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Thomas Ballhausen: Rhizophora oder Was aus ihrem Mund kam

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Thomas Ballhausen

Rhizophora oder Was aus ihrem Mund kam


Wir stranden hier und tun so, als könnten wir einfallen, als hätten wir noch die Kraft dazu. Wir sehen das Tor an, als hätten wir es geöffnet, als wäre es nicht die Verbindung zwischen Haus und Körper. An diesem Ort wollen wir heimisch werden, uns zwischen Räumen der Gesundheit und der Krankheit zumindest vorerst niederlassen. Wir wollen uns festsetzen, wir diagnostizieren, delirieren. Die verbrannten Barken hinter uns bezeugen, dass wir kalt und grausam sind, präzise. Wir richten uns nach der Weisung des Orakels, beugen uns dem Spruch, erwarten geduldig die Zukunft als Bestrafung. Wir lernen immer noch die Lektion, dass Prophetie auch mit dem Verständnis der Geschichte, dem Verknüpfen des Vergangenen zu tun hat. Diesmal wird es anders werden, so behaupten wir und glauben es für einen kostbaren Moment sogar, aber wir wissen immer schon, dass es nicht anders werden kann, dass das so nicht stimmen wird. Wir verstehen nicht, deshalb würgen wir Worte hervor, legen sie zu Sätzen auf, bündeln sie zu dicken Knäueln. Wir berichten, weil wir zumindest davon etwas verstehen, das ist die Wahrheit der Akten. Wir heben Gruben für die Sätze aus, Aufzeichnungen finden für uns vor allem auch im Raum statt. Wie wir notieren, geht nicht nur über die Zeit hinweg. Wir vermerken, um zu verstehen, um herauszufinden und zu lichten. Nein, wir ersetzen keine Disziplin, darin sind wir ebenfalls nicht ausgebildet, auch darin sind wir völlig unbegabt. Resonanz ist, was bleibt wenn wir erneut enttäuscht haben. Wir lehnen jegliche Verantwortung ab, nachts würgt uns deshalb etwas im Schlaf, auch das geht vorbei. Sprache und Objekte dienen uns als Instrumente, wir erkunden so sensibel wir nur können, also nicht sehr. Wir sind delikat, wir sind der blanke Horror, verlieren Form und Fassung. Lange Ärmel verdecken alte und neue Verletzungen, eine Narbe ist eine Erinnerung, aber woran. Wir verschweigen die Wahrheit, sie wird uns mitunter lästig. In schwachen Momenten wollen wir etwas gestehen, doch Konflikte scheuen wir. Man täuscht sich wiederholt in uns, wir schieben Worte vor, wollen angeblich etwas wie Ruhe haben. Wir waren nie eure Freunde, eure Lieben, wir waren vielleicht bloß ambivalent und etwas gelangweilt. Nein, wir wissen auch das nicht. Wir vervielfältigen uns, treiben aus, weil uns ständig Teile absterben. Wir gehen ein, in was wir nicht durchblicken und sprechen dabei leichtfertig von Gefühlen, eben weil wir sie weder haben noch kennen. Was wir alles gelernt haben vorzutäuschen um gesund zu wirken, was wir vergessen und übersehen haben. Wir versuchen nicht in Niederlagen zu denken oder gar in Verlusten. Wir waren die einst vielversprechenden Hoffnungen, was ist aus uns geworden. Wir wissen, wir sind sterblich und die Zeit läuft uns davon, aber auch das wollen wir nicht wahrnehmen. Wir tun so, als ob wir bis in alle Ewigkeit so weitermachen könnten, als ob wir einfach weiterhin bloß üben dürften. Wir legen die Worte in den Grund, wir verbergen den Bericht aus Sätzen, damit er gut verborgen ist, damit er gedeiht. Wir werden in dieses Gemäuer aufgehen, einfach ein paar Gespenster mehr sein. Wir werden nicht verstanden haben, auch den eigenen Einsatz nicht. Nichts wird wirklich passiert sein oder je begonnen haben.


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