Ragnar Helgi Ólafsson: Im Stillen mit dir - 5 x "Lose Blätter"
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Foto Ólafsson:
Saga Sigurðardóttir
Cover Zweisprachige Ausgabe / aus dem Isländischen übertragen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer
304 Seiten, 26,00 Euro,
ELIF Verlag 2023
Ragnar Helgi Ólafsson
Im Stillen mit dir – 5 Gedichte
Aus: Laus blöð / Lose Blätter, Gedichte, ELIF VERLAG, Herbst 2023
Aus dem Isländischen übertragen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer
DER
BUDDHISTISCHEN PHILOSOPIE
DEN
BODEN UNTER DEN FÜSSEN WEGZIEHEN
(Auf
einen Streich)
Was wäre, wenn das
Spiegelbild
(die Freikirche und das blassrosa
Neonschild oben auf dem Hotel Holt)
verzerrt und
auseinandergerissen
(auf der Oberfläche des Teichs
an einem windigen Herbsttag)
sich schließlich als
interessanter entpuppte
als das stille, scharfe
und klare Bild
das
es widerspiegelt?
OHNE TITEL
Dieser flache Atem.
Ein Stoff, der Stille so nah.
Wie ein Ozean an einem bedeutungslosen Tag.
In der Meeresstille
gluckst eine einzelne Welle
an einen grauen steinigen Strand.
Eine merkwürdig, seltsam knappe Bewegung.
Ein leises Knarren.
Erheblich schrecklicher als Brandungsgetöse.
Etwas Unbegreifliches
und bedrohlich groß,
das sich sehr grazil bewegt,
dort, wo du in der
Wiege schläfst.
EIN
FOTO
Vielleicht
ist der Grund
warum ich es so seltsam finde
dass du dieses Foto von
diesem schlafenden Mann besitzt
der
dass ich der Mann bin
und ich ihn nie schlafen
gesehen habe.
IM
STILLEN MIT DIR
oder:
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Mit dir habe ich zum
ersten Mal
die Stille im nichtübertragenen
Sinne gehört
nicht als ein Symbol,
sondern als das, wofür
das Symbol steht
als Quelle,
nicht
als Fehlen von Ton
BROT
UND / ODER SPIELE?
Ich würde immer
den Suppenteller wählen
statt des Notizbuchs des
Restaurantkritikers
immer Felsbrocken und
Berge wählen
statt der dunstigen
Schönheit des Nebels
immer das Deckschiff wählen
statt des Lieds vom Schiffbrüchigen.
Ich habe nicht vergessen, was du gesagt
hast:
„Ich will keine Kunstwerke schaffen,
ich will einfach nur glücklich sein.“
Brot oder Spiele?
Gott gebe, dass ich immer
das Brot wähle.
Ragnar Helgi Ólafsson, geb. 1971 in Reykjavík / Island, studierte
an der Universität von Island Philosophie, Filmregie an der New York Film
Academy und im Anschluss in Frankreich zunächst Französisch in Marseille und
danach Kunst in Aix-en-Provence. Nach mehreren Kurzfilmen arbeitet er in den
letzten Jahren vornehmlich als Grafikdesigner und bildender Künstler mit
zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen. Auch als Musiker und
Verleger ist er tätig; er betreibt den Tunglið
Forlag, den Mond Verlag, in dem
jährlich zwischen acht und zwölf Publikationen mit Prosa und Lyrik erscheinen.
2013 veröffentlichte er in Island mit Bréf frá Bútan / Briefe aus Bhutan einen ersten eigenen
Roman sowie anschließend eine Sammlung mit Kurzgeschichten. 2015 folgte der
erste Gedichtband, Til hughreystingar þeim sem finna sig ekki í
samtíma sínum / Denen zum
Trost, die sich in ihrer Gegenwart nicht finden können (ELIF Verlag 2017),
für den er mit dem Tómas-Guðmundsson-Poesie-Preis ausgezeichnet wurde, einem
Preis, den die Stadt Reykjavík zum Andenken an den gleichnamigen bekannten
isländischen Schriftsteller und Lyriker (1901-1983) alljährlich an
herausragende Werke der isländischen Dichtkunst vergibt. Die Story-Sammlung Handbók um minni og gleymsku / Handbuch des
Erinnerns und Vergessens, die der ELIF Verlag 2020 veröffentlichte,
erschien im Original 2017; mit ihr war der Autor für den Isländischen
Literaturpreis in der Kategorie Belletristik nominiert. 2018 veröffentlichte er
das Ein Requiem genannte Buch Bókasafn föður míns / Die Bibliothek meines
Vaters; in der Kategorie Sachbuch erfuhr auch dieser Titel eine Nominierung
für den Isländischen Literaturpreis. Vor der Gedichtsammlung Laus blöð /
Lose Blätter im Jahr 2021 veröffentlichte Ragnar Helgi Ólafsson einen Band,
dessen Titel dem Inhalt entspricht: Zwei
Theaterstücke. Für den Gedichtband
Laus blöð / Lose Blätter ist er für den Literaturpreis des
Nordischen Rats 2023 nominiert. Er
lebt und arbeitet in Reykjavík.