Stefan Hölscher: Ein paar fast nüchterne Worte über Armseligkeit
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Kolumne 3 (18.12.2020)
Stefan Hölscher: Ein paar fast nüchterne Worte über Armseligkeit.
Zum Ende von Fixpoetry
Als Fixpoetry vor
Kurzem bekannt gab, zum Ende des Jahres den Betrieb einzustellen wegen
Finanzmangel, war ich sehr überrascht. Überrascht über all die Überraschten,
Schockierten und Betroffenen; über all diejenigen, die meinten, aus allen
Wolken fallen zu müssen angesichts dieser Nachricht. Einer Nachricht, die
vielleicht vom konkreten Zeitpunkt her überraschend genannt werden kann, doch
ganz sicher nicht an sich. Denn wurde nicht schon seit Jahren auf Fixpoetry mit
größter Deutlichkeit rübergebracht, dass das Geld nicht reicht, man (fast)
keine Finanzierungen für den Betrieb der Seiten aus öffentlicher Hand erhält
und auch die Geldgeber aus der Wirtschaft mehr als rar sind? Deutlicher als
hier, und zwar permanent, sozusagen sichtbar bei jedem Klick auf die Seiten,
kann man es, glaube ich, nicht kommunizieren.
Worin genau bestand dann die Überraschung der
Überraschten und zutiefst Geschockten? Haben sie gedacht, dass es irgendwie
doch nicht so ernst und so schlimm sei mit der Finanzlage? Dass auch, wenn das
Geld fehlt, alles irgendwie hübsch weitergeht? Haben sie gedacht, irgendwer wird
sich schon kümmern?
In einem der Zeitungsartikel zum Ende von Fixpoetry
stand, dass es wohl 91 regelmäßige Spender*innen gab. Und spenden konnte man ja
schon mit ganz wenigen Euro im Monat. Mit so wenig Euro, dass fast jede/r dazu
in der Lage gewesen wäre – im Rahmen der eigenen Möglichkeiten.
Allein bei Facebook hat Fixpoetry fast 9000
Abonnenten. Insgesamt dürfte es deutlich mehr User der Seiten geben. 91
Spendenbereite sind dann also nach Adam Riese deutlich weniger als 1%. 1% der
leidenschaftlichen Nutzer*innen dieser Seiten waren also bereit, auch ein paar
Groschen (oder vielleicht auch ein paar mehr) für die Sicherung des
Fortbestands von Fixpoetry ins Körbchen zu werfen. Hut ab vor diesen 91. Das
meine ich ernst. Dass es dann umgekehrt mehr als 99% nicht getan haben, finde
ich schlichtweg armselig, wenn es einem denn so wichtig ist und der Hilferuf so
unüberhörbar dauerhallt.
Natürlich kann man immer auf den Staat zeigen.
Und, ja, ich fände es auch mehr als angebracht, wenn es aus öffentlichen
Mitteln möglich wäre, ein Projekt wie Fixpoetry zu finanzieren. Aber wenn das
nun mal nicht erfolgt – warum auch immer – dann ist wohl jede/r selbst gefragt,
etwas zu tun. Weil sonst: passiert nichts.
Das hieße dann wohl auch: nicht nur darauf
geiern, dass endlich mal wieder ein schlauer Text von einem selbst veröffentlicht
wird, sondern mit in die Verantwortung gehen, es selbst mittragen - soweit man eben
kann. Denn tut man das unter diesen Umständen nicht, dann hat man auf jeden
Fall eines getan: seinen Beitrag zum Untergang konsequent mitgeleistet.
Ich hoffe, es wird nicht allzu pauschal und ungerecht,
was ich hier jetzt von mir gebe: aber was hier passiert ist, scheint mir insgesamt
nicht vollkommen zufällig zu sein. Viele Metiers, Berufsgruppen, Kulturen und
Klicken durfte ich schon in meinem längeren Leben erleben. Ich würde sagen, die
Lyrikszene ist mit einigem Abstand die am wenigsten solidarische und
gemeinsamkeitsorientierte Gruppe, die ich bislang wahrgenommen habe (liegt ja
vielleicht auch an mir.) Jede/r schaut eigensinnig, wie man hier nun mal ist
und sein möchte, vor allem auf sich. Und wundert sich dann über solches…
Ich selbst hatte keinen guten Draht zu
Fixpoetry. Meine ganz persönlichen Erfahrungen waren – ich kann es nicht anders
sagen – nicht eben schön. Nichtsdestotrotz:
Diese Plattform ist wohl für die lebendige Diskussion von Gegenwartslyrik das
nicht nur reichweitenstärkste, sondern auch wichtigste Forum im
deutschsprachigen Raum gewesen.
Das sehenden Auges auch aus der Lyrik
Community, die offenbar keine ist (und vielleicht noch nicht mal sein möchte),
so ungerührt-schockiert zugrunde gehen zu lassen, finde ich, sorry für die
Wortwiederholung: armselig. Wird man daraus lernen? Fraglich.