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Petr Hruška: Nirgends wird gesagt

Montags=Text
Foto: Jan Gavura
Petr Hruška

NIRGENDS WIRD GESAGT
übersetzt von Patrik Valouch


Legen wir ihn hin.
Er ist so schwer wie eine Bücherei.
Das kommt von den vielen Büchern.
Nein, das kommt davon,
weil er immer auf die Kinder schwört.
Langsam,
damit er nicht mit dem Kopf aufschlägt.
So jetzt isses aber genug.
Auf diese Weise kommen wir nicht vorwärts.
Wo sind wir überhaupt?
Sammelstelle.
Spielhalle.
Räume zum Mieten.
Wir müssen weiter.
Erinner’ dich daran,
wenn du nächstes Mal
wieder aus voller Kehle rumgrölst.
Hilf mir jetzt,
heben wir ihn hoch.

……

Legen wir ihn hin.
Ich hab’ nur zwei Hände –
Und manchmal sind sie viel zu kurz.
Manchmal so, als wären sie nicht meine.
Sogar die hab’ ich jetzt versoffen.
Da kommste nach Hause –
und hast keine Hände mehr.
Du läufst zurück, wo du vorhin warst –
futsch sind sie.
Alle gucken woandershin.
Du wartest, bis sie wieder anwachsen,
und dabei fällt alles runter.
Dieser hier hat Hände wie von Michelangelo.
Der Körper fühlt sich furchtbar schwer an.
Erdgravitation,
der ewige Kampf aller Religionen.
Versuchen wir ihn hochzuheben
und gehen wir.

……

Legen wir ihn hin.
Wir brauchen eine Zigarette.
Frag bloß nicht,
wann das hier vorbei ist.
So manches habe ich mir auch anders vorgestellt.
Aber nirgends wird gesagt.
Wenn man ihn wenigstens besser anpacken könnte.
Bloß wo.
Bloß wie.
Die Unförmigkeit in Person.
Menschen sind einfach nicht dazu geschaffen,
von anderen weggetragen zu werden.
Er lässt sich hängen.
Als täte er es mit Absicht.
Als ob er nicht will.
Pack’ ihn hier an.
Heben wir ihn langsam hoch.

……

So sackt er ab.
Legen wir ihn hin.
Waren wir hier nicht schon?
Diese Fahnenmasten,
dieser ausgetrocknete Brunnen.
Bankomat oder Babybox.
Hundespur im Beton.
Solche Walks of Fames
gibt‘s überall.
Da wirst du nichts erkennen.
In so einer Dunkelheit erkennst du nicht mal,
wie lächerlich wir doch aussehen.
Wozu ist das gut.
Nirgends wird gesagt.
Hörst du, wie die Masten zittern?
Sie streben nach Ruhm.
Alles strebt nach Ruhm.
Er kriegt ja kalte Nieren.
Wir müssen ihn hochheben.

……

Lehnen wir ihn hier ans Rohr.
Der Mond.
Ohren hat er wie ein Kind,
sie wirken so verblüfft.
Die Schultern aber sind übertrieben breit.
Wozu.
Zweihundert Millionnen Tonnen Kohle.
Das ist genau die Menge, die hier liegen soll.
Fühlst du es?
Es soll Leute geben,
die Kohle fühlen können, die tief in der Erde schlummert.
Ganze Tage, ganze Nächte hindurch,
wohin sie auch gehen.
Überall die schlummernden Lager.
Du liest morgens die Zeitung – und fühlts die schlummernde Kohle.
Du redest abends mit deiner Frau – und fühlst die schlummernde Kohle.
Also gut,
heb’ ihn hoch und gehen wir.

…….

Legen wir ihn hin.
Das sieht nach einer menschenleeren Gegend aus.
Aber sie sind sicher hier,
sie warten hinter den Mauern wie Käfer unter Steinen.
Die Menschen warten immer,
schon bemerkt?
Sie sind imstande, alles dafür zu geben.
In der Küche unter der Lampe.
Im Nachtbistro,
das mit ihnen in die Ferne fliegt,
wie ein abgekoppelter Wagon.
Ein Dummkopf hat keinen Schimmer davon,
was dieses Warten für eine enorme Leistung ist.
Sich konzentriert festzuklammern,
die Kräfte nicht in Selbstgesprächen zu verschwenden,
nicht in Panik auszubrechen.
Warten.
Der Bistrowaggon fliegt durch die Nacht.
Sicher werden auch Menschen in dieser Gegend sein.
Wenn du kannst,
heben wir ihn wieder hoch.

……

Legen wir ihn hin.
Er ist so schwer, als gehörte er sich selbst nicht.
Und vielleicht gehört er gar nicht sich selbst.
Vielleicht gehört niemand sich selbst,
das kannst du nicht wissen.
Die Leute denken wohl,
sie wüssten,
was sie mit sich anfangen können.
Dass sie schon Bescheid wissen.
Und dass sie es allen anderen beibringen werden.
Jep.
Dieser hier ist definitiv schwerer,
als er wiegt.
Als schleppten wir, verdammt nochmal, was dazu.
Sind wir hier nicht falsch?
Nirgends wird gesagt.
Hier waren wir doch schon…
Diese Türme.
Diese Gruben.
Versuchen wir nur geradeaus zu gehen.
Irgendwann erzähl ich dir,
wer ich alles sein wollte.
Jetzt heben wir ihn hoch.


Petr Hruška (*1964, Ostrava, dt. Ostrau) zählt zu den bedeutendsten tschechischen Lyrikern der Gegenwart. Auf Deutsch sind zwei Gedichtbände erschienen: Jarek anrufen (Pongratz, 2008; übersetzt Rainer Kunze) und Irgendwohin nach Haus (Edition Azur, 2019; übersetzt von Martina Lisa).
Die vorliegenden Gedichte stammen aus Hruškas bislang letzten Lyrikband: Nikde není řečeno (Host, 2019; dt. Nirgends wird gesagt).
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