Timo Brandt: Ab hier nur Schriften (2)
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Slata Roschal
Zu Timo
Brandt: Ab
hier nur Schriften
Neulich,
im Künstlerhaus Lukas, bei Küchentischgesprächen, unterhielt ich mich mit einer
russischen Künstlerin, die sich darüber beschwerte, dass sie innerhalb mehrerer
Tage nur ein Gedicht geschrieben hätte. Ich meinte, dass es doch genug sei, sie
meinte, dass sie normalerweise schon zwei-drei gute Gedichte pro Tag schreiben
würde. Später lasen wir uns gegenseitig je ein Gedicht zu Ahrenshoop vor (dem
Dorf, in dem sich das Künstlerhaus befand), ich zuckte bei ihrem sofort
zusammen (Puschkin‘sche Reime, das lyrische Dichter-Ich in der Fremde, elegante
Ironie, nostalgische Suche), und sie meinte zu meinem tabellarischen Chorgedicht,
das wäre konzeptuell, ja.
Wenn
Texte nicht reinpassen in gegenwärtige Bewertungsmaßstäbe einer Kultur (oder
eher, einer Subbewegung einer Kultur, es gibt ja unterschiedliche Lyrikrichtungen),
heißt es nicht zwangsläufig, dass sie schlecht sind. Beim Lesen von Timo
Brandts neuem Lyrikband ließ mich das Gefühl nicht los, dass es in einem
anderen Kontext wohlwollender aufgenommen werden würde, in einem, der Wert auf
Tradition und expliziter Verbundenheit mit vergangenen Dichtern legt (ins
Russische übersetzt, müsste man eventuell die Star-Trek- und die Penis-Passage
streichen, aber hat auch nicht Puschkin heikle Gedichte gehabt). Was ich meine (und
ich kehre also wieder zurück zu mir selbst) ‒ dieser Gedichtband bietet mir
etwas von dem, was ich für mich als Lyrik definiere, und viel von dem, was
meine Geduld gegenüber Lyrik überschreitet und mich nervt. (Auch die grell-regenbogenfarbigen
Innenseiten des Buches, aber das ist wirklich Geschmackssache.)
Der
Autor ist offensichtlich sehr belesen (das merke ich nicht nur, die einzelnen
Referenzen und Elegie-Terzinen werden mir auch im Nachwort von Matthias Engels erklärt).
Man benutzt bei sowas gerne das Wort „Formbeherrschung“, als gut gekonnte
Handwerksarbeit ‒ wobei ,moderner‘ Kunst gleichzeitig auch eine
Formbesessenheit ohne tieferen Sinn vorgeworfen wird. Altertümlich anmutende
Formen, Reime, Formulierungen werden ja nicht schlecht dadurch, dass sie zurzeit
nicht en vogue sind. Nur ‒ es entsteht zwangsläufig eine Irritation, ein
Entfremdungseffekt, den der Band, soweit ich es mitbekommen habe, nicht
deutlich reflektiert oder für etwas Weiteres nutzt.
So
ein Gedicht, „Jedes Mal“, mit einem vorangestellten Zitat von Richard
Brautigan:
Alle Mädchen sollten ein Gedicht haben, das nur für sie geschrieben ist,und wenn wir dazu diese gottverdammte Welt auf den Kopf stellen müssen.
‒
Ich habe nichts von Richard Brautigan gelesen, es kann sein, dass mir da etwas
unterläuft. Aber ich vermute, dass es eine Art Troubadour-Haltung des folgenden
Liebesgedichts ankündigt, in dem es offenbar um die Liebe zu einem anonymen
„du“, einem „Mädchen“, geht. Ich empfinde die galante Ankündigung, die nostalgische
Haltung als nicht zeitgemäß, denn ‒ auch ohne feministische Kritik, S. Bovenschens
„Imaginierte Weiblichkeit“ usw. ‒ wollen alle Mädchen denn ein Gedicht haben,
und sollten Mädchen denn nicht lieber eigene Gedichte schreiben können, über
das, was sie für nötig halten. Diese Galanterie wird in keinen klaren
programmatischen Kontext gesetzt (Minnelyrik etwa), sondern steht so für sich
da, gefolgt von Strophen wie
Jedes Mal, wenn der Wind dein Haar wirft, denke ichdaran zu träumen.
oder
Jedes Mal, wenn du ein Foto machst, klopft mich ab,dass wir eigentlich schon nicht mehr sind.Mehr sind. (enough to be like whishes)
Dann
eine herausfallende, interessante Stelle (die Funktion der verschiedenen Einrückungen
im Text hat sich mir nicht erschlossen),
Jedes Mal, wenn ich allein bin undmeinen Penis im Spiegel sehe,erinnere ich michwie oft er schon in dir drin war,dann lächle ich und schäme mich zugleich.
(und
dann wieder
Manchmal, wenn du weg bist, möchte ichdir ein Gedicht schreiben, irgendeines, dieses,keines.)
Es
ließe sich diskutieren, ob sowas wie Liebeslyrik überhaupt noch möglich sei,
ohne Kitsch, Pathos zu werden, oder rein private Geschenke zu sein. Wobei die obige
Stelle auch eine Brechung des Zitats ist, geht es bei solchen angekündigten
Referenzen schließlich um die besagte Betrachtung des eigenen Spiegelbilds.
Ich
frage mich, ob sich die Texte dieses Bandes als romantisch bezeichnen lassen,
ob damit das Unfertige und Offene an ihnen erklärt wird. Oder als postmodern,
im Sinne von rein intertextueller Natur, es ist von allem ein bisschen.
Das
Buch sei, so das Nachwort, markiert von „geringer Angst vor gelegentlichem
Pathos, das viele Gegenwartslyriker meiden wie der Veganer den Rostbraten“. ‒
Der Vergleich trifft es vielleicht, denn die Haltung gegenüber Pathos ist eine
ideologische, der Argumente für und wider nichts nützen (der Veganer und der
Fleischesser sind in dem Kontext aber prinzipiell gleichrangige Positionen),
darauf basierte auch unsere Diskussion in Ahrenshoop. Ich würde es noch als
eine historisch erklärbare Allergie bezeichnen ‒ Pathos kann körperliche
Abwehrreaktionen auslösen. Solchen Gedichten wie „Nicht will ich mehr in alten
Weisen singen“ („Für Christiane“) verweigere ich mich entschlossen:
Keinen Sehnen mehr als Freske zu gelingen,durch Dinge ausgemacht, die ich nie nannte.Schon welkt in einem Chor die letzte Chance.Ich will noch nicht im Aufnehmen zerfließen.Träges mahnte mich oft, die Zeit zu lieben.Nicht trüb noch matt soll meine Seele geißeln,so stark sich manche Risse auch erwiesenmich von der Fülle fast brutal zu trennen,
[und
so immer weiter]
Auch
Vanitas-Motive und „Briefe an einen Freund in H“ (–amburg? –eidelberg?), dem
das Ich „mal wieder“ Bücher schickt und ihn wiederum erinnert, „Einmal werden
wir Leichen sein, bestattet, rottend, Knochen“, kommen mir seltsam juvenil vor,
ohne dass ich verstehe, was ich mehr damit machen soll, als den Anachronismus
festzustellen, und, ja, ich kenne diesen Topos, und, ja, inhaltlich stimme ich
ebenfalls dem zu, dass wir alle sterben, aber was weiter ‒
Dabei
gibt es auch andere, klare und sich einprägende Stellen, so
Der Tag, an dem ein alter Mann im Park Rousseau liestund weint.Und die Zirkuspferde ausreißen und ein spindeldicker Typsie nachts im Parkt gebückt sein sieht.An den alten Hundertmarkscheinerinnert wird.
oder
Zuerst waren es vor allem alte Fahrräder, die dort lagen.Im Graben schwammen Enten und beim Baum blühten Narzissensolange du denken kannst. [...]
Das
Buch hat bei mir Widerstand ausgelöst und dabei die eigenen Kriterien und
Erwartungen gegenüber Texten reflektieren lassen, auch gegenüber der
Rostbraten-Pathos-Problematik. Ich glaube immer noch, dass es passieren kann,
zu viel gelesen zu haben, zu viel von dem, was man selber gern schreiben würde.
Und ich bin gespannt auf das nächste Buch.
Timo Brandt: Ab hier nur Schriften. Gedichte. München (Aphaia Verlag - Mitlesebuch 146) 2019. 70 Seiten. 9,90 Euro.