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Thomas Kling: Die gebrannte Performance

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Konstantin Ames


Der Dichter als Businesspunk – Eine O-Ton-Sammlung ehrt
den Dichter Thomas Kling



Die Lyrikwelle, von der in regelmäßigen Abständen zu hören und zu lesen ist, sie wäre ohne die Vorbereitung des „Berserkers der Poesie“, als den sich der in Düsseldorf geborene Autor Thomas Kling selbst bezeichnet hat, unvorstellbar. Kling hat der Dichterlesung das Wasserglashafte ausgetrieben. Wer heute mit gedimmtem Stimmchen seine Verse runterleiert, den trifft Klings Verdikt „Kein Geschnuschel, bitte!“, die erste seiner Regeln für den Vortrag von Poesie; die andern betreffen politisch gestimmte dichtende Oberlehrer und die ätherische und hohle Pose, die in Hape Kerkelings berühmtem „Hurz!“-Sketch veräppelt wurde.

Einerseits leuchtet es deshalb ein, dass sich Norbert Wehr und Ulrike Janssen im Auftrag der Kunststiftung NRW mit einer Fülle an Originaltonmaterial aufwarten; und dennoch bleibt ein zwiespältiger Eindruck, der etwas mit der papierenen Museumshaftigkeit dieser Retrospektive zu tun hat. Das verschriftlichte Niederknien der Lyriker Norbert Hummel und Durs Grünbein etwa vor dem Andenken des 2005 früh verstorbenen Thomas Kling sind einfach nur rührselig. Hier wird der Eindruck vermittelt, als habe man einen unnahbaren Zuchtmeister vor sich. Überhaupt steht die konservativ-elitäre Seite Thomas Klings sehr zuungunsten des spleenigen Erben von Annette von Droste-Hülshoff, Catull, Else Lasker-Schüler, Christine Lavant und Georg Trakl im Vordergrund dieses Ohrenfests. Nur die kurze atmosphärische Schilderung einer Lesung aus dem Jahr 1986 von Marcel Beyer wirft ein Schlaglicht auf Kling als Punk.

Es wäre sicher nicht verkehrt gewesen, auch dem dichterischen Nachwuchs das Wort zu erteilen, um die Lebendigkeit seines Andenkens nicht nur durch Zeitgenossen zu behaupten, sondern auch durch das Urteil der Nachgeborenen zu beglaubigen. Abseits solcher Versäumnisse gibt es aber auch die restlos überzeugenden Aspekte dieser O-Töne-Sammlung. Neben den vier Stunden Tonmittschnitten der zahlreichen Auftritte Klings finden sich auch zwei Gespräche des Dichters auf der Raketenstation Hombroich bei Neuss, seinem letzten Domizil, eins davon aus dem Jahr vor seinem Tod. Von dem Lungenkrebskranken buchstäblich auf den letzten Metern und mit letzter Kraft über seine Poetik Auskünfte zu erhalten, das ist schlicht ergreifend. Die mäßige Tonqualität der Aufnahme zu bekritteln wäre insofern einfach nur kleinlich. Und ein substanziell besseres Interview als dasjenige, das die  Autorin und Journalistin Gabriele Weingartner im Jahr 2003 mit dem Dichter geführt hat, ist nur schwer vorstellbar. Alle Schnodderigkeit Klings, für die er geliebt und gehasst wurde, kommt hier hervor, ohne dass das Ganze in einer Tirade versumpft.
„Alle, die Kling verpasst haben“ – so wirbt der Klappentext bei der jüngeren Zielgruppe – hätten sich jedoch über einige Videomittschnitte der „Sprachinstallationen“ Thomas Klings mehr gefreut als über das buchästhetisch nicht überzeugend gestaltete Booklet („Begleitbuch“) mit putzigen und oft epitaphähnlichen Schwarzweiß-Fotos. Immerhin: Seine darin aufgeführten Bekenntnisse zeigen Thomas Kling als äußerst zerrissenen Künstler, dem die eigene Klassizität zu Lebzeiten immer bewusst war; der dazu offenbar nie ein entspanntes oder humorvolles Verhältnis entwickeln konnte. Und der doch nicht am eigenen Narzissmus gescheitert ist. Diese Sammlung ist nicht nur für Kenner von Thomas Klings Poesie ein Hörgenuss, sondern auch für alle, die schon immer wissen wollten, ob Poesie jenseits des Poetry Slams und der Lesebühnen noch Zukunft und ein Publikum haben könnte.



Thomas Kling – Die gebrannte Performance. Ein Hörbuch. Herausgegebenen von Ulrike Janssen und Norbert Wehr. 4 CDs (Laufzeit ca. 260 Minuten) und ein Begleitbuch. Düsseldorf (Lilienfeld Verlag) 2015. 24,90 Euro.

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