Anke Glasmacher: Obstkistenpunk (Auszug)
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Anke Glasmacher
Obstkistenpunk (Auszug)
dreckig, stickig, eng. das war ihre einzige erinnerung. neben dem unwillkürlichen nasenbluten, das wie ein störender regenschauer eingesetzt hatte. schwarze nebelschatten dünsteten aus den kohleöfen. tag für tag zogen sie über diestraßen bis in die höfe und klebten sich als schwarze schatten dick auf die hausfassaden. die gleiche trockene hitzige luft stand auch im keller.
sie stand orientierungslos unter zwei kleinen ovalenlampen, deren licht es kaum zur gegenüberliegenden backsteinwand schaffte. in der dünnen schicht zwischen der decke und ihren haaren verharrte ein klangteppich aufgeregter stimmen. immer wieder wurde sie von jemandem angestoßen. meistens (nicht immer) folgte ein entschuldigendes, fast schon verschwörerisches lächeln. als würde das anstoßen hier dazuzählen. zu ihr. zu dem raum. zu den dreckigen schwaden.
mit der zeit wurde sie weiter geschoben. viel zu viel menschen drängten durch den viel zu engen keller. irgendwann gab sie ihren widerstand auf und ließ sich eine weitere staubige treppenstufe hinunter führen. als niemand mehr schob, stand sie im wohl größten kellerraum des hauses. 2. UG. ohne weitere unterteilung. das geräuschgemisch hatt sich unbemerkt zu einem vereinzelten nuscheln verdichtet. und es kam nicht mehr aus dem menschenkörper, der sie in den raum geschoben hatte, sondern aus zwei menschen, die auf einer obstkiste standen. alle anderen saßen inzwischen. auf stühlen. in einem keller. in ostberlin. und lauschten der stadt.
das ist berlin, strahlte k. ostberlin, dachte sie. aus einem
gänzlich rußgeschwärzten gesicht, und strahlte zurück. wie sie immer zurückstrahlte, wenn sie wusste, dass etwas nichts mit ihr zu tun hatte. sie gehörte nicht dazu. vielmehr dachte sie darüber nach, warum an der straßenecke vorhin kühe auf der häuserwand geweidet hatten?
sie hatte diese durchscheinende haut. auf der der ruß bis in die seele abfärben musste. dachte sie.
und kleine augen, sagte k.
knopfaugen, sagte die mutter, die dabei ihre stofftiersammlung im kopf gehabt hatte.
in den kleinen runden augen gab es keine iris. alles war eins. sie hielt ein buch in der hand. ihr buch. das sie geschrieben hatte. und las darin. es hatte im regal des theatermachers gestanden. der jetzt tot war. übrig gelassen hatte er dieses eine buch. in dem sie ihre geschichte notiert hatte. notieren wollte. ein leeres buch. die seiten waren schon lange nicht mehr weiß. kaum hatte sie das buch aufgeschlagen, übersäte der ruß alle seiten. mit dem finger strich sie gedankenlos buchstaben hinein. weiße linien, verteilt auf eine seite. k stupste sie mit dem ellenbogen an. die zwei menschen standen immer noch auf ihrer obstkiste und nuschelten. sie wusste nicht, ob sie sich daran später noch würde erinnern können.
der einzige rote faden des abends blieb ihr nasenbluten. das blut sprenkelte aus ihrer nase, direkt auf ihren kapuzenpullover. rot und hell. auf ihrem gesicht verteilten sich die kleinen spritzer zu größeren schwarzen punktansammlungen. wie ein negativ belichteter marienkäfer musste sie aussehen.
auf der bühne griff die frau mit beiden händen nach ihrem gesicht. es musste sie beeindruckt haben, dass sie aussah wie ein marienkäfer. ein negativ belichteter marienkäfer, wollte sie klarstellen. sie sieht aus wie david bowie, dachte sie, als die frau sich von ihrer obstkiste zu ihr beugte und ihr ein stück monolog ins gesicht spuckte. über die marienkäferpunkte, die nun ein stück weiterliefen. das ist tilda swinton, raunte k. sie wohnt auch hier. sagte k, bewundernd. sie war unsicher, ob sich das mit der bewunderung mehr auf tilda swinton (wer war das?) oder auf den keller oder auf ostberlin, berlin, sagte k, bezog. der monolog klebte nun in ihrem gesicht. die frau hielt immer noch das buch des theatermachers in ihren händen. ihr leeres buch.
In Anke Glasmacher: Obstkistenpunk. Nettetal (ELIF Verlag) 2018. 64 Seiten. 12, 00 Euro.