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Zofia Bałdyga: Nachtschicht

Gedichte > Gedichte der Woche

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Foto: Jan M. Heller
Zofia Bałdyga
Aus dem Polnischen von Patrik Valouch

Nachtschicht
(Nocna zmiana)

Alle Heldinnen in mir sind müde. Darüber liest du Briefe,
geschrieben in einem heiseren Flüsterton. Immer am Morgen,
der nie klüger ist, wächst dieser allmählich
wie ein Wald, wie ein Gedicht. Über Helden soll man schweigen,
ihnen die Tür einen Spalt offen lassen.

Nichts dauert ewig, nicht einmal lange, Dinge begehren auf
und kündigen den Vertrag, treten von meinen Händen zurück.
Bedrohte Arten singen unter unserem Fenster verbotene Lieder,
bis die Augen wehtun, ehrlich. Als hätte ich dort verstreutes Korn,

so viel ist vergeudet. Lass sie wehtun, sagst du, lass sie die Oberfläche flicken.
Lass sie gute Miene machen. Wir müssen irgendwie mit der Gegenwart zurechtkommen,
mit dem intimen Ingenieurwesen. Am Morgen keimt alles auf, treibt nach oben,
wie eine gut eingespielte Band. Und du, schläfst du?


Zofia Bałdyga (*1987), eine sowohl auf Polnisch als auch auf Tschechisch schreibende Dichterin, die sich in ihrem lyrischen Schaffen mit den Fragen nach Heimat(losigkeit), Entwurzelung, transitorisch-temporären Räumen des Selbst und des Fremden sowie der Erzählbarkeit und Versprachlichung polymigrantischer Schicksäle beschäftigt. Die vorlie-genden Gedichte stammen aus dem bislang letzten polnischen Lyrikband Klimat kontynentalny („Kontinentalklima“, 2021).
Der Übersetzer dankt herzlich Agata Gad und Marcelina Jaźwa für wertvolle Hinweise und für die kritische Durchsicht.

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