Wolfgang Denkel: Schulterblatt
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Timo Brandt
Die Weisheit der
Empfindung
„Ruhe bewahren vorden Schaufenstern.Den nach dem WegFragenden neben demkürzesten immer auchden schönsten nennen.[…]Sich bedanken für jedes Gedichtdas ohne Buchstaben auskommt“
Wolfgang Denkels Lyrikdebüt (er hat bereits einige
Prosawerke veröffentlicht), erschienen in der Edition Hammer + Veilchen, hat
mich berührt wie es schon eine Weile kein ganzer Gedichtband mehr getan hat.
Ich gestehe sofort, dass die folgende Rezension einer tiefen
Sympathie für diese Gedichte entspringt, auch wenn sie gewiss nicht zu den
virtuosesten oder ambitioniertesten der Gegenwart gehören. Ihr unverstelltes
Wesen hat mich sofort für sie eingenommen, auch die schmale Inbrunst darin, das
fast schon naive Greifen nach einigen Kern- und Randempfindungen unserer
Existenz, wie sie zwischen Tür und Angel kurz quietschen, herein wehen.
„Ein Reich des Vergeblichendas mit stärker rührt alsalles Sinnhafte, Lohnendeund der Mühe werte.Augenblicke, in deneneine kaum gezähmteSchönheit hereinbrach, durchHaut, Rippen und Zweifelwie der Fauststoß einersehr alten Kampfkunst“
Im Prinzip bringt es die Beschreibung des Verlages schon sehr gut auf den Punkt „Die Gedichte des Hamburger Autors bestechen durch Konzentration auf Wesentliches, eine unangestrengte Nachdenklichkeit und auf den Punkt gebrachte Reflexionen etwa über das Schöne, das Verborgene und das Beiläufige.“
Vor allem die „unangestrengte Nachdenklichkeit“ und die
Reflexionsfähigkeit dieser Gedichte möchte ich ebenfalls hervorheben. Sie haben
eine Art, ihre Hintersinnigkeit und ihre Feststellungen in eine feinsinnige,
manchmal auch leicht sinnliche Note zu hüllen, geben der Beschreibung den
Anschein von etwas, das nicht nur den Gegenstand umkreist, sondern heranholt,
zum Teilstück der eigenen Erfahrungswelt macht.
„Von allem Großen hab ichnur den Namen, die Ungewissheitund den WunschDas Beiläufige hingegenbeschenkt mich immerfort[…]An der Nachtampel dassonore Kraftgeräusch einesalten englischen Motorades.Wie aus einer Zeit tiefer Unschuldklingt es zu mir hinüber“
Sehr oft haben mich Denkels Gedichte an die von Rainer
Malkowski erinnert. Gemeinsam ist ihnen (wobei Malkwoski öfter einen
unversöhnlichen oder agierenden Zug mit einbringt) diese Mischung aus
Behutsamkeit und schlichter Gestaltung, aber konzentriertem und unmittelbarem
Zugriff auf die Ideen und Überlegungen, die sich aus der Szenerie und der
begleitenden Empfindung ergeben.
Zu sagen, Denkel treffe die Dinge auf den Punkt, geht, finde
ich, fast schon zu weit. Es ist vielmehr so, als würde er den Punkt finden, von
dem aus sich in der Szene, der Empfindung ein Muster abzeichnet, ein
übergreifendes oder zumindest eindrückliches, bezeichnendes Muster.
„in der S-Bahn, eineauch im Erscheinungsbildschweigende MehrheitNoch vor zehn Jahrenhätte man sieZuschauer genanntInzwischen hat ihr Taschencomputersie zur Mitte der Welt erklärt“
Bei all dem ist Denkels Sprache eine, die sich nicht lange
mit Fragen nach der Originalität der einzelnen Begriffe aufhält. Sie verlässt sich
(in meinen Augen meist zurecht) darauf, dass die Beschreibungen bei den
Leser*innen gleichermaßen an einer tiefen Gewissheit und einer tiefen
Ungewissheit rühren, in Bezug auf die Strukturen von Erfahrungen und
Empfindungen; dass sie intuitive Aspekte des Daseins ansprechen.
Denkel geht so manchem
Es-ist-so-aber-ich-hab-keinen-Namen-dafür kurzerhand auf den Grund, er findet
in der breiten Aussicht das Nadelöhr zur Transzendenz, sammelt flüchtige
Empfindungen leichter Hand auf und hält sie ins Sonnenlicht, macht sie
durchsichtig oder überhaupt sichtbar.
„Im Verborgenen vielSchönes noch, wer weißAber auchim Unverborgenen“„Dieser Innige, alles Verstehenüberbietende Stolz der Erdenichts vom Widersinn zu löschen“
Es ist, wie bereits gesagt, schön, mit welcher Leichtigkeit
das geschieht, ohne Agenda, ohne forcierte, die Gedichte überwuchernde
Poetologie. Zwar haben die Texte eine etwas eigenwillige Interpunktion
(manchmal wird ein neuer Satz im Verlauf nur durch Großschreibung ersichtlich,
manchmal werden aber auch Punkte gesetzt) und die Umbrüche sind auch nicht
immer elegant, aber dafür gesellen sich die Sätze mit einer angenehmen Selbstverständlichkeit
zueinander, folgen aufeinander wie Wellen an einem Strand.
Thematisch lässt sich der Band zwar nicht festlegen, aber
ein häufiges Motiv sind Formen von Vergeblichkeit, von Scheitern, in denen
Denkel eine besondere Qualität der menschlichen Empfindung verortet, den
Schlüssel zu mancher Schönheit.
„Ohne Trauer keine SchönheitBegehren ja, aber keine SchönheitMöge unser Scheitern gelingenFür nichts braucht es mehrÜbung und Liebe als zumGelingen des Scheiterns“
Man könnte es darauf herunterbrechen, dass Denkel die
Weisheit mancher Empfindung offenlegt; auch von Empfindungen, die einem
vielleicht zunächst lästig oder negativ oder naiv erscheinen könnten. Denkel
preist sie nicht übertrieben, sondern beschreibt lediglich mit einer gewissen
Hingabe, warum diese Empfindungen Quellen sind und keineswegs Schluchten, nicht
Abgründe.
Bei all dem enthalten seine Gedichte auch Witz und
Lapidares. Es gibt zum Beispiel ein Gedicht mit dem Titel „Alter“:
„Erfahren, dass es nichtgenügt, ein Selbst zubehauptenMan muss es sichauch wieder abgewöhnen“
Ich empfehle viele Lyrikbände, weil viele Lyrikbände
lesenswert sind. Ich empfehle auch „Schulterblatt“, aber mit Nachdruck, vor
allem für all jene, denen Rainer Malkowski zusagt oder die sich von den Zitaten
angesprochen fühlen.
Die Erfahrung ist noch zu frisch für mich, um bei diesem
Band von einem Buch zu reden, das mich lange begleiten wird. Aber jetzt gerade
habe ich das Gefühl, dass ich hier etwas gefunden habe, in dessen Tiefe ein
Teil meiner eigenen Tiefe liegt, die ich ausloten will.
„Zuweilen würd ich gern tapfere Fremde umarmen“
Wolfgang Denkel: Schulterblatt. Gedichte. Hamburg (Edition
Hammer + Veilchen) 2018. 151 Seiten. 12,00 Euro.