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Ulrike Almut Sandig: ich bin ein Feld voller Raps verstecke die Rehe und leuchte wie dreizehn Ölgemälde übereinandergelegt

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Elke Engelhardt


Zu Ulrike Almut Sandig – ich bin ein Feld voller Raps verstecke die Rehe und leuchte wie dreizehn Ölgemälde übereinandergelegt



Ohrwürmer seien ihre Gedichte, behauptet der Verlag, in dem sie erscheinen, ganz zu Recht. Ulrike Almut Sandig schöpft auch in ihrem neuesten Gedichtband aus einer reichen Tradition, und stellt dabei wieder einen unverwechselbaren Rhythmus her, der ganz „tief in der Zukunft der Märchen“ angelegt ist.  
Sandig zeichnet sich seit längerem durch ihre Sprechkonzerte und Sprachperformance aus, durch ihre Nähe und irgendwie auch Verpflichtung zur Musik.
Und durch das Bewegliche.
Der Gedichtband beginnt „Im Anfangsland“ mit dieser Zeile,


„im Anfang steht niemand.
im Anfangsland lag ich und schrie
[...]
... ich bin
ein Strom, der in andere mündet [...]“


Sandig beschreibt darin ihre Position, die Haltung, die sie schreibend einnimmt, die Basis, den Boden, auf dem ihr Schreiben fußt, und von dem sie es gleichzeitig abhebt: die Tradition und die Verbindung, die Brücke, die ihre Dichtung schlägt, von den Brüdern Grimm über Annette von Droste-Hülshoff bis „tief in die Zukunft der Märchen“, also mitten hinein ins Anthropozän, in dem wir uns gerade (relativ orientierungslos) befinden.

Sandigs Gedichte sind auch ein Dialog. Immer wieder spricht sie den Leser an, nimmt seine (möglichen) Fragen und Reaktionen auf und vorweg. Das „ich“ als „Stimmgabel aus flüssigem Stoff“. Was für eine stimmige und treffende Metapher. Beginnt doch die Differenzierung, die Loslösung aus dem stimmlosen, sprachlosen Ganzen mit der Sprache. Was aber ist der „flüssige Stoff“? Mehr als Reimvorlage für das „Lied aus dem Off“?


Der Gedichtband gliedert sich nach dem ungewöhnlich langen Titel, und so wird also zunächst das Feld voller Raps eingeführt, erst einmal bedeckt von Schnee. Dann aber stellt sich die Frage, wer da spricht. Die Frage, wer die Dichterin ist, ist zugleich die Frage, wie sich im Zeitalter der Individualisierung Identität darstellt, nämlich überlagert von Zweifeln, von vielfältigen, teilweise widersprüchlichen Rollenbildern, und für all das Paradoxe, Widerstreitende, Disharmonie Begründende und Heraufbeschwörende findet Sandig immer wieder eine schwingende, singende, rhythmisch vollendete Form.
So endet „ich bin ein Feld voller Raps“ versöhnlich und wiederum mit der Frage, wer das „Ich“ ist, das hier spricht, nachdem zuvor die Gegenwart stellenweise sehr unbarmherzig beleuchtet wurde.

„nicht alt und nicht jung sein, aber alt genug sein
um mehrere Dinge auf einmal zu sein: Ulrike

und Almut, ein großes Tier mit aufrechtem Gang
ein seltsames Tier sein, das spricht, staunen

über das Tier, das >ich< sagen kann, das sich
erinnert. Hunger haben wie ein Tier, unersättlichen

Hunger nach schlichten Begriffen wie >Baum<
wie >Vater< und >Mutter<, wie >du< und >ich<

eine Menge von Dingen nicht begreifen, aber
alt genug sein, sich nicht mehr zu schämen

dafür. sich vor Krankheiten fürchten und vor
den kleiner werdenden Eltern, ihrem kindlichen

Lachen im Graswald hinter dem Haus. leichter
Werden, leichter und mit dem Wind ziehen

in gleich welcher Richtung. Wurzeln schlagen
in gleich welcher Stadt. Baum hinterm Haus

von Vater und Mutter zu sein. keinen Namen
mehr tragen, nicht länger zu sagen >ich bin<

Holz eines Tisches zu sein, an dem jemand sitzt


Wie beschreibt man das Grauen unserer Welt, die Unbarmherzigkeit, all die Kriege, Morde, den Terror, dem wir ohnmächtig gegenüberstehen? Als „Ballade von der Abschaffung der Nacht“? Weil es ohne Nacht keine Träume mehr gibt? Keine Pause der Wahrnehmung und Reaktion? Weil nichts mehr im Dunklen liegt? Und welche Ausrede haben wir dann, wenn wir nicht länger sagen können, dass wir von nichts wussten?
Diese Ballade jedenfalls gehört noch zum Raps, nicht zum Akt des Versteckens, ist Basis, Grundlage, noch nicht Handlung.

Es folgt ein Aufruf zum Vergessen. Was da versteckt wird, ist nicht zuletzt das schlechte Gewissen.

„wie angewurzelt stand ich zwischen den Bäumen
im Schneekugelwald, wo ein Mann auf einen
zweiten eindrosch. ich war noch nicht groß, ich
kannte noch gar nicht die Sage vom Russen
den Großvater erschoss, um nicht vom Russen
erschossen zu werden. wie angewurzelt stand ich
zwischen den Bäumen und schaute auf einen
der drosch auf einen zweiten Mann ein, der lag
auf dem Rücken. wie angewurzelt stand ich
im Schneekugelwald und hoffte auf Blut und auf
einen unmissverständlichen Schrei – um Jahre
später schreiben zu können: ich war dabei und sei
so schnell wie möglich gerannt, um Hilfe zu holen“


Unter den dreizehn Ölgemälden befindet sich ein wunderschönes, wenn auch „vollkommen falsches“ Bild von der Sprache.
Es folgt die Klangspur, immer wieder geht es bei den dreizehn Gedichten, die mit den titelgebenden Ölgemälden korrespondieren, um die sprachliche Dimension des Gedichtes, den Raum, den Hören und Sprechen eröffnen.

Legt man all das nun übereinander, die Überlegungen zur Sprache, die Suche nach dem Ich, aber auch die unübersichtliche und erschreckende Realität, entstehen daraus bei Ulrike Almut Sandig Gedichte, in denen Gegenwart und Vergangenheit, Märchen und Realität sich überlagern. Wie zum Beispiel im „Märchen vom Schlaraffenland“ gelingt Sandig so reinste Gesellschaftskritik auf der Folie der Märchen. Mit dieser sehr eigenwilligen Verknüpfung von Märchen, Balladen, romantischen Motiven und der harten Wirklichkeit, öffnet Sandig neue Räume. Räume in denen das Politische ebenso Platz hat, wie die individuelle Ratlosigkeit.


Ulrike Almut Sandig: ich bin ein Feld voller Raps verstecke die Rehe und leuchte wie dreizehn Ölgemälde übereinandergelegt. Neue Gedichte. Frankfurt am Main (Schöffling & Co.) 2016. 94 S. 22,00 Euro.

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