Wolfram Malte Fues: Zählt
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Wolfram Maltre Fues
Zählt
Frauen, zählt! Tönt
es Ende vergangenen Jahres aus der Zürcher „WochenZeitung“. Zählt was? Die
Anzahl der Jungautorinnen und Jungautoren in den Verlags-Programmen der
auflage-relevanten Belletristik-Verlage für das kommende Frühjahr. Ergebnis:
Ausgeglichener
als auch schon, aber die Jungautoren sind immer noch in der Ueberzahl. Das muss
sich ändern. Sofort. Medienängstlich, wie Verlage für gewöhnlich sind, zeigen
die meisten Reue und geloben Besserung. Ein paar wenige murmeln etwas von
‚Auswahl‘ und ‚Kriterien‘ und ‚literarischer Qualität‘. Als ob es darum ginge.
Worum geht es dann? Um die immer heftigere Konkurrenz unter den immer
zahlreicher werdenden Jungautorinnen und Jungautoren um die tendenziell weniger
werdenden Plätze an den Verlagstraufen. Das feministisch geschliffene
Gender-Argument hat Konjunktur und Erfolg. Kann Mann es den Frauen verdenken,
dass sie es im neoliberalen Kampf um die wirtschaftliche und soziale Existenz
so ausgiebig nutzen wie möglich? „Der
Krieg gehört nicht in das Gebiet der Künste und Wissenschaften, sondern in den
Bereich des gesellschaftlichen Lebens.“ (Clausewitz) Und andererseits? Geduld,
Männer, Geduld! Wenn der Krieg so fort geht (und danach sieht es aus), werden
sich die Verhältnisse in ein paar Jahren um 180° gedreht haben. (Schon jetzt
gibt es an der Hochschule der Künste in Bern eine Abteilung, wo auf neun Frauen
ein Mann kommt. Der Vorstand des Zürcher Kulturvereins Kosmos besteht seit Juni
2020 ausschliesslich aus Frauen.) Dann gilt’s: Zählt, Männer, zählt! „Und
abermals in einigen Jahren / will ich des selbigen Weges fahren.“ (nach
Friedrich Rückert)
Die
Legislative der Stadt Bern zählt 80 Sitze. 55 davon sind neuerdings von Frauen
besetzt, 25 von Männern. Allein in Frankreich gibt es inzwischen mehr als 500
Karriere-Netzwerke für Frauen, darunter als das wohl einflussreichste das Women’s
Forum for the Economy and Society, das WEF der Frauen, wie man es auch
nennt und das unter anderen von McKinsey und Renault unterstützt wird. In
spätestens zehn Jahren bieten die Frauen an den Schaltstellen der politischen
und (vielleicht etwas später) der ökonomischen Macht den Männern Paroli oder
drängen sie ab. Warum auch nicht? Nach tausenden von Jahren Patriarchat böte
ein Matriarchat gewiss neue Perspektiven im Umgang mit Natur und Gesellschaft.
Bleibt nur die Frage: Werden sich die Frauen in den bestehenden Machtstrukturen
mit leichter Anmodulierung bloss wohnlich einrichten? Fortsetzung des
Patriarchats mit alternativem Personal? Oder werden sie diese Strukturen
sozial, ökonomisch, kulturell neu gewichten und abwägen, sie so neu
konstruieren und repräsentieren, dass das andere Geschlecht sich zunächst fremd
fühlt und seinen Platz in der gesellschaftlichen Ordnung neu bestimmen und
suchen muss? Man(n) darf gespannt sein.
Basel,
Mitte Februar 2020