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Tone Avenstroup: in grund und boden

Gedichte > Münchner Anthologie

Tone Avenstroup

i bunn og grunn

begynner det innenfra
det humanistiske
begynner innenfra
tusenfryd begynner
brostein begynner

Tone Avenstroup

in grund und boden

beginnt es von innen
das humanistische
beginnt von innen
gänseblumen beginnen
pflastersteine beginnen

aus: Tone Avenstroup: ineinandersetzungen samstemmelse. Norwegisch/Deutsch. Übersetzungen von Tone Avenstroup und Bert Papenfuß. Berlin (Distillery) 2013, S.2f.

Tobias Roth

Dergleichen Steine wirst du kennen

Wenn Josef Hader durch die gleißende Maske des satirischen Ich bemerkt, „Humanismus ist: schon schauen, was geht; aber nicht ganz so. Humanismus ist Zanderfilet auf Rucola.“, zählt das zu den lustigen und düsteren Eisbergspitzen des Umstands, dass Humanismus in die Senkgrube der als Heuchelei bloßgestellten Begriffe entsorgt worden ist, wo vermutlich auch Wörter wie Gutmensch oder Friedenstruppe dümpeln. Der Begriff scheint zerschlissen, das Wort von Phasen der Inflation und Phasen der Vergessenheit ausgelaugt. Der historische Rekurs, welche Glanzzeiten das Wort einst hatte, scheint so überflüssig wie müßig: umso fruchtbarer und stets schon vegetabilisch erscheint da Tone Avenstroups kurzes Gedicht i bunn og grunn, das in dem schmalen Band ineinandersetzungen samstemmelse 2013 erschienen ist; ein Band, der eindrucksvoll Stadt- und Landschaftsvignetten, vermischt mit politischen Stellungnahmen, aufblitzen lässt. i bunn og grunn ist das zweite Gedicht des Bandes, nach einem zarten, landschaftsmalerischen Vierzeiler über das Eis in den Schären; der Titel verspannt den Text noch mit der Naturthematik; diese Kombination bringt am Beginn des Bandes einen programmatischen Bordunton zum Schwingen, der sich bis zum Ende durchhält. Nicht der Humanismus wird hier in historischer Aufarbeitung zurückgewonnen, sondern das Humanistische im Beginn gezeigt.

Der erste Eindruck ist zart, tastend, eine Ausstellung von dezenten und sparsamen Parallelismen entlang einer zurückhaltenden Grammatik; insgesamt Kürze, Kürze, die das Gewicht der einzelnen Worte mehrt; auch: Innerlichkeit. Aber so wie alles Innen aufgerufen wird, um das baldige Überschreiten nach Außen anzuzeigen, so wird auch die im deutlichen Vokabular querstehende Vokabel erheblich geschärft: Der –ismus wird auf das –istische zugespitzt und so die Frage aufgeworfen, was am Humanismus denn das Humanistische, mithin Humane, sein kann. Durch seine vergleichende Parallelisierung mit Gänseblumen und Pflastersteinen drängt auch die Frage aus dem Impliziten heraus, was im Spektrum ein brauchbarer Gegenbegriff wäre. Gerade der politische Nachklang, der auf dieses Gedicht in ineinandersetzungen samstemmelse folgt, erinnert daran, dass ein Gegenbegriff zum Humanismus schon oft gesucht und oft gefunden worden ist, besonders schön und grell in der Bestialität – wie in so ausgesprochen lesenswerten und kurzen Texten wie Giovanni Pontanos De immanitate (Über die Bestialität, 1501) oder Ernst August Evers‘ Über die Schulbildung zur Bestialität (1807), und wo noch mehr. Selbst noch vor diesem Horizont würde ich den Begriff des Humanismus in der oben erwähnten Senkgrube belassen, aber es erweist sich dann nur umso stärker die Tristesse des Befundes, wie weit es von dieser Senkgrube an noch abwärts geht.

Dem gegenüber steht das Humanistische, das einen Beginn setzt, das dynamis hat, und in Avenstroups analytischem Gedicht seine enge, strukturelle Verwandtschaft zum ästhetisch-landschaftlichen Bereich der Gänseblumen und dem politisch-oppositionellen Bereich der Pflastersteine zeigt. Es schwingt in den kurzen, apodiktischen Sätzen auch Glaube mit, und wenn schon nicht Glaube, so doch Zuversicht, dass etwas vegetabilisch von innen einen Anfang nehmen kann, gleichsam eingeboren und nicht von außen angestoßen, dass sich Kelchblätter der Menschlichkeit öffnen werden und sich, beginnend und schrittweise beginnend (Kein Weg, nur Gehen.), Ausdruck und Durchschlagskraft erzeugen.

Teilt das Humanistische mit der Gänseblume die ökonomische Nutzlosigkeit, so mit dem Pflasterstein die Infrastruktur und ihre Herausforderung. Fluchtpunkt im Beginnen, zweifach: Das Beginnen von einem Zeitpunkt aus, das Beginnen, das auf den Zeitpunkt zuführt. Beides sind offene, unabgeschlossene Horizonte. Es ist keine bedeutungslose Tradition, dass in explizit humanistischen Texten immer wieder das Studium der Geschichte und der Antike (nicht der gipsernen „klassischen“, sondern der sich immer weiter vervollständigenden), mit dem Aufruf zur emanzipatorischen Handlung verknüpft wird. Zum Humanistischen des Humanismus gehört die Hoffnung auf die eigene Wirksamkeit: sodass man einen Satz mit „in das Theater des Sophocles, auf die Rednerbühne des Cicero, in die Academie des Plato, und nach Olympia“ beginnen lassen kann, um ihn enden zu lassen mit „begeistert zu ächt republikanischen Tugenden, zum Gefühl persönlicher Würde, die nicht als Gnade annehmen will, was sie als Recht fordern kann, zur Klugheit im Rath, Entschlossenheit in der That, Edelmuth und Todesverachtung.“ (Evers) Indem Humanistisches, Blumen und Steine (Neuestes und Ältestes undsoweiter) über das Beginnen in Berührung gebracht werden, wird auch deutlich, dass die anspruchsvolle Beurteilung dessen, was begonnen haben wird, einen Großteil, wenn nicht den Hauptteil der Sache überhaupt darstellen wird. Und wie groß, wenn nicht hauptsächlich die Dimension des Anspruchs im schönen Satz des Terenz ist: Ich bin ein Mensch, ich glaube, dass mir nichts Menschliches fremd ist. (V.77 aus dem Stück Heautontimoroumenos, Der Selbstquäler.) Besonders deutlich wird es dann, wenn man, gut humanistisch, die Antike für den programmatischen Gebrauch zurichtet und beispielsweise die Auswirkung, die der Verlauf der Komödie von Terenz für die Bedeutung des Satzes hat, unterschlägt.

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