Dakini Böhmer: Splitter
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Timo Brandt
Dakini Böhmer: Splitter. Schönebeck (Moloko Print) 2019. 112
Seiten. 15,00 Euro.
Schwere Zeiten, gute
Zeiten
„Heut schnitt ich mich an meiner Wutbetrog meine Zuversichtverhöhnte die Freude meiner Luststand flimmernd neben mirDas Gesicht im Spiegel entfremdetder Körper zu müdeund die Seele fluchend im Raume schwebend“
Splitter – funkelnde Verkünder eines einstigen Ganzen und
schmerzliche Erinnerung daran, dass alles zerfällt, sich abnutzt und dass
unsere Haut gegen solch schmale scharfe Dinge nicht gewachsen ist oder
zumindest schlechter als gegen den dumpfen, breiten, stetigen Windschlag der
Zeit. Der Splitter ist ein Rest und steht doch für ein Ganzes, klein und leicht
zu übersehen, aber doch von Bedeutung, wenn er über Erinnern und Vergessen,
Anwesenheit und Abwesenheit entscheidet.
Der Titel des ersten Gedichtbandes von Dakini Böhmer wirft
also einige Schatten voraus, in denen die Gedichte es erstmal schaffen müssen,
ihre eigenen Schatten zu werfen, ihre eigene Präsenz zu entfalten. Schnell wird
dabei deutlich, dass es in diesen Gedichten selten um größere Zusammenhänge
geht, sondern vor allem um abstrahierte, mit Worten hochgezogene Innenwelten,
um eine Fülle an Emotionen zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt,
festgestellt und ausgedrückt.
„Das Leben ertrinkt im tiefen Meerder paradoxensich wiederholendenum sich schlagendenEuphorie des Alltags“„verschwommenes außen in stockendem blauasphalt und beton& kaffeeduftporöses erinnern an eitelkeitverweht vom lärm dieses morgenswirre strähnen im kältegesichtlust auf meer und hitze& dich“
Um diese Innenräume kreisend, haben die Gedichte dennoch
verschiedene Ansätze und Tempi. Grob kann man sie unterteilen in eine Gruppe von
Gedichten, in denen ein ständiges Aufbäumen stattfindet, in denen die Sprache
eher stürmisch dahinprescht, was sich bspw. auch in zahlreichen
Genetiv-Konstruktionen niederschlägt ( „Stillstand der Raserei“ oder „müssen
des daseins“) und Gedichte, die eher dahinfließen, auf gesetztere Art die
Zustände und Umstände schildern.
Also: Große Aufzüge auf der einen, geflüsterte Geschichten
auf der anderen Seite, wobei es natürlich allerlei Gedichte gibt, die irgendwo
dazwischen liegen. Im Zentrum aber meist das lyrische Ich mit seinen Zwängen
und Wünschen, Ängsten und Freuden. Man wünscht diesem lyrischen Ich manchmal,
dass es ein bisschen aus sich herausfindet. Auf der anderen Seite ist die
Unausweichlichkeit des Ich, mitsamt seinen Launen und Bedingungen, eben das,
was die Gedichte verhandeln.
„Der ständige Versuchder Haut zu entfliehenum sich doch wiederin sie zu schmiegenDenneine anderegibt es doch nicht“
Daraus resultieren nicht nur die verschiedenen Stimmungen in
den Gedichten, auch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen des
Selbstbildes ist ein zentrales Thema. Einige Gedichte wirken sehr
selbstbestimmt, anderen wiederum haben etwas Haltloses – in letzteren Gedichten
geht es nicht selten um die Beziehung zu einem Du, das zugleich als klassische
Projektionsfläche und als intime Konstante fungiert. In dieser Doppelidentität
spiegeln sich sowohl Wünsche nach Nähe als auch nach Absolution, nach Rettung
wider.
„mein herzwerfe ich dir an den kopfund lege meine seeleauf dein gesichtmeinen geiststülpe ich dir überund verlange dich auf mirmit deinem ganzen gewicht“
Insgesamt hatte ich beim Lesen manchmal das Gefühl, dass
einige dieser Gedichte nicht etwas Bestimmtes einfassen, sondern Emotionen
durch Worte zu Streichhölzern machen und damit zündeln, etwas entfachen wollen.
Dahinter der Wunsch, das Gedicht, die Sprache möge einen Teil unserer Emotionen
irgendwie hinaustragen, aus uns heraus und in etwas (hin)ein, oder über uns
hinaus, hin zu einem höheren Zweck, versenkt in eine tiefere Botschaft.
Oft sind Gedichte wohl eine Art, derlei zu versuchen. Die
Gedichte von Dakini Böhmer scheuen sich nicht, sich ganz offen zu diesem
Versuch, dem Gedicht als ausgesandte Botschaft zu bekennen, was eine
entwaffnende und unverstellte Direktheit mit sich bringt, die Gedichte aber
auch dann und wann etwas zu sehr in eine Richtung scheucht, ihren
Entfaltungsraum begrenzt.
Viele Hochs und Tiefs kann man mit diesen Gedichten erleben.
Sie konfrontieren einen mit einer Fülle von Emotionen, darunter Verzweifeltes und
Glückseliges, Auskotzendes und Überschwäng-liches. Innenwelten werden aufgezogen
und abgespielt und überall das Schimmern der Splitter, um die sich der
Herzmuskel ballt, nach ihnen greifend und sie sich zuziehend.
„Ein Fast ist lauter als ein NeinDas Beinah immer wiederschlimmer als das Sein“
Nachtrag: zu den Illustrationen von Heinz Pelz ist zu sagen,
dass sie in ihrer unaufdringlichen Vielfalt sehr gut in den Band passen. Sie
tauchen mit schöner Regelmäßigkeit auf und entfalten ihre ganz eigenen
Dimensionen.