Wahid Nader: Verbrennen der Myrte
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Timo Brandt
Wahid Nader: Verbrennen der Myrte. Berlin (Verlag Hans Schiler)
2019. 112 Seiten. 16,00 Euro.
„Die Turmspitze
stickt den Horizontfaden zu einem Bild“
„Im Sommerbin ich Löwenzahn.Dein Kleid windet sich über meine Pusteblumeund treibt die Samen in deinen Garten.[…]Ich aber bin in deinen Fingern,die aus dem Gestrüpp meines LebensSeide spinnenund aus meiner StimmeDornen brechen.Deine Blicke senken sichin mein SchweigebuchSeite um Seite,schenken mirein Zwinkern.“
In der griechischen und römischen Antike galt die Myrte als
Pflanze der Aphrodite, folglich als Gewächs der Liebe und der Lust, und Bräute
wurden mit Myrtenzweigen geschmückt. Im Mittleren Osten galt die Pflanze zur
gleichen Zeit als Frucht aus dem Paradies und als Gewächs des Friedens.
Wahid Naders Gedichtband beginnt mit zwei Kapiteln der
Liebe. In den Abschnitten „Traumveilchen“ und „Hängematte aus Mondschein“ sind
fast ausschließlich Gedichte versammelt, in denen das lyrische Ich immer wieder
ein Du besingt oder auch ein Wir, ein Uns. Grundsätzlich haben sie etwas
Verträumtes an sich, mit Nuancen von Erotik und von vielen Naturmetaphern
durchzogen.
Die Beobachtung und das Anverwandeln der Natur ist das
zweite große Narrativ der ersten zwei Abschnitte und dann auch des dritten, in
dem die Gedichte wie die Momentaufnahmen von einem längeren Spaziergang wirken
(und teilweise auch sind, wie die Titel offenbaren).
„Heute rührt der Herbstmit dem Wipfel der Pappeldie Zuckerwattein der Himmelsschale.[…]Tagsüber ruht die Kastanieim Nebelhemd.Krähen erschrecken das Geästund krächzen Wolkenkamele an,die sich am Himmel zu Rennen verführen.[…]Die Sonne fängt sichin einer Gabel einer abgestorbenen Ulme:Ins Gras gebettethören wir Pferde wiehern –die Bäume galoppieren.“
Erst im vierten Abschnitt, „Verbrennen der Myrte“, wird man
als Leser*in wieder daran erinnert, dass die Myrte, der Friedenszweig, brennt.
Ich weiß nicht, ob es eine entsprechende Zeremonie oder ein Ritual in Syrien
gibt, bei dem Myrte verbannt wird – ich lese es als eine Metapher für schmerzliche
Erinnerung, die Sehnsucht nach dem Herkunftsland und die Tatsache, dass dort
seit einigen Jahren ein verheerender Bürgerkriegt tobt.
„Wie jeden Morgen,suche ich im Satellitenbildmein Dorf am Mittelmeer.Vielleicht kann ich meine Mutter auf dem Feldvon den Orangenbäumenunterscheiden.[…]Im Traum sagt mir die Mutter:Ich habe deine Hautaus Sonne gebacken.Warum hüllst du dichin Nebel?[…]Ich singe Syrisch für mein Enkelkindund bastele mit ihm Flügel aus Olivenblätternfür einen Traumflugim Herbstnach Syrien
In diesem vierten und in den Kapiteln fünf und sechs wird
auf vielschichtige Weise die Situation des lyrischen Ichs beschrieben, wie es
sich zwischen den Welten aufhält. Es lebt in Deutschland, wo es langsam
heimisch geworden ist, was nicht immer so war:
„Jahrelangwar die Fremdemein unlesbares Buch.“
Aber nicht nur der Bezug zu arabischen Sprache lässt den für
andere fernen Konflikt sehr nah heranrücken:
„Die arabische Sprache ist der Baum in mir,die deutsche lässt sich niederauf seinen Zweigenwie Schwärme von Staren,die bei jedem Hauch auffliegenund kalte Fleckenim Gedächtnis hinterlassen.[…]„Noch immer ruft ernach seinen Wurzeln,als stünde er im Orkan.“
Wahid Naders Gedicht haben nicht selten eine Offenheit, die
fast schon beschaulich wirkt, aber man sollte dabei nicht übersehen, dass er in
seinen Bildern Intensives zu bündeln versteht. In „Verbrennen der Myrte“ liegen
die Wurzeln der Gedichte in einfachen Tatsachen, in Glück und Unglück, die
Sprache aber treibt daraus Blüten und Geäst hervor, schön, erstaunlich und
verfänglich.