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René Descartes: Betrachtungen über die Grundlagen, Teil 2

Poeterey
René Descartes
 
Betrachtungen über die Grundlagen der Philosophie.

(Meditationes de prima philosophia, 1641)

Übersetzt von Ludwig Fischer
 


Zweite Betrachtung
Das Wesen des menschlichen Geistes; es ist uns bekannter als der Körper.

Die gestrige Betrachtung hat mich in so mächtige Zweifel gestürzt, daß ich dieselben nicht mehr loswerden kann; und doch auch sehe ich keinen Weg zu ihrer Lösung! Mir ist, als sei ich unversehens in einen tiefen Strudel geraten und so herumgewirbelt, daß ich auf dem Grunde keinen Fuß fassen, aber auch nicht zur Oberfläche emporschwimmen kann.

Doch ich will den Mut nicht sinken lassen und noch einmal denselben Weg versuchen, den ich gestern gegangen war; ich will also alles aus dem Wege räumen, was auch nur den Schein eines Zweifels zuläßt, genau so, als hätte ich es für gänzlich falsch erkannt; ich will vorwärts dringen, bis ich etwas Gewisses erkenne, sollte es auch nur die Gewißheit sein, daß es nichts Gewisses giebt! Nur einen Punkt, der fest und unbeweglich sei, verlangte Archimedes, um die ganze Erde von ihrer Stelle zu bewegen; auch ich darf Großes hoffen, wenn ich auch nur das Geringste gefunden habe, das gewiß und unerschütterlich ist!

Ich nehme also an, alles, was ich um mich sehe, sei falsch; ich glaube, daß nichts von alledem, was mir meine trügerische Erinnerung vorführt, je existierte; ich habe überhaupt keine Sinne; Körper, Gestalt, Ausdehnung, Bewegung und Ort sind Chimären! – Was soll da noch wahr sein? Vielleicht dieses Eine, daß es nichts Gewisses giebt!

Aber sollte es denn wirklich nicht noch etwas Anderes von allem bereits Angeführten Verschiedenes geben, das auch nicht die geringste Möglichkeit zu einem Zweifel bietet?

Giebt es vielleicht einen Gott – oder wie ich ihn sonst nennen soll – der mir diese Gedanken einflößt? – Doch wozu soll ich dergleichen annehmen, da ich wohl auch selbst ihr Urheber sein könnte! – So wäre aber doch wenigstens Ich etwas?

Allein ich habe ja bereits geleugnet, daß ich irgend einen Sinn, irgend einen Körper habe! – Doch halt! Was folgt denn hieraus? Bin ich denn so sehr an den Körper und die Sinne gebunden, daß ich nicht auch ohne sie sein könnte?

Aber ich habe mir ja eingeredet, es sei gar nichts in der Welt, kein Himmel, keine Erde, kein Geist, kein Körper: also bin doch auch ich nicht da? – Nein, ganz gewiß war ich da, wenn ich mir dergleichen eingeredet!

Aber giebt es nicht irgend einen sehr mächtigen, sehr schlauen Betrüger, der mit Absicht mich immer täuscht –?

Ganz zweifellos bin aber eben darum auch ich, wenn er mich täuscht; mag er mich nun täuschen, soviel er kann, das wird er doch nie bewirken können, daß ich nicht sei, während ich denke, ich sei etwas! und nachdem ich so alles wieder und immer wieder erwogen habe, muß ich schließlich konstatieren, daß der Satz: »Ich bin, ich existiere« unbedingt wahr ist, so oft ich ihn ausspreche oder denke.

So lange er an Dinge, die außer ihm lagen, dachte, konnte er in nichts einen ganz unmittelbaren Einblick bekommen. Die Dinge lagen eben außer ihm, und nur durch eine Reihe vermittelnder Faktoren, an deren absoluter Zuverlässigkeit er gerechte Zweifel hegte, gelangte er zu einer Vorstellung von den Dingen. Weiter hatte er nichts von den Dingen, als diese seine eigene Vorstellung, die von den Dingen selbst himmelweit verschieden sein konnte. Darum zweifelte er.

Nun hatte er aber doch einmal diese Vorstellungen. Sie waren ihm gegeben, und sollten ihm nichts nützen können zur Erkenntnis? Er sah doch ganz gewiß vielerlei, hörte Töne, fühlte auch Festes, Weiches, Warmes, Kaltes u.s.w. Das waren unumstößliche Thatsachen, und doch mußte er zweifeln, ob wirklich das Gesehene auch da sei, ob das Feste, Warme u.s.w. außer ihm vorhanden sei, oder ob es nur seine Existenz als Wahngebilde seiner Phantasie, in ihm selbst habe? – – Aber in ihm selbst, in seinem Vorstellen, war es nun einmal.

Nun wandte sich Descartes' Blick nach innen! Er suchte ja nur etwas Gewisses, Sicheres. Einerlei, wo dies sich auch finde. Nun kam ihm zum klaren Bewußtsein, daß bei all seinem Zweifeln ein solch Gewisses ihm längst gegeben sei, nur merkte er es nicht, solange sein Blick nach außen gerichtet gewesen. Dieses unumstößlich Gewisse war nämlich sein Sehen, Hören, Fühlen, auch sein Zweifeln, kurz, sein Denken und Vorstellen. Wenn er überhaupt nicht sähe, hörte u.s.w. so könnte er ja gar nicht zweifeln, ob das Gesehene, Gehörte wahr sei. Überhaupt würde dann uns alles entschwinden, in ein vollkommnes Nichts übergehen. Wir könnten auch nicht sagen: »Ich bin«, denn dies »Ich« ist erst dadurch uns überhaupt gegeben, daß wir sehen, hören u.s.w., kurz, daß wir denken. In Wahrheit wäre also nicht das »Ich bin« als das Erste zu bezeichnen, was sich uns als gewiß darstellt, sondern das »Ich denke«, dem sich dann das »Ich bin« anschlösse. So verfährt auch Descartes in anderen Schriften gewöhnlich, und sein erster gewisser Satz bekommt dann die Form: »Ich denke, ich bin« oder auch: »Ich denke, also bin ich« (»Cogito, ergo sum«).

Ich bin mir aber noch nicht hinreichend klar darüber, wer denn ich bin – jenes »Ich«, das notwendig ist. Ich muß mich nun in acht nehmen, daß ich nicht etwa unvorsichtigerweise etwas Anderes für mich selbst halte, und so selbst in der Erkenntnis dessen in Irrtum gerate, was meiner Behauptung nach das Gewisseste und Klarste ist. Darum will ich mir einmal vergegenwärtigen, für was ich mich früher hielt, ehe ich auf diese Gedanken gekommen war. Von dieser Vorstellung meiner selbst will ich dann alles in Abzug bringen, was durch die schon angeführten Gründe auch nur im allergeringsten erschüttert werden kann, sodaß schließlich genau das allein übrig bleibt, was sicher und unerschütterlich ist.

Wofür also habe ich mich früher gehalten? – Für einen Menschen selbstverständlich! Was ist aber ein Mensch? Soll ich sagen: ein vernünftiges Tier? – Nein, denn dann müßte ich weiter fragen: was ist »Tier?« was ist »vernünftig?« und ich wäre von einer Frage zu mehreren und schwierigeren gelangt; ich habe auch keine Lust, meine Zeit mit derartigen Spitzfindigkeiten zu vergeuden. Hier will ich vielmehr darauf achten, was sich meinem Nachdenken ganz von selbst und natürlich darstellte, so oft ich mein eigenes Sein betrachtete.

Zuerst nun bemerkte ich, daß ich ein Gesicht, ferner Hände, Arme und diese ganze Gliedermaschine habe, wie man sie auch an einem Leichnam wahrnimmt; ich nannte sie »Leib«. Dann merkte ich, daß ich mich nähre, gehe, fühle und denke, und ich schrieb diese Tätigkeiten der »Seele« zu. Was aber diese Seele sei, bemerkte ich überhaupt nicht, oder ich stellte sie mir als irgend einen seinen Stoff vor, als einen Hauch, als Feuer oder Äther, der durch meine gröberen Bestandteile verbreitet sei. Bezüglich meines Körpers hingegen hatte ich nicht den geringsten Zweifel; ich glaubte sein Wesen genau zu kennen, und hätte ich es einmal zu beschreiben versucht, wie es meinem Geiste sich darstellt, so würde ich etwa so gesagt haben: »Unter ›Körper‹ verstehe ich alles, was durch eine Gestalt begrenzt und örtlich umschrieben werden kann; was den Raum so erfüllt, daß es von ihm jeden anderen Körper ausschließt; was durch Gefühl, Gesicht, Gehör, Geschmack, Geruch wahrgenommen werden und sich in verschiedener Weise bewegen kann, zwar nicht aus eigener Kraft, aber durch irgend ein anderes, mit dem es in Berührung kommt.« Meiner Meinung nach war nämlich das Vermögen der Selbstbewegung, sowie des Empfindens und Denkens in keiner Weise mit dem Wesen des Körpers vereinbar; ja, ich war geradezu überrascht, dergleichen Fähigkeiten in gewissen Körpern anzutreffen.

Nun aber, da ich annehme, irgend ein sehr mächtiger, und, wenn ich so sagen darf, boshafter Betrüger habe mich in allem, soweit es ihm nur irgend möglich war, irre geführt – kann ich mir dann auch nur noch das geringste von alledem zuschreiben, was ich zum Wesen des Körpers rechnete?

Ich sehe nach, bedenke mir's und überlege hin und her, aber nichts will sich mir zeigen und der fruchtlosen Wiederholung werde ich müde.

Was gilt nun aber von dem, was ich zum Wesen der Seele rechnete, zunächst von der Ernährung und dem Gehen? Offenbar bestehen auch diese bloß in der Einbildung, da ich ja gar keinen Körper habe! – Aber das Empfinden? – Auch dieses geschieht nur mit Hilfe des Körpers, und gar oft schien es mir ja auch im Traume, als empfinde ich, während ich nachher merkte, daß es nicht wahr sei! – Und schließlich das Denken? – Hier finde ich es: das Denken ist es; das Denken allein kann von mir nicht abgetrennt werden; ich aber bin, ich existiere, das steht fest!

Unterziehen wir nun den Fundamentalsatz einer kurzen Prüfung!

Das erste Gewisse ist das »Ich denke« und damit zugleich das »Ich bin«. Der Begriff »denken« bedarf aber noch einer genaueren Bestimmung, um wirklich genau nur das unmittelbare und erste Gewisse zu bedeuten. Gewiß ist uns – daß wir sehen, hören u. s. w. Nichts aber ist uns gewiß über das Wesen dieses Sehvorganges. Auch nichts ist gewiß über das Ding, welches wir zu sehen glauben. Gewiß ist nur, daß wir es sehen, oder daß es uns so zu Mute ist, als sehen wir, daß der gegenwärtige Zustand ein solcher ist, wie wir ihn als »Sehen« zu bezeichnen gewohnt sind. Gewisse Bestimmtheiten, die zusammen ein »Bild« (oder einen »Ton« u. s. w.) ausmachen, schweben uns vor, d. h. sie sind gegenwärtig, sie sind gegeben, und zwar so wie sie eben sind. Das nennen wir dann »Vorstellung« oder sonst wie. Was man aber weiter noch unter Vorstellung, Denken u. s. w. sich denken könnte, was über jenes bloße So- oder so-sein, jene ganz unmittelbaren gegenwärtigen Bestimmtheiten hinausgeht, alles das ist nicht absolut und in erster Linie gewiß! Unmittelbar gewiß ist nicht einmal das »Ich bin«. Erst wenn jene Bestimmtheiten thatsächlich gegeben sind, gelangen wir zum »Ich«; an sich wäre das Ich gänzlich inhaltsleer und bedeutungslos! Ohne die Beziehung auf das »Ich«, würden aber jene Bestimmtheiten niemals »Sehen« oder »Vorstellen«, »Denken« heißen können. Denn nur dadurch, daß ich mir die Bestimmtheiten zuschreibe, sage ich, »ich denke«. Da aber das Ich nicht unmittelbar gewiß ist, kann sonach auch das unmittelbar Gewisse nicht als Denken, Vorstellen u. s. w. bezeichnet werden! In der That vollzieht es sich auch in unserem Bewußtsein stets vermöge einer Vermittlung, nie unmittelbar, wenn wir dessen inne werden, daß wir vorstellen u. s. w. Zuerst sind stets, als schlechthinige beziehungslose Thatsachen die Bestimmtheiten gegeben, die erst durch einen besonderen Akt der Beziehung (oder Reflexion) als »Vorstellungen« selbst aufgefaßt werden. Dies wiederum ist nur möglich vermöge einer Gegensetzung (»Nicht-Ich« und »Ich«), ohne die jene Bestimmtheiten ganz indifferent bleiben würden und nie irgendwie bezogen werden könnten (da keine Beziehungs richtung da wäre). Je nach der Beziehung der Bestimmtheiten aber (auf das Nicht-Ich oder das Ich) wird die Bestimmtheit als Bestimmtheit eines Dinges oder einer »Vorstellung« aufgefaßt. So sei z. B. die indifferente Bestimmtheit »weiß« gegenwärtig. Wird sie nach außen bezogen, so ist sie Eigenschaft eines Nicht-Ich; wir sagen »Ein Ding ist weiß«. Wird sie nach innen bezogen, so sagen wir: »ich habe die Vorstellung von weiß«. Unmittelbar gegeben ist aber lediglich die indifferente Bestimmtheit. Ich und Nicht-Ich, Ding und Vorstellung sind nur Beziehungsformen, die, um thatsächlich und gewiß werden zu können, eine Bestimmtheit voraussetzen. Nur indem eine Bestimmtheit nach innen bezogen wird, kann der Ich-gedanke praktisch vollzogen werden. Das sogenannte »reine Ich« ist nur eine Abstraktion aus der konkreten, bestimmten Ichbeziehung. Darum ist auch das Erste die Bestimmtheit; durch Beziehung geht aus dieser das »Ich stelle vor« hervor oder das »Ich denke«, und hieraus, durch Abstraktion, das »Ich« (»Ich bin«). Man sieht leicht, eben in jenem Beziehen der Bestimmtheiten besteht überhaupt erst das eigentliche »Vorstellen«! Wenn sich nun auch stets sofort an das Bestimmtsein sogleich ein Beziehen anknüpft, sodaß wir nie eine ganz beziehungslose, indifferente (gegenstandslose) Bestimmung dauernd ins Auge fassen können, so ist doch leicht einzusehen, daß doch in Wahrheit genau genommen das Erste und Unmittelbarste und Gewisseste die Bestimmung ist.

Das ist nun keineswegs bedeutungslos! Heben wir an mit einer Untersuchung der Bestimmung, so ergiebt sich uns daraus bald das Wesen jener Beziehung und Gegensetzung, wir vermögen einen tiefen Blick in das Wesen des Bewußtseins, des »Ich« und der Dinge außer uns zu thun. Es gelingt die Lösung von Problemen, die bisher die Metaphysik nicht einmal bestimmt ins Auge zu fassen gewagt hatte. Auch das innerste Wesen und die Entstehung von Raum und Zeit enthüllt sich vor uns und die obersten Grundlagen der Mathematik und der Mechanik werden unserem Verständnis erschlossen. Die ganze Wissenschaft schließt sich zusammen zu einem festen einheitlichen System.

Ich habe versucht, von diesem System einen Überblick zu geben in der Schrift: »Grundriß der Philosophie als Bestimmungslehre«.

Wie lange aber gilt dies? – Offenbar so lange ich denke, denn es könnte ja auch der Fall sein, daß ich ganz zu sein aufhörte, wenn ich überhaupt nicht mehr denke, und ich lasse jetzt nichts gelten, als was notwendig wahr ist!

Hiernach nun bin ich, genau genommen, lediglich denkendes Wesen, d. h. Geist, Seele, Verstand oder Vernunft; lauter Bezeichnungen, die mir früher unbekannt waren! Aber ein wirkliches und wahrhaft seiendes Wesen bin ich!

Was denn nun aber für ein Wesen? Ich sagte ja: ein denkendes. Was aber weiter? Ich will meine Einbildungskraft anstrengen: jener Komplex von Gliedern, den man den menschlichen Leib nennt, bin ich nicht; auch bin ich nicht etwa ein feiner Dunst, der durch diese Glieder verbreitet ist, auch kein Wind, kein Feuer, kein Dampf, kein Hauch, oder was ich mir sonst erdichten und vorstellen könnte, denn alles dies habe ich ja gleich nichts gesetzt. Trotz alledem aber bleibt doch der Satz bestehen: Ich bin etwas.

Es wäre vielleicht nicht ausgeschlossen, daß eben das, was ich gleich nichts setze, weil ich es nicht kenne, in Wahrheit doch mit diesem mir bekannten »Ich« identisch ist –? Ich weiß es nicht, und streite nicht darüber; nur was mir bekannt ist, kann ich beurteilen; bekannt aber ist mir, daß ich bin, und ich frage mich: »was ist dieses Ich, von dem ich dies weiß?« Ganz sicher aber ist, daß die Kenntnis, die ich nun habe, in dieser strengen Fassung nicht abhängig gemacht werden kann von Dingen, deren Existenz ich noch nicht gewiß bin, mithin von nichts, was meine Einbildungskraft sich ausdenkt. Gerade dies Wort: sich »ausdenkt«, erinnert mich schon an den Fehler, den ich beging: denn ich würde mir in der That etwas erdenken, wenn ich mir irgend ein Vorstellungsbild von mir machte. Denn bildlich »vorstellen« heißt lediglich, die Gestalt oder das Bild eines körperlichen Gegenstandes betrachten; nun weiß ich aber bereits ganz gewiß, daß ich bin, und weiß gleichzeitig, daß möglicherweise alle jene Vorstellungsbilder, und überhaupt alles, was sich auf das Wesen des Körpers bezieht, bloße Traumbilder sein könnten; hiernach scheint es ebenso ungereimt, zu sagen: ich will durch mein Vorstellungs- und Einbildungsvermögen genauer mein Wesen zu erkennen suchen, als wenn ich sagte: ich bin zwar schon erwacht und sehe auch bereits etwas Wirkliches; ich sehe es aber noch nicht deutlich genug, und will mich drum noch einmal schlafen legen, damit es mir im Traume wahrer und deutlicher erscheine!

So erkenne ich denn, daß nichts von alledem, was ich mit Hilfe des Vorstellungsvermögens auffassen kann, zu jener Kenntnis gehört, die ich von mir habe, und mein Geist muß sich sorgfältigst davon abwenden, wenn er sein eigenes Wesen ganz genau erkennen will.

Aber was bin ich denn nun? – Ein denkendes Wesen! Was bedeutet das? – Ein Wesen, das zweifelt, erkennt, bejaht, verneint, will, nicht will, auch vorstellt und empfindet. In der That, nicht wenig, wenn das alles zu meinem Wesen gehören soll!

Doch warum sollte es nicht dazu gehören? Bin ich es nicht selbst, der ich fast alles bezweifle, der ich aber doch immerhin Etwas erkenne, dies Eine bejahe, alles andere verneine, aber noch mehr erkennen will, und dabei nicht will, daß ich getäuscht werde, der ich mir selbst unwillkürlich vielerlei vorstelle, vieles aber auch empfinde, als käme es von den Sinnen her?

Giebt es hierbei etwas, das nicht genau ebenso wahr wäre als mein Sein? – selbst wenn ich immer träumte; selbst wenn der, der mich erschaffen, mich täuschte, soviel er vermag?

Ist denn alles dies etwas Anderes als mein Denken? Kann von alledem etwas ohne mein Ich gedacht werden?

Daß ich es bin, der da zweifelt, erkennt, will, das ist so offenbar, daß sich überhaupt nichts finden läßt, wodurch man es mehr verdeutlichen könnte! Ich bin aber ferner auch derselbe, der vorstellt; denn wenn vielleicht auch, wie ich einmal angenommen habe, gar kein vorgestelltes Objekt wahr wäre, so besteht doch das Vorstellen selbst als ein Vermögen, das einen Teil meines Denkens ausmacht. Ebenso bin ich es auch endlich, der empfindet, oder der körperliche Gegenstände wahrnimmt, als ob er Sinn hätte. So sehe ich Licht, höre Geräusch, fühle Wärme.

Aber das ist ja nicht richtig; ich träume ja! Nun wohl, aber sicherlich ist mir doch so, als ob ich sehe, höre, warm werde; dies kann nicht falsch sein, dies ist es eigentlich, was in mir »Empfinden« heißt, und genau so in dieser Auffassung ist das Empfinden eben nichts Anderes als Denken.

Hiernach beginne ich schon etwas besser zu erkennen, was ich bin!

Es scheint mir aber doch noch – und ich kann mich der Meinung nicht erwehren – daß die körperlichen Gegenstände, deren Bilder sich im Denken gestalten, die von den Sinnen aufgefaßt werden, viel deutlicher erkannt werden als jenes Etwas in mir, das nicht vorstellbar ist. Wunderbar bleibt es allerdings, daß ich die Dinge, die mir als ungewiß, unbekannt, meinem Wesen fremd erscheinen, deutlicher erkenne als das Wahre, Bekannte: als mich selbst!

Doch ich sehe, wie die Sache sich verhalten mag. Meinem Geiste bereitet dieses Umherirren Freude; er will sich nicht in den Schranken der Wahrheit halten lassen! So sei es denn! wir wollen ihm noch einmal ganz die Zügel schießen lassen. Wenn wir sie nachher zur rechten Zeit wieder anziehen, wird er sich um so leichter lenken lassen.

Betrachten wir also jene Dinge, die man gewöhnlich am deutlichsten zu kennen meint, nämlich die Körper, die wir betasten und sehen, und zwar nicht die Körper im allgemeinen, denn solche Allgemeinvorstellungen pflegen etwas verworrener zu sein. Greifen wir vielmehr einen einzelnen speziellen Fall heraus. Nehmen wir z.  B. dieses Wachs hier!

Erst ganz kürzlich ist es aus der Honigscheibe gewonnen worden. Noch hat es nicht allen Honiggeschmack verloren. Ein wenig hat es auch noch von dem Duft der Blumen, aus denen es gesammelt worden. Seine Farbe, seine Gestalt, seine Größe sind deutlich erkennbar. Es ist hart, kalt, man kann es leicht anfassen, und wenn man mit dem Knöchel darauf klopft, giebt es einen Ton von sich. Kurz, alles ist ihm eigen, was zur ganz deutlichen Erkenntnis eines Körpers erforderlich erscheint.

Doch sieh da! während ich rede, kommt es dem Feuer nahe; der Rest des Geschmacks vergeht; sein Geruch verduftet; seine Farbe ändert sich; seine Form verschwindet. Es nimmt zu an Größe, wird flüssig, wird heiß, kaum kann man es noch anfassen, und schlägt man darauf, so giebt es keinen Ton mehr!

Bleibt es nun noch ebendasselbe Wachs? – Ich muß gestehen, es bleibt dasselbe; niemand leugnet es, niemand ist andrer Meinung!

Was war denn nun aber an ihm, das so deutlich aufgefaßt wurde? – Sicherlich nichts von alledem, was ich mit den Sinnen erreichte, denn alles, was unter den Geschmack, den Geruch, das Gesicht, das Gefühl oder das Gehör fiel, hat sich jetzt geändert, das Wachs aber bleibt.

Vielleicht verhielt es sich so, wie ich jetzt denke: das Wachs selbst nämlich war nicht jene Süße des Honigs, nicht jener Blumenduft, jenes Weiß, jene Form, jener Ton: es war vielmehr ein Körper, der mir kurz vorher mit solchen, jetzt aber mit anderen Bestimmungen in meiner Vorstellung erschien.

Was ist nun aber ganz genau das, was ich hierunter mir zu denken habe? – Sehen wir zu! Entfernen wir alles, was zum Wesen des Wachses nicht gehört, und sehen zu, was übrig bleibt! – Es ist lediglich ein Ausgedehntes, Biegsames, Veränderliches.

Was ist aber »biegsam«, »veränderlich?« Etwa die Vorstellung, daß dies Wachs aus der runden Gestalt in eine viereckige, oder aus dieser in eine dreieckige gebracht werden kann? – Keineswegs! Denn, wie ich es auffasse, ist es unzähliger derartiger Umwandlungen fähig; unzählige aber kann ich mit meinem Vorstellungsvermögen nicht umfassen, und dieser Begriff kann mithin durch mein Vorstellungsvermögen gar nicht vollzogen werden.

Was ist ferner »ausgedehnt?« – Ist vielleicht sogar die Ausdehnung unbekannt? Im schmelzenden Wachs wird sie ja größer, im heißen noch mehr, und immer mehr, wenn die Hitze zunimmt. Ich würde also das Wesen des Wachses falsch beurteilen, wenn ich nicht annähme, daß es auch seiner Ausdehnung nach mehr Veränderungen zuläßt, als mein Vorstellungsvermögen je umfassen kann.
So muß ich schließlich gestehen, daß ich nicht einmal vorstellen kann, was dieses Wachs ist, sondern dies rein geistig auffasse. Ich rede speziell von diesem Wachs hier; vom Wachs im allgemeinen ist es nämlich noch viel einleuchtender!

Was ist denn nun aber dieses Wachs, das man nur rein geistig erfassen kann? – Offenbar dasselbe, welches ich sehe, berühre, vorstelle; überhaupt dasselbe, das ich von vornherein annehme, aber, wohl zu bemerken, die Wahrnehmung desselben besteht nicht in einem Sehen, Berühren, Vorstellen, und bestand überhaupt nie darin, wenn mir es auch früher so vorkam; sie besteht vielmehr in einem bloßen geistigen Einblick, der unvollkommen und verworren sein kann, wie bisher, oder klar und deutlich, wie jetzt, je nachdem ich mehr oder weniger auf seine Bestandteile achte.

Hierbei setzt es mich nun in Verwunderung, wie sehr doch mein Geist zu Irrtümern hinneigt, denn wiewohl ich dies bei mir schweigend und ohne ein Wort zu reden überlege, hänge ich doch an den Worten und lasse mich vom Sprachgebrauch verleiten. Wir sagen nämlich, wir sehen das Wachs selbst, und daß es vorhanden ist, urteilen wir nicht erst aus seiner Farbe oder Gestalt. Hieraus könnte ich ohne weiteres schließen, das Wachs werde durch das Sehen des Auges, nicht aber durch die bloße Einsicht des Geistes erkannt. Da sehe ich aber zufällig von meinem Fenster aus die Leute auf der Straße vorübergehen; ich bin gewohnt, ganz ebenso wie vom Wachs zu sagen: ich sehe sie. Was sehe ich denn aber außer Hüten und Kleidern, unter denen auch Automaten stecken könnten? – Ich urteile aber, es seien Menschen.

So erfasse ich also das, was ich mit den Augen zu sehen meinte, in Wahrheit nur durch das Urteilsvermögen, welches meinem Geiste innewohnt.

Aber ich will doch weiser sein als die Menge! Fast schäme ich mich, einen Zweifelsgrund aus Redensarten herzuleiten, welche die Menge erfunden hat! Fahren wir also fort, sehen wir zu, ob ich das Wesen des Wachses vollkommener und klarer erfaßte, als ich es zuerst erblickte und der Meinung war, ich erkenne es durch einen äußeren Sinn oder doch überhaupt in sinnlicher Weise, das heißt, durch das Vorstellungsvermögen; – oder ob dies erst jetzt der Fall ist, nachdem ich sorgfältiger untersucht habe, sowohl was es ist, als wie es erkannt wird. Hierüber kann gewiß kein Zweifel herrschen. Was war denn in jener ersten Auffassung Deutliches? Auch jedes Tier hätte solche Wahrnehmungen haben können! Wenn ich aber das Wachs von seinen äußeren Formen unterscheide und es gleichsam seiner Hülle entkleidet an sich betrachte, so kann ich es in der That nicht ohne den menschlichen Geist erfassen, wiewohl auch da noch ein Irrtum in meinem Urteil möglich ist.

Was soll nun aber von eben diesem Geiste, das heißt von mir selbst gelten (außer dem Geiste erkenne ich nämlich jetzt nichts mehr in mir an)? – Wie? Sollte ich, der ich dieses Wachs so deutlich zu erfassen scheine, sollte ich nicht mich selbst nicht nur viel wahrer und gewisser, sondern auch viel deutlicher und klarer erkennen? Denn, wenn ich urteile das Wachs ist, weil ich es sehe, so folgt sicherlich noch viel klarer auch mein eigenes Dasein daraus, daß ich das Wachs sehe. Denn es wäre ja möglich, daß das, was ich sehe, in Wirklichkeit gar kein Wachs ist; es wäre sogar möglich, daß ich nicht einmal Augen habe, um damit zu sehen; ganz und gar unmöglich aber ist es, daß ich, wenn ich sehe oder (was mir ganz dasselbe ist) wenn ich zu sehen denke – daß ich selbst, der ich denke, nicht irgend etwas sei! Ebenso, wenn ich urteile, das Wachs sei, weil ich es berühre, so folgt wiederum dasselbe, nämlich, daß ich bin; und ganz dasselbe ergiebt sich auch, wenn ich auf das Dasein des Wachses aus meinem Vorstellen oder aus irgend etwas anderem schließe. Ganz dasselbe aber, was ich vom Wachs bemerke, läßt sich auf alle anderen Dinge, die außer mir liegen, anwenden.

Ferner, wenn mir die Wahrnehmung des Wachses deutlicher erschien, als sie sich mir nicht nur durch das Gesicht oder das Gefühl allein kund gab, sondern in mehrfacher Weise, muß ich dann nicht zugeben, daß ich mich selbst nun noch um vieles deutlicher erkenne, da ja alles, was mir zur Kenntnis des Wachses oder irgend eines anderen Körpers verhelfen könnte, gleichzeitig noch viel besser das Wesen meines Geistes darthut?

Es giebt aber außerdem noch so vielerlei im Geiste selbst, wodurch man zu einer klaren Erkenntnis desselben gelangen kann, daß das, was wir von den Körpern herleiteten, kaum nennenswert erscheint.

Doch siehe, so bin ich schließlich ganz von selbst dahin gekommen, wohin ich wollte. Ich weiß jetzt, daß die Körper nicht eigentlich von den Sinnen oder von dem Vorstellungsvermögen, sondern von dem Verstande allein erfaßt werden, und zwar nicht, weil wir sie berühren und sehen, sondern lediglich, weil wir sie denken; und so erkenne ich denn, daß ich nichts leichter und klarer aufzufassen vermag als meinen Geist.

Alte Meinungen, an die man sich einmal gewöhnt hat, lassen sich aber nicht so ohne weiteres ablegen, und so will ich hier ein wenig Halt machen, damit sich diese neue Erkenntnis durch ein längeres Verweilen bei dieser Betrachtung meinem Gedächtnis um so tiefer einpräge.


Zu Teil 3: Dritte Betrachtung »


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