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Wolfram Malte Fues: SkalpeSkalpelle

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Jan Kuhlbrodt

Zu Wolfram Malte Fues: SkalpeSkalpelle



Kunst hat keine Aufgabe, und ihr eine zuzuweisen, verfängt maximal in einem autoritären gesellschaftlichen Rahmen. Das heißt aber nicht, dass Kunst, das einzelne Werk, sich selbst nicht einer Aufgabe verpflichtet fühlen kann, nicht sich selbst in einen Zusammenhang der Solidarität stellt, das zur Sprache bringt, was selbst nicht über Sprache verfügt.

Zwischen der äußeren und inneren
Haupteingangstür vor den Briefkästen wär
Platz und wärs warm genug
für Krippen- und/oder Verdeck-Spiel


Das, was wir Leben nennen, erscheint uns zuweilen als Rest des Vergangenen, als Appendix des Digitalen, als kämen die Zahlenfolgen ohne das aus, was sie letztlich repräsentieren, ein Außernumerisches, ein Außersprachliches auch. Das Bezeichnete gerät in Bezeichnungswut aus dem Blickfeld. Selbst wenn es vorab außersprachlich nicht fassbar war, erst im Wort Gegenstand des Intellekts werden konnte.
Natürlich kann man, wie Adorno anmerkt, die Dinge nicht einfach in die Texte kleben, doch sind sie im Wort als Nachklang vorhanden.

Insofern mag man Wolfram Malte Fues‘ Gedichte als Kultur- und Gesellschaftskritik verstehen, denn die Einebnung der materialen Unterschiede der Dinge heißt noch lange nicht Demokratisierung, wie einige Apologeten des Digitalen behaupten, sondern vielfach eben Depotenzierung. Fues reagiert auf die Nivellierung mit Wortkaskaden. Die sich gut dialektisch gegen eben diese Nivellierung stemmen. Das Schwert heilt die Wunde, die es schlug.

Projekt Produktion Artefakt
Protokolle Beschlüsse
Briefe Bekenntnisse Fotos
Kommentare aus aller
nicht betroffenen Welt
im Kopfhörer Stimmen


Und in der Zahlenfolge verliert sich am Ende noch der Nachklang. Das mag eine düstere Vision sein, diese Vision aber erscheint Fues als Antrieb. Fast beschwörend will er den Wortklang, den Anklang retten, indem er in einigen Texten die Worte geradezu aufmarschieren lässt, die sich dann, in der Tendenz der Nivellierung gerade gegen diese sträuben. Und die Worte erkennen, wie es scheint, in dieser Formation die Verantwortung, die für sie aus der Vertretung der Dinge resultiert.

Beigegeben sind dem Band Zeichnungen von Kathrin Wächter. Es sind filigrane Entwürfe; die Mikrostrukturen zeigen, die ins Abstrakte treiben, aber gerade dadurch die Bedeutung des einzelnen Moments verdeutlichen. Filigran und eindringlich. Texte und Bilder entfalten eine Dialektik der Aufklärung, die schon im Titel des Bandes aufscheint.


Wolfram Malte Fues: SkalpeSkalpelle. Gedichte. München (Allitera Verlag - Lyrikedition 2000) 2016. 128 Seiten. 18.00 Euro.

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