Nicola Quaß: Nur das Verlorene bleibt
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Stefan Hölscher
Nicola Quaß: Nur das Verlorene bleibt. Gedichte. Heidelberg (hochroth Heidelberg) 2020. 40 S. 8,00 Euro.
Nächtliche Lichter
Ein Lyrikband, der den Titel trägt „Nur das Verlorene bleibt“ setzt sich sogleich dem Verdacht aus, schwermütig Süßliches zu präsentieren. Achtung Kitschgefahr! Auch ein paar andere auffällige Phänomene in dem im Heidelberger hochroth Verlag erschienenen, nur 40 Seiten umfassenden Lyrikdebütband von Nicola Quaß könnten ein solches Verdachtsmoment nähren: Die Allgegenwart eines lyrischen Ichs, noch dazu eines solchen, das explizit über seine Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle spricht, die, auch wenn sie natürlich nicht 1:1 autobiographisch zu verstehen sind, unverkennbar biographische Bezüge zur Autorin haben. Die Sprache der Gedichte: sie ist nicht nur grammatisch klar und gänzlich unspektakulär, sondern auch in ihrem Wortuniversum gleichermaßen überschaubar wie alltagsnah: „Schnee, Regen, Wolken, Himmel, Monde, Nacht, Licht, Kälte, Stille, Blumen, Sommer, Winter, Frühling, Raum, Hände, Füße, Schritte, Schatten, Traum.“ Von solchen und ähnlichen Begriffen geprägt ist das Vokabular der Gedichte des Bandes. Stimmungsmäßig dominiert dabei ein sensitiv melancholischer Blick auf „Ich“ und Welt, wie er etwa in folgenden Passagen, deren Anzahl sich fast beliebig erweitern ließe, zum Ausdruck kommt:
Ich war noch jungals mich der Juli verließHäuser haben kein Gefühlfür vergangenesSchweigenMit zwei Augen zu schauenbedeutet, mit einem Augenur Dunkles zu sehen,mit dem anderen sich selbst.Immer tiefer versank ich im Raum. Das Wissen,nichts mehr in den Taschen zu haben, ein Ge-fühl von Leichtigkeit und Leere. Alle Ansprücheerloschen.
Dass lyrische Ich in den Gedichten von Nicola Quaß bewegt sich in einer Welt, die es so illusions- und zuletzt scheinbar auch bodenlos auf sich zurückwirft, dass ich während der Lektüre des Bandes immer wieder an den ja vor allem durch Hans Egon Holthusen in der Nachkriegszeit geprägten Begriff des „unbehausten Menschen“ denken musste. In den Gedichten von Nicola Quaß hat diese Unbehaustheit eine zutiefst existenzielle Dimension – ganz losgelöst von politischen Erdbeben, wie sie die Generation von Holthusen am eigenen Leib erfahren hat. Für das sensitive Ich in den Gedichten der 1974 geborenen Nicola Quaß scheint diese Unbehaustheit eine Grundgegebenheit des Seins zu sein – auch da, wo das „Ich“ „träumt“ oder dem in den Texten immer wiederkehrenden geliebten und liebenden „Du“ begegnet:
Wie deine Augenden Himmel bewegen, als sei es schon Nacht.Ich will, was niemalsgewesen ist: kein Endeunserer Reisedurch nächtliches LichtWie immer verliefen wir unsnach Plan
Das Grundmotiv eines unweigerlichen
nächtlichen Verlaufens in einer kosmische Geborgenheit grundsätzlich
versagenden Welt könnte den Kitschverdacht dadurch noch verstärken, dass es einfach
zu oft schon literaturprägend war, um nicht schon abgedroschen zu sein.
Abgedroschen sind die
Gedichte von Nicola Quaß aber gewiss nicht. Sie sind – so wie die Wahrnehmungen
des in ihnen sprechenden lyrischen Ichs – hoch sensitiv. Sie bedienen sich
sprachlich einfacher Mittel, tun das aber gekonnt, subtil, ausgefeilt und in
sich stimmig. Die Gedichte von Nicola Quaß sind gleichermaßen durch eine
homogene Grundbefindlichkeit wie auch einen homogenen Stil geprägt, den die
Lyrikerin für sich (in ihrem Debütband!) gefunden hat. Und eigentlich, so
könnte man sagen, ist das sogar ziemlich mutig: In einer Lyriklandschaft, in
der (scheinbare) sprachliche Einfachheit ebenso schnell wie
persönlich-emotionale Reflexivität unter Trivialitätsverdacht gerät, genau solche
Pole zum Kompass des eigenen Schreibens zu wählen. Dies gelingt Nicola Quaß in
ihren Gedichten, die ich gerne mehr als einmal gelesen habe, ausgesprochen authentisch
und stilsicher:
Noch ist Winter. Nur die Sonnekriecht über das Land.Der hart gespannte Himmel. Eine Ahnungvon Tulpen an der Wand. Es ist die Zeithinter geschlossenen Fenstern. Geteilte Stunden,Straßen ohne Laub. Wiederholung der Landschaftim flachen Licht des Morgens. Ein Gefühlhautwarmer Luft.Wir drehen die Minuten im Kreisund träumen vom Leben,von hingestreuten Stundenüber den Wunden. Und manchmaldrängt sich der Tod in den Sommerwie ein verspäteter Brief.
Die Lyrikbände aus dem
hochroth Verlag zeichnen sich ja durch eine auch handwerklich individualisierte
Produktion aus. Ich habe das Buchexemplar 020 bekommen. Den subtilen Gedichten
in diesem Band sind mehr Lesende eindeutig zu wünschen!