Zwiesprachen: Monika Rinck über Fernando Pessoa
KIOSK/Veranstaltungen > Kiosk
Katharina Kohm
Show help and exit – Ingenieure der Seele
Monika Rincks Annäherung an Fernando Pessoa
Die Reihe "Zwiesprachen", angelegt als Verlautbarung eines Zugangs einer aktuellen
Lyrikerin oder eines Lyrikers zu einer
anderen Lyrikerin oder einem Lyriker, hat – durch die freie Gestaltung in Modus und Form dieser Annäherungen – schon einige interessante Perspektiven
eröffnet, die durch die Begegnung zum Facettenreichtum
beider beitragen konnten.
Die Lyrikerin, Übersetzerin und Essayistin Monika Rinck
erinnerte und aktualisierte den portugiesischen Dichter Fernando Pessoa, der
postum als einer der wichtigsten Lyriker der Moderne gilt, zu Lebzeiten
allerdings beinahe völlig unbekannt war. Dieser
Rezeption, die ihn berühmt machte, ist es zu verdanken, dass Pessoas Werk im
Laufe der Zeit zu einem Meilenstein
der Modernen Lyrik avancierte. Ins Deutsche übertragen (und von Rinck im Laufe des Abends zitiert) wurde sein Werk u.a. teilweise
von Inés Koebel.
In ihrem Vortrag,
ihrer entfalteten Annäherung, ging Rinck noch einen Schritt über bisheriges hinaus, indem sie die Anliegen
der Zeit vor hundert Jahren im Pessoa-Ton, als die Industrielle Revolution ihre
verheerenden Mittel zur Kriegsführung im Ersten Weltkrieg offenbarte, in die
Form einer Anrufung heutiger
Digitaler Revolution übertrug.
Parallelen und Simultanität waren durch die Präsenz der
Vortragenden als Kulminationspunkt gegenwärtig, wie uns ja heute manches als eine lange, zerdehnte
Gegenwart vorkommen muss - auch an dieser Stelle wieder aufgrund der
technischen Entwicklung und der gleichzeitigen Anwesenheit vieler
Möglichkeiten, Verfügbarkeiten, Informationen: all das wird berechnet. Und all
der technische Fortschritt wird zunächst für die Kriegsführung erfunden.
So wurde im Laufe des Vortrags die Figur des Ingenieurs, dem eine Schlüsselrolle besonders in
Kulminationszeiten des technischen Fortschritts zukommt, in den Fokus aller
Gedankengänge als roter Faden gerückt. Menschen, die an eben jener
neuen Welt bauten und bauen, steht im Zentrum eines anonymisierten
und unheimlichen Prozesses.
Pessoa, der viele Personen (Pseudonyme, Masken) erfand und für sie eigene Biografien und Stimmen schuf, sog. Heteronyme, thematisiert in seinen Gedichten und Oden
häufig die überbordende Technik – und
wie sie in alle Lebensbereiche dringt.
Rinck hob in ihrem
Vortrag vor allem den von Pessoa erschaffenen Dichter Àlvaro de Campos heraus,
der Schiffsbauingenieur in Lissabon war und sich selbst, angewandt auf seine Dichtung, als metaphysischer Ingenieur bezeichnete. Stilistisch zeichnt diesen Dichter, laut Rinck, eine auffällig
häufige Verwendung von Vokativen und Ausrufezeichen, die man an dieser Stelle
passender als Anrufungszeichen bezeichnen könnte, aus.
Die Entkoppelung des
Menschen von der Natur im Prozess der Industriellen Revolution als eine ihrer
spürbaren Auswirkungen wird ironisch verkehrt,
indem in ebenjenem Anrufungsmodus eine scheinbare metaphysische Beziehung bis
hin zur Verschmelzung mit diesen Maschinen entsteht.
Diese Kritik lässt
sich manchmal nur an Präsuppositionen festmachen, dennoch wird sie lautbar, da ein Gestus des Übertriebenen diesen von
Rinck zitierten Passagen Pessoas anhaftet,
beispielsweise in der Triumph-Ode
oder der Meeresode, und so durch Überzeichnung nicht nur ins Ironische sondern
auch ins Verzweifelte, bis hinein in
einen masochistischen Gestus der Selbstauslöschung, kippt.
"O Ihr Räder, Räderwerke, endloses R-r-r-r-r-r!Heftig verhaltener Spasmen rasender Mechanismen!Rasend in und außerhalb von mir,Durch all meine bloßgelegten Nerven,Durch alle Poren auch außerhab meiner sämtlichen Sinnesorgane!"(Campos, Triumph-Ode)
Das Gigantische und Monströse, das Überbordende und
Grenzenlose in der Dichtung von Campos oszilliert in der Frage der Technikverherrlichung
oder dessen Bloßstellung durch die Übertreibung.
Rinck zitierte in diesem Zusammenhang einen von
Pessoa/Campos nicht abgeschickten Brief an Filippo Tommaso Marinetti, Begründer
des Futurismus. Darin bezieht er sich auf die Liebe zur Technik und versteht
sich ausdrücklich als Ingenieur, der durch die Triumph-Ode sich dieser Liebe
rein technisch und mechanisch zu widmen versucht habe. Von den Futuristen
grenzt sich Campos/Pessoa aber entschieden unter Verweis auf Walt Whitman und William
Blake als Sensationist ab. Die Empfindung allein zähle – und nicht die Kunst, die gebraucht wird, um Künstler zu sein. Das
künstlerische Ich allein, was es auch tut, mache das Künstlerische aus.
Das Verhältnis zwischen Mensch, Technik und Sprache wurde an den Begriff des Ingenieurs gekoppelt und
erschien während des Vortrags als Bindeglied dessen, was auf den ersten Blick unvereinbar ist.
Im ideologisch geprägten Imperativ vom Neuen Menschen wird
im Zuge des vergangenen Jahrhunderts in diktatorischen Systemen den Schriftstellern überdies eine tragende und
formende Rolle zugewiesen. Stalins Credo vom Schriftsteller als dem Ingenieur der Seele machte im Vortrag wiederum die
Verbindung zwischen Industrie, Dikatur und radikaler Umgestaltung der Menschen
selbst deutlich, verbunden durch die Figur des Ingenieurs.
1932 hatte Stalin,
im Haus Maxim Gorkis, Moskaus
Schriftstellerinnen und Schriftsteller versammelt, um diese auf eine
einheitliche Ästhetik einzuschwören. Pathos in Verbindung mit
Fortschrittsglaube, gesteigert bis hin zur Passion, hatte dann einen Prozess
der Vernichtung ins Rollen gebracht. In diesem Zusammenhang sprach Rinck von
der Riesenrutsche. Rinck, indem sie von diesen unaufhaltbaren und bedrohlichen
Dominoeffekten sprach, zog in Bezug auf gegenwärtige Fragen des Klimawandels
und digitaler Überwachung durch Algorithmen Parallelen auch in der Sprache und Dichtung,
die sich dazu verhalten muss.
Während man mit dem Pathos des Neuen in der Zeit um 1900 die
Vernichtung des Alten provoziert habe,
wollen die Menschen heute bleiben, wer sie nie waren, so Rinck.
Die Frage nach der Seele führte sie auf den Pfad von
All-Einheitsgefühlen und lustvoller Selbstzersötrung bei Campos, die er auch in
seiner Meeresode beschwört, hin zu
ihrer eigenen Lyrik. Ihr Band „Alle
Türen“ bezieht sich an einigen
Stellen und auch im Titel durch partielle Zitation direkt auf Campos, auf sein
Gedicht „Gruß an Walt Whitman“. Die Frage nach der Seele, nach der
Ermächtigung des Einzelnen gegenüber technischen Entwicklungen führt also von Pessoa zu Rinck und zurück.
"Der Befehl lautete, alle Türen zu öffnen.Nicht genug: Die Scheiben zerschlagen. Zerschlug sie.Und ließ auch die Schlösser weg. Aufgeschlossenes Leben.Mehrfach geschachtelte Exklamation: Yeah, yeah, yeah."(Rinck, Alle Türen: Alle Türen auf, Putzi)
Zwischen handgemachten Gedichten und solchen von Generatoren stehe eben jenes: die Seele, ein
Bewusstsein. Sie sprach in diesem Zusammenhang auch von der heutzutage frappant
gestiegenen Zahl von Depressionen; möglicherweise der Folge von ins Leere
führender Algorithmen. Wir bezahlen im Netz mit Daten, mit Wünschen, so Rinck.
Vielleicht, könnte man jetzt
hinzufügen, verlieren wir auf diese Weise unser Gedächtnis. Man könnte bei
dieser Analyse an die Unendliche
Geschichte denken. Schon dort wird vor etwas gewarnt, dessen Ende und
dessen Modus nicht abzusehen ist. Man zahlt mit Wünschen und verliert an
Erinnerung, an Substanz.
Und so ging der Vortrag in ebenjenen Anrufungston Campos'
über, der bereits, in die heutige Zeit übersetzt, ebenjene Neologismen enthält,
die für die Digitale Revolution prägend sind. So wurde der Vortrag selbst zu
einem Akt der Verschmelzung und Entgrenzung, die Pessoas Lyrik kennzeichnet.
Die Frage nach den Ich-Grenzen wird auch in Rincks Lyrik immer wieder gestellt.
Im Zuge ihres Vortrags holte sie den
Gestus Campos'/Pessoas in die Gegenwart. Auch hier mischen sich Ironie durch
Übertreibung und metaphysisches Pathos mit der Kritik als Präsupposition, wenn es heißt:
"O Server!O Übertragungsprotokoll! O XML-Datei! O ihr halbautomatischen Export-Intervalle in der Transformation! Ich grüße Euch!O Du mein ausgelagertes Gedächtnis, vergesse meine Rede [...]![...]O Du Advanced config/Power Interface Daemon. Show help and exit. Show help and exit. Show help and exit."[!]
Zwiesprachen. Monika
Rinck über Fernando Pessoa. Mittwoch: 15.05.2019 um 20 Uhr im Lyrik Kabinett