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Philippe Jaccottet: Die wenigen Geräusche

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Jan Kuhlbrodt

Philippe Jaccottet: Die wenigen Geräusche. Späte Prosa und Gedichte. Übersetzt von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. München (Carl Hanser Verlag) 2020. 176 Seiten. 23,00 Euro.

Exerzitien des Abschieds – Zu Phillippe Jaccottet


„Wenn der Hund, der kein Gott ist, bellt“

Ich habe eine Reihe von Büchern, die ich als meine Trostbücher bezeichne. Unter ihnen stehen beispielsweise die „Gedanken“ von Blaise Pascal. Darin findet sich eine Passage über die Unendlichkeit, die der Philosoph und Mathematiker eben nicht nur in der endlosen Reihung der Dinge ins Übergroße findet, sondern auch im unendlich sich zerteilenden Kleinen zwischen den Punkten. Basis für Pascals Trost ist seine Religiosität.

Neben diese Gedanken werde ich nun Jaccottets schmales Buch stellen, in dem er sich eben als nicht religiösen Menschen vorstellt, dem der Gottesglaube aber nicht fehlt, um in den kleinen und großen Dingen Trost zu finden. Ein Trost, der den endlichen Dingen selbst entsteigt.

„Es ist, als habe man auf die Dinge hauchdünne Malschichten gelegt, die ein von darunter kommendes Leuchten sachte hindurchdringen ließen. Farbschichten, durchlässig, aber nicht glänzend.
Wie gläserne Klingen? Klare Farben, ja, zerbrechliche, ja, wie Glas; vor allem jedoch rasch verfliegende, aufgefangen unmittelbar vor dem Erlöschen.“

Jaccottet beobachtet, beobachtet genau und stellt seine Sicht neben die literarische Überlieferung. Und wenn er von der Nachtigall schreibt, kennt er die Textvögel von Shakespeare und Rilke, und hört dennoch das Eigenwillige, das sich in Sprache nicht auflösen lässt. Er sichtet die Differenz. Was Trost spendet, verleiht dem Gedanken auch Melancholie.

Jaccottet bezieht sich in seinem Text nicht auf Pascal, sondern auf den Dichter Claudel und seine religiös inspirierten Verse:

„Selbst wenn ich für die Dogmen der Kirche die gleiche Achtung hätte wie Claudel, um nichts in der Welt hätte ich gewünscht, diese schönen Bäume verschwinden zu sehen, zugunsten von Gedanken, wären es auch die ehrwürdigsten.“

Phillipp Jaccottet ist, wie übrigens auch Etel Adnan, im Jahre 1925 geboren, also an der Schwelle zum dramatischen zweiten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts, und er ist in der französischsprachigen Schweiz geboren. In den fünfziger Jahren ging er nach Frankreich, aber nicht nach Paris in die Metropole sondern nach Grignan in die Provence. Dort erschuf er ein poetisches Werk, das sich sowohl aus den Farben und Formen der Landschaft als auch aus Lektüren speist, die Jaccottet in seinen eigenen Texten engführt. Adnan aber, die im Libanon geboren wurde, ging nach Kalifornien. Die Wege der beiden unterscheiden sich also in Richtung und Weite, jedoch findet sich in beiden Werken die Achtung des Nahen in ihrer je spezifischen Weise. Während Adnan über Jahre jeden Morgen denselben Berg vor ihrem Fenster malt, durchstreift Jaccottet seine unmittelbare Umgebung.

Spannend ist in dem sich daraus ergebenden Werk, dass sich das Poetische hier nicht in Genregrenzen sperren lässt, dass es die Gedichtform aufsprengt, über das Gedicht hinaus zum Essay quillt oder in andere Prosaformen mäandert.

„Die wenigen Geräusche“, so heißt der in diesem Jahr bei Hanser erschienene Band, enthalten die Übersetzungen der letzten von Jaccottet veröffentlichten Texte. Ins Deutsche übertragen wurden die Texte von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. Der Autor ist also in der privilegierten Lage, sein Werk bewusst und selbst abzuschließen. Nicht der Tod war es, der ihn aus der Arbeit gerissen hat. Nach dem im Band enthaltenen Zyklus: „Die Farben der Erde“ hat Jaccottet nichts mehr veröffentlicht.


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