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Tamás Jónás: Drei Gedichte

Montags=Text
Tamás Jónás

aus dem Ungarischen von Anne-Marie Kenessey

Drei Gedichte


Wie eine, die verbirgt

Mutti spielte mit uns Reichtum.
Der Hof war unsere Stube, Vati
strich die Decke dunkelblau,
Mutti lächelte oder ärgerte sich
über die gelblichen Sprenkel und Flecken,
wir wussten es nicht, dann trieb sie
die vom Wind gemästeten Laubhühner ein,
sie ging auf die Straße, spähte in den Himmel,
„heute stört kein Sturm den Fernseher“,
im Nichtgarten pflückte sie noch Rosen,
„nichts ist schöner als die dunklen, schweren Blütenblätter“,
auf unserem Hof standen zwei Maulbeerbäume,
„ihr braucht euch nicht zu beeilen, ich lese“,
da machten sich die zwei Bäume in die Kneipe auf,
in der Küche zündete Mutti den Lüster an,
setzte sich an den Tisch, wartete auf die Magd,
euer Leibgericht wurde heute gekocht, sagte sie,
wir hatten keine Ahnung, was es sein könnte,
lange saßen wir da, wagten nicht zu mucksen,
es war finster, wir sahen Mutti nicht, aber sie weinte,
„na gut, ihr Fratzen, es ist Schlafenszeit“,
und sie trieb alle in ihr Zimmer,
alle in dieselbe Ecke.
Dann deckte sie den ungedeckten Tisch ab.
Sie setzte sich auf den Boden und tat wie eine,
die verbirgt, dass sie gestorben ist.



Die Träume werden registriert

Die, die mir gefällt, vernachlässige ich unbedingt.
Ich fürchte mich vor ihr oder weiß vielmehr: ich wäre kein würdiger Partner.
Nur Nahrung kann ich sein für alles Schöne, Opfer.
Wenn ich in der Lage bin, sie nicht zu begehren, liebe ich sie schon richtig.
Ich bringe sie nicht heim, lauere ihr nicht auf, ich weiche ihr aus.
Ich stelle mich ihr nie vor, sie soll nicht wissen, wer ich bin.
Ich belästige sie nicht am Telefon und verfolge sie nicht auf der Straße.
Ich schwärme nicht von ihr – vielleicht werden auch die Sehnsüchte registriert.
Und ich benutze sie doch: mit ihr tilge ich meine geheime Schuld.
Höchstens Gedichte schreibe ich über sie, doch niemals ihr.
Ich vergesse ihr Gesicht, ihr Los, ihren Namen, nicht einmal mein Traum verrät ihn.
Stummer Zeuge des Untergangs der Welten: ich rüste mich, sie zu verbergen.
Einen Sturm erzeuge ich, mögen die sie Suchenden sich in mir verirren.



Mit Recht und Nägeln

Ob mein Sohn mich wohl so hasst wie ich damals Vater, als
er draußen in der Küche saß, seinen Kopf auf den Tisch fallen ließ, wie ich
ihn jetzt auf den Tisch fallen lasse, er war stockbetrunken und ich gerade
völlig hoffnungslos, und es mag sein, dass ich noch nicht einmal geboren war,
als mein Vater seinen Kopf so stramm hoffnungslos hängen ließ
über dem Tisch der Tische und meine Mutter das Schweigen
meines Vaters gnadenlos aufschnitt wie das Rippchen und ihn
in der Stille ertrinken ließ, na dann, wann beginne ich zu trinken
und mit wem, wie, was, woraus und werde ich so feige sein,
es zur Philosophie aufzurunden, mein Vater nie, lieber
sagte er, jedem steht das Trinken zu, und ich müsste jetzt
ehrenhalber auch sagen, jeder Rausch steht zu,
jede Bewusstseinsreise, Liebe, jedes Waffenschmieden,
jede Gottesleugnung und andere raffinierte Freuden, doch noch hänge ich
krampfhaft an meinem Sohn, es sind zwei, und derzeit an einem
wirklich, ausgerechnet an dem, den ich offiziell weniger liebe,
ob er wohl schon meinen Körpergeruch, mein Lächeln hasst,
wie ich ins Brot beiße, wie ich Wasser trinke,
mit einem Genuss, als tränke ich Gottes Blut, ein Vampir,
wenn ich sage, „Schluss damit“, ob er mich dann verflucht
oder über mich schweigt wie ich einst über Vater,
ich schäme mich, streiten hätte ich mich mit ihm sollen, ihn anschreien,
doch ich ging an ihm vorbei wie an einem Hundekot
auf dem Gehsteig, und ob es wohl eine Gnade gibt, ob es möglich ist,
dass mein Sohn, beide mich schlicht und untrennbar
lieben.


In Tamás Jónás: Geröll. Gedichte. Aus dem Ungarischen von Anne-Marie Kenessey. Berlin (Klak Verlag) 2021. 118 Seiten. 15,00 Euro.
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