigkeiten kann man gut folgen, wenn man auch nur einen leichten Sinn für Sprache hat, aber nicht leichtsinnig mit Sprache irgendwohin verfährt. Am Ende aber strauchelt, meiner Ansicht nach, auch der kluge Sprachchirurg Amadé Esperer, er rutscht förmlich, würde ich sagen, aber auch inhaltlich auf dem Laub aus. Regen vermutlich! Oder Unkonzentriertheit beim Gehen, kleine Unsicherheiten beim Suchen und Finden des Gleichgewichts im gedanklichen Schritt. Das Wort, das ihm trotz eines Versuches, den Sprachwind auf den Fluren loszulassen, in einem sprachlich von Einfällen entwundenen Landstrich, so spannend erscheint, dass Esperer ernsthaft meint aufhorchen zu wollen, also das Wort „feudelt“, ist nicht nur knapp daneben, es ist deplatziert, erscheint mir lächerlich pretiös – möglicherweise aber nur für einen wie mich, der das Norddeutsche nicht in seiner DNA hat. Wie dem auch sei! Obwohl ich einen anderen Verdacht hege. Was konkret in acht Verszeilen dem Laub – zumindest sprachlich - so alles im „ingrimm des winds“ angetan wird, das geht auf kein unverwelktes Blatt. Aber, das arme Laub, was soll es in seiner windigen Not auch tun, wehren kann es sich nicht, nicht gegen den Dichter und dessen Sprach-ein-Satz. Dem Laub (auch von ihm) bleibt nicht viel übrig, „laub verfährt so, oder lässt so mit sich verfahren“, es „kooperiert, reißt sich auf…“. Das war alles zu befürchten. Was mich an dem hochemotionalisierten, anthropomorphiumisierten „Unbeseelten… in Atem hält“ (Amadé Esperer) ist – im Unterschied zu ihm – lediglich das Staunen darüber, was der Dichter da sprachartistisch durchpeitscht und diesem armen Grün noch alles anzutun gedenkt, beziehungsweise die Frage, wie solche Gedichte in die – zumindest von der Aufmachung her - allerschönste Lyrik-Reihe gelangen, die ich überhaupt kenne!? Das ist für mich die große, auch wirklich spannende Frage, die dann schlussendlich im gewagten Sprachgewitter auch mich regelgerecht in Atem hält, so dass ich leicht „grimmig im wind“ stehe und ratlos bin.

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