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Slata Roschal: Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten

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Kristian Kühn

Slata Roschal: Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten. Berlin. (Claassen) 2024. 176 Seiten. 22,00 Euro.

Gender Studies aus der Tiefe


„Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“ ist Slata Roschals zweiter Roman, kürzlich erschienen, nach ihren beliebten „153 Formen des Nichtseins“ von 2022. Sie selber sagt, es handle sich in beiden Fällen um einen Roman ohne Handlung. Ein Roman mit Gedankenketten und Assoziationen einer jungen Frau, namens Maria, später auch Mary, die aus Polen nach Deutschland gekommen ist, Dolmetscherin bzw. Übersetzerin ist, mittlerweile zwei kleine Kinder hat, Eliah und Laura, und einen Mann, Gernot, also das Sujet für viele Möglichkeiten an Handlung und Anspielungen. Es geht um junge Eltern, den femininen Teil junger Eltern, sprich die Befindlichkeiten, die Gedankenwelt einer jungen Frau, um Überlegungen zur Entwicklung einer Familie auch:
Wir könnten Kurse für werdende Eltern anbieten, in denen geübt wird, auf quietschendem, instabilem, möglichst geeigneten Bett oder Sofa die Bewegungen zu vollziehen, die für ein befriedigendes Zusammen-leben nötig, mit Zusatzfaktoren wie dünne Wand, fehlende Tür zum Nebenzimmer, darin ein zum grund-losen Aufwachen neigendes Kind, ein bis in die Nacht am Smartphone spielender Teenager, Zusatzfaktoren wie hungriger Kater, lärmende Nachbarn, oder umge-kehrt, völlige Stille, griffbereite Kleidung, übergewor-fene Decke, ist die Technik erlernt, der Wille ungebro-chen es etwa zwei Jahrzehnte lang durchzuziehen, anstatt darauf zu verzichten, sich irgendwann des-wegen zu trennen usw.
Das sind die lustigen, wenn auch nüchternen Worte Marias aus dem Buch. Neben ihrem Humor und einem gewissen Unmut gegenüber den überkommenen Geschlechterrollen zeichnen sich ihre Gedankengänge immer wieder auch durch einen Widerstand gegen ihre Rolle als Mutter aus. Sie misstraut ihrer Kaiserschnittnarbe, spürt Regungen nach, vielleicht doch unglücklich zu sein, gebunden, zugenäht, überhaupt: was ist das, eine glücklich unglückliche Mutter, die ihre Kinder versorgt und sie behütet und für sie alles tut, zunächst wohl das Gegenteil von einem Genderabbild wie aus der Werbung, bei der alles im Stereotyp läuft, nicht einfangbar, aber gut. Beruflich beschäftigt sie sich mit Übersetzungen deutscher Auswanderer nach Wisconsin und Hamilton, Ontario. Briefe, die ein gewisser Joseph, vielleicht auch andere Josephs, in den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts an Frauen geschrieben haben, um sie nachzuholen und einzuladen, so dass Maria im zweiten Teil des Romans – trotz ihrer Nüchternheit – in die imaginative Rolle einer der angesprochenen Geliebten schlüpft und sozusagen 100 Jahre später als Mary den Briefen Josephs antwortet, wenn nicht sogar dem Ur-Joseph, mit ihren zeitgemäßen eigenen Erlebnissen und Befindlich-keiten.

Diese fiktionale zeitweilige Identitätsschwankung, in ihrer Mehrfachzange zwischen Mythos, Immigration als Wanderin hier und Emigration nach Nordamerika mit Auswanderungs-gelüsten dort, trägt unter anderem in ihr auch ein Spiel mit Selbstmordgedanken hervor, so dass der dritte Teil des Buchs mit einer Anziehungskraft der Unterwelt und dem dämonischen Sog der Geschlechtertiefe spielt. Roschal gab bei einer ihrer Buchpremieren an, dass es sie reize, den weitergeführten literarisch traditionellen Hades (als underground seit Homer etwa) auch mit Frauen bevölkert sehen zu wollen. Bis dato seien kaum namhafte Heroinen aus den Aufzeichnungen der Unterwelt hervorgetreten.

Damit verweist sie auf ihre Dostojewski-Studien, die zu Roschals Doktortitel geführt haben, und auf ihr Motto für dieses neue Buch, und zwar aus Dostojewskis Verbrechen und Strafe bzw. (bekannter unter dem Titel) Schuld und Sühne:

Und wenn man dich fragen sollte, dann sag nur, ich sei wohl nach Amerika gefahren. Er setzte den Revolver an seine rechte Schläfe.


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