Norbert Lange: Ständchen für das Lyrik Kabinett
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Norbert Lange
Kann das wahr sein, es gibt das
Lyrik Kabinett seit dreißig Jahren schon?
Mehr als tausend Veranstaltungen
hat es dort gegeben, nicht schlecht für einen Millennial. Ich bin froh, dass
niemand ganz alleine diese Mengen stemmen musste. Bei ein paar Gelegenheiten
durfte auch ich aushelfen und traf dort wunderbare Menschen, die mich mit mehr
als nur Poesie beeindruckt haben. Ich erlebte Energie und Schmerz, auch Hochachtung
und Bodenständigkeit.
Bodenständigkeit, als Ursula
Haeusgen bei meinem ersten Auftritt im Kabinett (einem meiner ersten
überhaupt), weil noch Stühle leer geblieben waren, rief, sie würde sich gleich
an die Straßenecke stellen und jeden aus der U-Bahn steigenden in die
Veranstaltung locken. Ihre Stimme, sie hätte jeden Soldatenhaufen übertönt,
vertrieb glücklicherweise jede denkbare Weihehaftigkeit zusammen mit meiner
Nervosität.
Hochachtung, als nach einer
Veranstaltung in Gedenken des schwedischen Dichters Gunnar Ekelöf der kürzlich
verstorbene Peter Hamm davon erzählte, wie er Hans Magnus Enzensberger zu einem
Besuch bei Ekelöf begleitete, aber sich nicht traute, diesen zu treffen, und
stattdessen in eine Kneipe ging, um zu warten.
Schmerz, als bei unserer
gemeinsamen Lesung seiner Gedichte der Dichter Charles Bernstein Goethes
Erlkönig vortrug, in einer eigenen, seiner toten Tochter Emma gewidmeten
Übersetzung. Die Sehnsucht drückte wie ein schwerer Steinquader auf den Raum,
der Verlust schnürte einem die Kehle zu.
Aber ich durfte im Lyrik
Kabinett auch erleben, wie Jerome Rothenberg las und sein Körper während der
Lesung immer größer zu werden schien, als würden seine mehr als 80 Jahre von
ihm fallen, belebt und begeistert durch die Kraft, die er aus dem Vortrag
seiner Gedichte bezog. Bis in den Morgen haben er, seine Frau Diane und ich
miteinander gesprochen und Wein getrunken, in der kleinen Kammer, die das Hotel
für Raucher bot. Und am nächsten Morgen war die Spur noch frisch, im
Aschenbecher zwei zur Hälfte abgerauchte Zigaretten der Marke Seneca.
Zu guter Letzt die umwerfende
Vortragsweise Urs Allemanns, der ein Gedicht des Dada-Trommlers Richard
Hülsenbeck performte. Sie wäre nur zu toppen gewesen, wenn der ganze Raum mit
eingestimmt und nicht mehr aufgehört hätte. Und so, mit einem Raum von außer
Rand und Band geratenen Gästen, die ewig aufmerksam bleiben, soll es die
nächsten dreißig Jahre weitergehen. Alles Gute!
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