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William Shakespeare: Sonett 113 - 119

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XVII. 113–119: LOVE IS AN EUER FIXED MARK


Die Liebe steht fest –– ist nicht der Zeit zum Spott –– aber wie fest stehe ich eigentlich? Ein effektvoll aufgebautes Septett. Ich und meine Liebe stehen zur Debatte, die Welt ist fast ohne Belang, mein eigenes Verhalten will geprüft werden, wenn es sich des Du und seiner Liebe so sicher ist.

Im Zentrum steht das im englischen Sprachraum besonders hoch geschätzte Sonett 116 (marriage of true mindes), in dem loue als euer fixed mark gewürdigt wird –– eine Gewißheit, die so ausgemacht ist, daß das Du, auf das sie sich stützt, nicht einmal erwähnt werden muß –– umgeben von 6 Gedichten der kritischen Selbstbeobachtung und der Selbstanklage, des steten Wechsels von feares and hopes, die aber alle in der gleichen Gewißheit enden, die 116 so eindrucksvoll formuliert: Erweist sich dies als falsches Plädoyer, / so schrieb ich nie, noch liebte einer je.


113.

SInce I left you, mine eye is in my minde,
And that which gouernes me to goe about,
Doth part his function, and is partly blind,
Seemes seeing, but effectually is out:
For it no forme deliuers to the heart
Of bird, of flowre, or shape which it doth lack,
Of his quick obiects hath the minde no part,
Nor his owne vision houlds what it doth catch:
For if it see the rud’st or gentlest sight,
The most sweet-fauor or deformedst creature,
The mountaine, or the sea, the day, or night:
The Croe, or Doue, it shapes them to your feature.

Incapable of more repleat, with you,
My most true minde thus maketh mine vntrue.

Mein Auge lebt, seit ich dich ließ, im Geist.
Das, was mich leitet, geh ich aus dem Haus,
fungiert nur halb, halb blind ist es zumeist,
scheint sehend, doch tatsächlich setzt es aus.
Es formt kein Bild und hälts dem Herzen feil
von Vogel, Blüte, faßlichen Gestalten
(das fliegt vorbei, der Geist nimmt gar nicht teil),
und hats Visionen, kann es sie nicht halten;
denn was es sieht –– ob grob, ob fein gemacht,
das Wohlgestalte oder Deformierte,
den Berg, die See, den Tag, die schwarze Nacht,
die Krähe, Taube –– nichts, was weiter führte,

es bleibt bei dir, es formt nach deinen Zügen.
So lehrt mein treuer Geist mein Auge lügen.


114.

OR whether doth my minde being crown’d with you
Drinke vp the monarks plague this flattery?
Or whether shall I say mine eie saith true,
And that your loue taught it this Alcumie?
To make of monsters, and things indigest,
Such cherubines as your sweet selfe resemble,
Creating euery bad a perfect best
As fast as obiects to his beames assemble:
Oh tis the first, tis flatry in my seeing,
And my great minde most kingly drinkes it vp,
Mine eie well knowes what with his gust is greeing,
And to his pallat doth prepare the cup.

If it be poison’d, tis the lesser sinne,
That mine eye loues it and doth first beginne.

Was ist es? Trinkt mein Geist, erhöht von dir,
die königliche Plage: Schmeichelei?
Was soll ich sagen? Sagt mein Auge mir
die Wahrheit? Lehrt die Liebe Zauberei:
–– aus Monstern und aus ungeformten Dingen
die Cherubim zu machen, süß wie du,
–– aus Schlechtem Perfektion hervorzubringen,
zum Augenstrahl gebündelte, im Nu?
Das Erste ists: die Schmeichelei im Sehen!
Mein großer Geist trinkt sie in sich hinein.
Mein kluges Auge sinnt aufs Wohlergehen
und mischt den Trank und schenkt dem Geiste ein.

Ist Gift darin –– mag sein, ein kleiner Trug ––
mein Auge liebts und tut den ersten Zug.


115.

THose lines that I before haue writ doe lie,
Euen those that said I could not loue you deerer,
Yet then my iudgement knew no reason why,
My most full flame should afterwards burne cleerer.
But reckening time, whose milliond accidents
Creepe in twixt vowes, and change decrees of Kings,
Tan sacred beautie, blunt the sharp’st intents,
Diuert strong mindes to th’ course of altring things:
Alas why fearing of times tiranie,
Might I not then say now I loue you best,
When I was certaine ore in-certainty,
Crowning the present, doubting of the rest:

Loue is a Babe, then might I not say so
To giue full growth to that which still doth grow.

Es war gelogen, was ich früher schrieb:
daß zärtlicher ich dich nicht lieben könnte;
kannt keinen Grund, der zur Erkenntnis trieb,
daß helles Feuer später heller brennte.
Die Zeit zu rechnen –– die millionenmal
Dekrete bricht, Eiden zuwider handelt,
entstellt, die Neigung abstumpft wie den Stahl,
den Geist dem Gang der Dinge anverwandelt ––
Warum (die Zeit zu fürchten und ihr Grollen)
hätt damals ich nicht, überaus gewiß,
‘Jetzt hab ich dich am liebsten’ sagen sollen,
dem Heut die Krone, morgen ungewiß?

Weil Liebe Kind ist, hätt ichs nicht –– um eben
dem, was noch wachsen möchte, Raum zu geben.


116.

LEt me not to the marriage of true mindes
Admit impediments, loue is not loue
Which alters when it alteration findes,
Or bends with the remouer to remoue.
O no, it is an euer fixed marke
That lookes on tempests and is neuer shaken;
It is the star to euery wandring barke,
Whose worths vnknowne, although his hight be taken.
Lou’s not Times foole, though rosie lips and cheeks
Within his bending sickles compasse come,
Loue alters not with his breefe houres and weekes,
But beares it out euen to the edge of doome:

If this be error and vpon me proued,
I neuer writ, nor no man euer loued.

Ich finde jeden Einwand unbegründet,
wo Treue bindet. Liebe ist nicht Liebe,
die änderte, wo sie’s verändert findet,
und wendig wär in wendigem Getriebe.
O nein, sie ist die Marke, immer–fest,
die Stürme schaut und nie erschüttert ist;
sie ist der Stern, der sich nicht werten läßt,
wiewohl der Schiffer seine Höhe mißt;
ist nicht der Zeit zum Spott, fällt auch wie Gras
der Sichel dieses rosige Gesicht;
sie ändert nicht, ihr steht kein Stundenglas ––
die Liebe dauert aus bis zum Gericht.

Erweist sich dies als falsches Plädoyer,
so schrieb ich nie, noch liebte einer je.


117.

ACcuse me thus, that I haue scanted all,
Wherein I should your great deserts repay,
Forgot vpon your dearest loue to call,
Whereto al bonds do tie me day by day,
That I haue frequent binne with vnknown mindes,
And giuen to time your owne deare purchas’d right,
That I haue hoysted saile to al the windes
Which should transport me farthest from your sight.
Booke both my wilfulnesse and errors downe,
And on iust proofe surmise, accumilate,
Bring me within the leuel of your frowne,
But shoote not at me in your wakened hate:

Since my appeale saies I did striue to prooue
The constancy and virtue of your loue.

So klag mich an: daß ich zu knapp bemessen,
nicht reich vergolten, was in dir ich fand,
daß ich um dich zu werben ganz vergessen,
an den mich Tag für Tag doch alles band;
daß ich mit unbedarften Geistern ging,
preisgab, was du erworben, teuer genug;
daß ich die Segel nach dem Winde hing,
der mich so weit aus deinen Augen trug.
Verbuche beides, Vorsatz und Verstoß,
urteile streng, laß mich den Argwohn fühlen;
behandle mich mit Unmut –– eines bloß
tu nicht: in hellem Haß auf mich zu zielen!

Ich prüfte doch –– und dieser Einspruch bliebe ––
nur die Konstanz und Tugend deiner Liebe.


118.

LIke as to make our appetites more keene
With eager compounds we our pallat vrge,
As to preuent our malladies vnseene,
We sicken to shun sicknesse when we purge.
Euen so being full of your nere cloying sweetnesse,
To bitter sawces did I frame my feeding;
And sicke of wel-fare found a kind of meetnesse,
To be diseas'd ere that there was true needing.
Thus pollicie in loue t’anticipate
The ills that were, not grew to faults assured,
And brought to medicine a healthfull state
Which rancke of goodnesse would by ill be cured.

But thence I learne and find the lesson true,
Drugs poyson him that so fell sicke of you.

Wie man, den Appetit zu stimulieren,
den Gaumen reizt mit beißenden Mixturen;
wie man, latente Leiden zu kurieren,
vorbeugend krank ist, krank durch Abführkuren:
gerade so –– so satt und nimmersatt
von deiner Süße –– zog mich Bittres an;
und mir gefiels, vor Wohlbefinden matt,
mich krank zu fühlen, eh es recht begann.
So zog die List die Liebeskrankheit groß,
antizipierte, wollte Medizin
für etwas, das nicht da war, aber bloß
durch Krankheit heilbar, so gesund es schien.

Und daraus zieh ich eine Lehre mir:
Arznei ist Gift für den, der krank nach dir.


119.

WHat potions haue I drunke of Syren teares
Distil’d from Lymbecks foule as hell within,
Applying feares to hopes, and hopes to feares,
Still loosing when I saw my selfe to win?
What wretched errors hath my heart committed,
Whilst it hath thought it selfe so blessed neuer?
How haue mine eies out of their Spheares bene fitted
In the distraction of this madding feuer?
O benefit of ill, now I finde true
That better is, by euil still made better.
And ruin’d loue when it is built anew
Growes fairer then at first, more strong, far greater.

So I returne rebukt to my content,
And gaine by ills thrise more then I haue spent.

Was für Arznei! Ich trank Sirenentränen
aus stinkendem Gefäß, wie Hölle innen,
und Sehnsucht ward zu Angst und Angst zu Sehnen,
doch ich verlor, sah ich mich auch gewinnen.
Was für Verirrungen mein Herz begeht!
Und hielt sich für gesegnet wie noch nie!
Wie haben meine Augen sich verdreht
im Umtrieb dieser Fieberphantasie!
O Wohltat, krank zu sein! Nun finde ich
das Bessere wird besser durch das Böse,
und ruinierte Liebe bildet sich
in neue um, erstarkt zu lichter Größe.

So kehr ich um. Den Tadel nehm ich an,
der dreimal mehr, als er verlor, gewann.



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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