Robert Stripling: Unter Stunden - Album I
Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen
Dass alles sinnlich leuchte
Zu Robert Striplings „Unter Stunden“
Von Stephan Turowski
Wundern
wir uns nicht, dass Robert Striplings Unter Stunden, das erste von ihm
so genannte „Album“, dem noch weitere folgen werden, seitens des Feuilletons kaum
angemessen gewürdigt wurde. Diese kollektive Verweigerung entspricht oder
verdankt sich sogar der poetologischen Abwehr des Autors gegenüber den landläufigen,
marktkonformen Gattungs- und Lektüre-gewohnheiten: Dieser Text ist weder Gedicht
noch Prosa, er ist immer, ähnlich vielleicht den Epen Homers, beides zugleich,
ist ein einziger großer, in unendlich viele Wahrnehmungs- und Realitätsebenen vorstoßender
Gesang, dessen einzelne Teile sich beim Lesen ganz unwillkürlich ineinanderfügen.
Doch wer singt da so gnadenlos detailliert über die eigenen, so heilsamen wie
heillosen Irrnisse des Lebens, der Liebe und des Schreibens, über die vielen erlittenen
physischen und psychischen Brutalitäten, die das Ego insoweit zersplittert
zurückgelassen haben, dass es eben diese Splitter zu diesem undurchdringlich-dringlichem
Album hat zusammenfügen können? Stripling hat hierfür eine Ich-Figur erschaffen,
die all die prismatischen Brechungen des Textes in sich bündelt, die zudem alles
auf den unentwegten Reisen quer durch Deutschland und Europa Gesehene und
Gehörte in sich zentralisiert, um es dann gleich wieder, auf dass alles sinnlich
leuchte, zu fragmentieren. Hierdurch erlöst Stripling die von ihm geschaffene
Ich-Figur von der erdrückenden Schwere und Enge des Autobiographischen, der
Text erreicht immer wieder, allen den Erzähler dissoziierenden Widerfahrnissen
zum Trotz, eine rührende Zartheit und Heiterkeit, andere, im Verlauf stetig
wiederkehrende, meist nur durch Abkürzungen bezeichnete Figuren tauchen auf,
spiegeln dem Ich, das im Prozess der Lektüre immer mehr uns glücklich Lesende zu
umfassen beginnt, den ihm innewohnenden, Leere und Fülle ineinander stürzen
lassenden Reichtum.