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Roland Erb: Trotz aller feindlichen Nachricht

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Dirk Uwe Hansen

ausreichend, dass man aufstehen kann


Nach langer Zeit ist nun endlich – unter dem äußerst passenden Titel „Trotz aller feindlichen Nachricht“ – ein neuer Band mit Gedichten Roland Erbs erschienen. Bei den hier versammelten Gedichten handelt es sich um Texte der letzten 44 Jahre, von denen nur einige datiert sind (das älteste auf 1970). Auch sind die Gedichte nicht chronologisch angeordnet; sie scheinen eher nach locker-assoziativen Kriterien in sechs Kapitel gegliedert.
Dass wir dadurch die Gedichte nicht von vorneherein in einen zeitgeschichtlichen Kontext setzen können, führt zu einem interessanten Effekt:

Das Ohr

Wir halten das offene Ohr
an die Erde, sehr schwach
dringt ein Beben herauf
wie von hastig stampfenden Hämmern
weit über Land oder
Panzerketten, die blindwütig
Dörfer einebnen, wir halten
das offene Ohr an die Erde,
sehr schwach


Ob wir bei den Panzerketten an die Verwüstungen durch den Tagebau denken oder an bereits existierende oder noch bevorstehende Bedrohungen durch militärische Konflikte, mag hier ungewiss bleiben; die Schwäche des offenen Ohres aber verursacht in allen Fällen gleichermaßen Unbehagen.
Und doch lassen sich viele der Gedichte dieses Bandes als Zeitzeugengedichte lesen.


Deuterichs Hof

Hier, wo der Krieg
ein Trümmerfeld hinterlassen
und allein Deuterichs Hof
fast unbeschädigt zurückblieb
als beharrlicher Rest
in verdorrter Landschaft, sah ich,
wie bei strahlendem Sommerlicht
die stählerne Abrissbirne
immer wieder davorschlug,
das starke Gemäuer brechend
des uralten Bürgerhauses
mit dem barocken Erker,
den schlanken Säulen im oberen Stock
und dem zierlichen Giebel darüber.
Staubwolken sah ich
aufsteigen, sich mählich verziehen,
Baufreiheit wurde geschaffen,
so nannte man es.
Doch eine Ödnis breitet sich heute,
ein holpriger Platz voller Pfützen,
der bei den Friedensgebeten
der Grünen Minna, den zähnefletschenden Hunden
und später den dürftigen Pfannkuchen- und
Bratwurstbuden der Wende
als Stützpunkt diente.


Der Sprecher dieser Gedichte ist einer, der sehr genau hinschaut auf die Schichten der Geschichte und aufmerksam macht auf die Nahtstellen zwischen den großen und den kleinen Verwerfungen und Erschütterungen darin. Er tut das in einem sehr leisen, schlichten, bisweilen beiläufigem Ton. Formale Experimente, ungewöhnliche Wendungen, Brüche in der Syntax finden sich in Erbs Gedichten kaum. Löste man die Zeilenumbrüche auf, ließen sich die Texte als Notate, Tagebucheinträge, Mitteilungen lesen. Diese Unauffälligkeit des Sprechens aber ist Programm:


Beim Aussteigen

Als sich die Tür schon geöffnet hatte,
die trübgelbe Bahn zum Halten kam,
war die Straße stockfinster,
doch der Wagen der Tram glitt unmerklich weiter,
so dass er blindlings den Fuß auf die Stufe,
dann auf das schwarze Pflaster setzte
und mit dem Kopf auf den Steinen lag.
Er erhob sich im Nu aus dem Staub,
verbiss den dröhnenden Schmerz,
indes sich die Freunde zerstreut,
etwas besorgt,
umblickten nach ihm.
Taumelnd ging er rasch hinterher
und tat,
als ob nichts gewesen sei.


Das ist alles ganz lakonisch und schlicht erzählt, und dabei wird jedes Wort präzise gesetzt. Ein Gestus offenbart sich hier, wie in allen Gedichten des Bandes: der Gestus eines Zurückgebliebenen, Hinterhergekommenen, der nie ganz verleugnen kann, dass er gestrauchelt ist. Wobei der Grund für diese Verzögerung sowohl ein von außen verursachtes Hindernis ist (natürlich lassen sich viele der Gedichte auch autobiographisch lesen und etwa auf Erbs prekäre Lage nach dem Publikationsverbot von 1981 beziehen), als auch in dem genauen Hinschauen des hier Sprechenden liegt. Dieser Gestus des stillen aber hartnäckigen Beobachters und Mahners, der dabei nie das eigene Beteiligtsein außer  Acht lässt („Zwölf Citoyens stehn im Halbkreis dabei, / erschrocken. / Da steh auch ich.“) ist es, der die geflüsterten Appelle so eindringlich macht und der im Gedächtnis haften bleibt.
Immer wieder kreisen die Gedichte um Schmerz, Verlust und Bedrohung (der Liebe, der Jugend, der Freiheit, der Würde); doch dabei auch immer wieder um ein Wieder-Aufstehen und um die Möglichkeit, dem Verlust nicht mit Resignation, sondern mit dem Mut des dichterischen Schaffens zu begegnen („Weide am reißenden Strom, die wieder Schösslinge treibt, / zornige Frau, die ich suchte, verlor, wieder fand, angstvoll halte, / ... /  Arbeit und Halt und Form, die mir ständig entgleiten, / die ich vollende, vergeblich aufsuche danach, / die eines Tages mir unter der Händen erwächst.“ heißt es in „In dieser Sprache“).
Mehr wäre zu sagen. Über den eingängigen Rhythmus mancher Verse, über die Figuren, denen wir in den Gedichten begegnen (der alte Metaller, die junge Frau auf der Straße...), über die Bilder, die die Texte im Kopf hinterlassen – aber die möge sich jeder der vielen Leser, die ich diesem Buch wünsche, selbst heraussuchen.
Nur eines meiner liebsten Gedichte des Bandes will ich noch hierhersetzen:


Verschnaufen am Steilhang

Der lohnende Anstieg beginnt erst jetzt.
Es ist das Ohr an den Abgrund zu legen,
zu hören das geilende Kreischen der Sägen.
zu sehen, wie der Honig der Stille tropft
aus schwärzlichen Waben langsam,
zu schmecken die vergessene Würze des Wassers,
das kühl durch die Wände sintert,
zu ahnen den Weg in den Mahlgang der Steine.
Der lohnende Anstieg beginnt jetzt.



Roland Erb: Trotz aller feindlichen Nachricht. Gedichte. Hrsg. von Ralph Lindner, Jan Kuhlbrodt, Jayne-Ann Igel. Leipzig (Poetenladen, Reihe Neue Lyrik, Bd. 7) 2014. 128 Seiten. 16,80 Euro.

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