Tamara Štajner: Schlupflöcher
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Beate Tröger
Tamara Štajner: Schlupflöcher. Gedichte. Heidelberg (Das Wunderhorn) 2022. 72 Seiten. 22,00 Euro.
Zäh und zärtlich
Tamara Štajner ist eine vielseitige Künstlerin, die sich schreibend in mehreren Sprachen bewegt und die viele ihrer Gedichte mit Klang, Musik und Bildern anreichert. Sie bewegt sich auch über die Ränder der Sprache hinaus in Atmosphären, die durch Töne, Geräusche, QR-Codes erzeugt werden. So ist ihr im Frühjahr 2022 erschienener Debut-Gedichtband „Schlupflöcher“ im Grunde eher wie eine Partitur aufzufassen, zeitigt dessen Lektüre eine Erfahrung, die andere Effekte hervorruft, als der Besuch einer Lesung bzw. Performance der Autorin, Musikerin und Performerin, die man sich nicht entgehen lassen sollte, wenn sich die Gelegenheit zu einem Besuch bietet.
Tamara Štajner wurde 1987 als Zwilling im slowenischen Novo mesto geboren. Sie wuchs auf in Krško auf, einem an der Save gelegenen Ort im südöstlichen Slowenien. Später besuchte sie das Musikgymnasium in Ljubljana und zog mit 18 Jahren nach Wien. Zur Bratsche, so erzählt sie, kam sie durch einen Lehrer, der ihr ein entsprechendes Instrument in die Hand drückte und fand, es sei genau das richtige für sie. Und tatsächlich erwuchs aus dem Musizieren mit der Bratsche ein Studium im Konzertfach Viola an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Tamara Štajner wurde Musikerin und ist sowohl solistisch wie auch kammermusikalisch und in Orchestern tätig.
Doch lange schon treibt sie, wie sie erzählt, auch der Wunsch um, zu schreiben und dabei Töne und Worte, Musik und Sprache zu verbinden. Dass die Musik dabei zugleich immer eine wichtige Quelle für Tamara Štajners Schreiben bleibt, die Musik in all ihren Manifestationen und Möglichkeiten, auch in historischen Dimensionen, in den Gedichten eine Rolle spielt, zeigt sich an den Titeln der Zyklen von Štajners Debutband, von denen einer der insgesamt sechs mit „fermaten“, ein anderer mit „auflösungen“ überschrieben ist, wenn in den Anmerkungen eine ganze Seite den musikalischen Vortragsanweisungen der als Partituren notierten Gedichte wie „votiv kino“, „von infusionsbäumen“, „lošinj“ oder „auflösung“ gewidmet ist, wenn ein Gedicht den Namen der Komponistin Olga Neuwirth zur Überschrift hat, wenn in sich „über der sava“ Corona und Ludwig van Beethoven ein Stelldichein des Verstummens geben.
Tamara Štajners
Gedichte sprechen also Hören und Sehen gleichermaßen an und erzeugen etwas, was
mit der Überschrift des ersten Zyklus des Bandes als „Visions of Reality“
beschrieben werden kann. Sie loten Modi der Wahrnehmung aus, bilden expressiv die
Gleichzeitigkeit von Denken und Wahrnehmen ab. Die „Visions of Reality“ sind
Protokolle eines sprechenden Ichs in urbanem Umfeld, in dem sich das Innen und
Außen der sprechenden Instanz vermischen. Wird hier erinnert oder beobachtet?
Oder beides zugleich?
Eindeutiger auf Erinnerung zielend sind die Bučanje-Gedichte des zweiten
Zyklus. Sie beschwö-ren erinnerte Bilder, Klänge und Gerüche, die sich im Laufe
der Zeit zu verflüchtigen drohen: „immer flach atmen / der abwesenheit aller
tiefe aller / erinnerung nachtrauern“. Ein Bildspender dieses Zyklus und ein
Stimulans der Erinnerung ist dabei der Übergang von Wasser und Meer, die slowenische
Küste als Urlandschaft, die in Tamara Štajners Gedichten immer wieder eine
Rolle spielt, deren Anblick auch an anderen Küstenorten wie etwa der
portugiesischen Stadt Porto, der zwei Gedichte gewidmet sind, erneut die
Überlagerung eines konkret geschauten mit einem aus der Kindheit vertrauten,
erinnerten Ort im Text in ähnlicher Weise manifestiert, wie es in den „visions
of reality“ der Fall ist. Immer wieder kehrt das Ich dieser Gedichte in die
Kindheit zurück, in die Küstenkindheit, in der sich die Hitze im Körper
ausbreitet, in der der Anblick des Lichts und der Felsen, der Geschmack von
Salzwasser als Urerfahrungen des sprechenden Ichs benannt werden, in der die
Erinnerung in Zustände des Traums hinübergleitet.
Der titelgebende Zyklus „Schlupflöcher“ schlägt einen anderen Ton an. Das Ich
spricht hier ein Du an, bei dem es sich um ein nicht oder tot geborenes Kind
handelt „ein kindskörper mit oversize sunglasses + langem / haar der traurige
lieder singt ein“. Was bedeutet es (nicht) Mutter zu sein? Diese Frage, die im
Zyklus vor allem auch Wahrnehmungen des Körpers poetisch zu fassen versucht,
wird hier gleichermaßen differenziert wie emotional in eine Sprache übersetzt,
die eine subjektive Erfahrung in eine universelle transformiert, die Sehnsucht
nach Verbundenheit und den Wunsch nach Autonomie verbindend, zäh und zärtlich
zugleich:
bald zwei jahre so groß SOgroß alleine laufen plaudernerzählen großes mit zerzaustenzerstückelten zerkindertenworten erzählen mir erzählen +lachen wenn dir danach ist +
Das Ich dieser
Gedichte verfügt über ein hochempfindliche Sensorium und ein virtuoses
Instrumentarium, die Lektüre von „Schlupflöcher“ macht neugierig, wie sich
dieses Werk weiter fortschreiben wird.