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Nasima Sophia Razizadeh im Interview

Dialoge

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Nasima Sophia Razizadeh IM INTERVIEW

Von der „Berührung im leisen Spiel mit der Sprache“

Im Herbst 2023 erschien Nasima Sophia Razizadehs Debüt Sprache und Meer. In ihren wortspielenden und bilderreichen Texten entfalten sich vor dem Leser selten schöne Reflexionen über Sprache, Sprechen und Schreiben sowie Szenen und Narrative über die sinnliche Wahrnehmung, über eine sanft-wilde Monstrosität der Phantasie, über Hingabe, Bewegung und Berührung. Die Germanistin Corinna Sauter (Tübingen / Salzburg) hat mit der Autorin über ihre Dichtung gesprochen:

Sauter links,
Razizadeh rechts.
Frau Razizadeh, man liest Sprache und Meer, ist verblüfft von diesem Debüt und beglückt bei der Lektüre einer Prosa von solch großer sprachlicher Prägnanz und Präzision. Wie kamen Sie zum Schreiben?

Die Hinwendung zur Sprache hat, denke ich, schon sehr früh stattgefunden. Bloß dass es zuerst vielleicht gar nicht so sehr eine Hinwendung war, sondern ein Fall, hinunter, hinein in die Sprache – wenn auch bestimmt kein Zufall. Ich kann mir mich als Mädchen in der Tat ein wenig wie Alice in Lewis Carrolls Alice in Wonderland vorstellen, auf einem Streifzug durch die kindheitstypisch unübersichtlichen Tage, kann mir vorstellen, mich, von einer Ungeduld mit dem Alltag und Neugierde angestiftet, ohne zu zögern, über diese Öffnung im Boden gebeugt und geradewegs hinabstürzen gelassen zu haben. Das Zur-Sprache-Kommen war und ist aber vielleicht doch nicht nur Ausdruck von Übermut. Es ist wohl auch einer Not geschuldet. Einer sich aus einem nicht ohne weiteres benennbaren Mangel ergebenden Notwendigkeit, anderswo etwas Anderes zu finden. Eine Flucht und eine Suche nach Klang, Spiel, Form, Steigerung, Konservierung, Kontrolle, und, gleichsam, grenzloser Freiheit. Und, vermittelt durch dieses Andere, die Erzähllust, den Erzählzwang, den Erzählwahn, die eigene Stimme und das zunächst notwendigerweise vereinzelnde Schreiben: das Finden des Anderen, eines Anderen, eines Gegenübers, eines Empfängers, mal personifiziert, mal idealisiert, und vielleicht einer Antwort, letztlich. Aber Zur-Sprache-Kommen heißt eben auch, immer bereit zu sein, aufs Neue, wie man sagt, stiften zu gehen. Hervorzuheben wären demnach noch die letzten zehn und dann wiederum die letzten zwei Jahre. Seit etwa zehn Jahren schreibe ich Texte, die für mich noch heute relevant sind – wobei sich zunächst der Großteil, gemessen an Seitenzahlen, in Notizheften, teils auch Briefen, findet, oder sich darin vielmehr verliert, und ich dieses Geschriebene nicht als Texte im engeren Sinne bezeichnen würde. Irgendwo zwischen diesem steten Schreiben und den Orten, Begegnungen und Bildern um mich und in mir entsteht schließlich zudem die Dichtung. In den letzten zwei Jahren, seitdem also die Texte zunehmend auch gewissermaßen oberirdisch wahrnehmbar werden, hat sich das stark intensiviert. Kurz: Der Umgang mit der Sprache war und ist beinah immer präsent. Die Dichtung hat dennoch immer noch keine Tür. Sie bleibt eine Öffnung im Boden, an der ich immer aufs Neue plötzlich, vorüber- und ankomme, und dann nicht zögere.

Sie erwähnten die Bedeutsamkeit der Orte und der Bilder um Sie für Ihr Schreiben. Beim mehrsinnigen Titel Sprache und Meer liegt es nahe, nach dem Meer als Ort, Bild und Sprachmetapher zu fragen.

Ich möchte auf diese Frage, das Wort Meer nachahmend, und auch die Stille, die das Meer mir, wenn ich dort bin – selbst dann, wenn ich dort spreche, höre, denke, schreibe – schenkt, so einsilbig, so kurz wie möglich antworten. Das Meer ist mir, und das verdanke ich nicht nur dem Meer, zu einem Bild für Alles geworden.

Sie sind nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Biologin. Ihre wissenschaftliche Tätigkeit und das Unterrichten bezeichnen Sie als einen Schirm fürs Schreiben. Abgesehen davon: Zwar ist die Biologie in Sprache und Meer nicht überrepräsentiert, immerhin aber begegnet z. B. eine Miniatur zur „Obszönität einer Luftwurzel“, also einer Pflanzenwurzel, die partiell über (anstatt in) der Erde ausgebildet wird, und mit der es das Ich des Textes ‚Aug in Aug‘ aufnimmt. In welchem Verhältnis stehen Biologie und Poesie für Sie? Gibt es Parallelen hinsichtlich der Methode und der Faszination?

In der Tat steht die Biologie der Literatur zunächst für mich diametral gegenüber. Ich entpuppe mich vermutlich schon durch die Bezeichnung der Biologie, ihres Studiums und der Arbeit in diesem Gebiet als Schirm, des Schreibens, um im Bild zu bleiben, hingegen als Natur bzw. ohne Hilfsmittel unentrinnbarem Regenwasser, als keine wirkliche Biologin. Aber als analog zu betrachten sind sicherlich bestimmte Elemente: das schier uneinholbare Objekt und die dennoch, teils durch Technik herbeigeführte, teils unmittelbare große Nähe dazu, die Vereinbarkeit von Präzision und Differenziertheit einfordernder Komplexität einerseits und ungestümer Begeisterung für das Schöne andererseits, oder das Spiel mit den verschiedenen Ebenen, die ein Ganzes ergeben, die allesamt aufeinander beziehbar sind und sein müssen, die aber je eigenen Gesetzen zu folgen scheinen. Beide Disziplinen besitzen diese Reize. Und doch: Die Biologie bleibt eine Disziplin. Die Dichtung dagegen ist die Dichtung. Die letzten Jahre, seit Abschluss des wissenschaftlich ausgerichteten Studiums, habe ich häufig, neben kleineren Forschungsprojekten, Biologie an Schulen unterrichtet, zunächst nur in der Oberstufe (Sekundarstufe II), im letzten Jahr auch in Klassen mit jüngeren Schülerinnen und Schülern. Das war ursprünglich nicht geplant, ist aber eine schöne Möglichkeit, dem eigenen Fach auf eine ganz andere, ständig neue Weise zu begegnen. Hier, in der Lehre, wird ganz unmittelbar deutlich, dass der Weg in die Biologie auch ein sprachlicher ist, und dass wiederum bei der Beschäftigung mit der Biologie aus einem wundervollen Vokabular geschöpft und von Modellen und Mustern der Betrachtung auf jeweils ganz persönliche Weise profitiert werden kann.

In Ihrem Buch ist einerseits von einem Drang zum Schreiben die Rede, andererseits von einem „Überstrukturierten“. In welchem Verhältnis stehen der Schreibdrang und der Wille zur Struktur?

Das ist ein seltsames Flirren. Der dunkle Drang und der helle Wille. Um doch nochmal auf die Biologie zurückzugreifen: Leben wäre – ganz unzulänglich natürlich – definierbar als ein stetes Entgegenwirken gegen die Tendenz der Materie zur Unordnung. Leben ist eine ständige Aufwendung von Energie zur bloßen Aufrechterhaltung einer gewissen Ordnung. Und gleichzeitig sind doch Lebewesen Bündel aus unüberblickbaren Trieben, Drängen, Bedürfnissen, Verwicklungen. Man kann, wenn man ein Wesen betrachtet, trotz seiner lebensnotwendigen Ordnungsliebe, eigentlich bloß den Kopf schräg legen und erstaunt sein, dass es so etwas gibt, geben kann. Ich löse den Widerspruch – wiederum ganz unzulänglich natürlich – vielleicht, indem ich im Schreiben Fabelwesen zu finden versuche, die mir einerseits ganz Untertan sind und die andererseits eine, meinem mich in die Sprache treibenden Drang entsprechende eigene lockende Wildheit an sich haben.

Das Thema Berührung – Berühren und Berührtsein bzw. -werden – zieht sich als ein roter Faden durch Sprache und Meer. Eine Art Poetik der Berührung wird entfaltet. Ist die poetische Sprache für Sie das Medium des Ertastens der Welt, der eigenen Innenwelt, aber auch des Anderen?

Ja, das willkürliche und willentliche Spüren und Sich-Spürbar-Machen sind sicherlich wichtig. Ich spreche in Sprache und Meer häufig von Körpern, dem eigenen Körper, aber auch dem Körper des Anderen, den anderen Körpern, dem Textkörper, dem Sprachkörper, dem Wasserkörper. Das Schreiben hat mit der Berührung, anders als mit dem Gefühl oder dem Denken etwa, ohnehin zwingend die Hand gemeinsam. Über das Manuelle hinaus aber verbindet Berührung und Sprache ganz einfach die Sinnlichkeit – und die sprachliche Sinnlichkeit ist von vorherein auch, wenngleich keine Berührung, eine unsichtbare Brücke zum Leser. Erst vor kurzem habe ich ein Kapitel in dem ersten Band der Kafka-Biographie von Reiner Stach wiederentdeckt, in dem die Bedeutung des Schwimmens für Kafka beschrieben wird. Diese umfassendste Berührung durch das Wasser wird als Inbegriff der Sinnlichkeit beschrieben. Und obgleich ich in Sprache und Meer begrenzt und darauf beschränkt bin, zu sprechen, wird es doch, hoffe ich, auch durchwirkt von dem Wunsch, zu „meeren“.

Es finden sich eine ganze Reihe neuartiger Bilder, fortgesetzter Metaphern und phantasierter Szenerien in Ihrem Buch, die sich als Ikonisierung einer Liebeserklärung beschreiben ließen. In welchem Zusammenhang zu Ihrem Schreiben steht die Liebe und welche Funktion kommt Eros zu?

Einer der letzten Romane Patrick Modianos trug, in der deutschen Übersetzung, den Titel Unsichtbare Tinte. Ich komme nicht herum, das auch kindlich zu hören, an Zitronensaft-Geheimschriften zu denken. Aber es ist auch ein Bild für die Spur, die keine sein will, und die Spur, die andererseits ohnehin unmöglich ist, und die ich dennoch hinterlassen oder finden will. Nur um solche Spuren kann es sich handeln, scheint mir, wenn Liebe und Erotik in die Sprache einsickern. Das Begehren und Wollen von etwas Unmöglichem aber hat das Schreiben von der Liebe mit der Liebe gemeinsam. Bestenfalls wird das spürbar. Und die Unleserlichkeit, die Stärke und Unbeschwertheit des, zumindest teilweise, im Dunkeln Verbleibens, hat das Schreiben von der Erotik wiederum mit der Erotik gemeinsam. „Eros is a verb.“, schreibt Anne Carson, und ich fühle mich befreit, wann immer ich daran denke, sprachlich wie vorsprachlich.

Ihre worthörige Prosa ist durchwirkt von Alliterationen, Assonanzen und Wortspielen, Wortfiguren, die mit dem Doppelsinn der Worte spielen, und Wortspielen, bei denen die Wortkörper aufgebrochen und die Elemente (Buchstaben und Laute) gleichsam frei- und in Bewegung gesetzt werden. Paronomasien wie Gegenwa/ort, Bes/täubung, Fluch/t oder Seh/nen, das paronomastische Gleiten der Signifikanten und die damit einhergehende Bewegung des Sinns scheinen ein Strukturprinzip Ihrer Prosa zu sein. Was hat es mit der Paronomasie auf sich?

Die Nähe zu den Worten, vielleicht also durchaus auch die Nähe der Worte zueinander, untereinander, ist wichtig und wertvoll, beim Schreiben wie beim Lesen: Buchstabenklein zu sein, von Buchstabe zu Buchstabe, Wort zu Wort, Satz zu Satz, mit dem Geschriebenen auf einer Höhe, zu gehen. Hindurch zu waten durch Sprache und Schrift, durch Schriftbild und Klang. Die Geschwindigkeit der Sprache geradezu körperlich und rhythmisch zu empfinden oder nachzuempfinden. Und dann wiederum vom Geräusch eines einzelnen Buchstabens aufgescheucht zu werden. In der Sprache ist es nie schlecht, empfindlich zu sein, selbst überempfindlich zu sein. Ich bin sowohl für Feinheit als auch für Grobheit empfänglich im Sprachgebrauch. Und alle Mittel sind erlaubt im Spiel mit der Sprache, solange der Form und Worte wählende Wille, trotzdem, immerzu durch ein unbewusstes, wildes Element gestört wird. Das Spiel mit der Sprache bleibt ein Balancierakt zwischen Ehrfurcht und Lust.

Es gibt die Theorie, dass das Wort im poetischen Text den Status von Namen hat. In Sprache und Meer werden der Akt der Benennung und die (Eigen-)Namen thematisch. Nicht zuletzt scheint so etwas wie eine Utopie der Namenlosigkeit auf. Welche Rolle spielt der Name für die Poetologie Ihrer Texte?

Der Name, ich spreche nun und im Folgenden vom Eigennamen, ist, in meinem Empfinden, ein zutiefst kurioses Wort. Der Name kann zum Wort werden, das Wort zum Namen. Aber der Name als Name bedeutet für mich, wenn ich schreibe, eine Bedrängnis. Im Text, scheint mir, kann kein Platz sein für das, worauf ein Name verweist. Schreibe ich im Gedicht oder auch in den Texten in Sprache und Meer die Worte ich oder du, so meine ich, dass diese Worte genau das sind, was sie sind, eine Selbstbezeichnung oder eine Ansprache. Darüber hinaus bleibt offen und kann offenbleiben, wo das Selbst und der Adressat sind, ob im Text, in der Welt, im Privaten, im Intimen, im Unbekannten, im Unbestimmten, in der Vergangenheit oder Gegenwart oder womöglich Zukunft. Die Öffnung, die diese kleinen Personalpronomen ermöglichen, ist etwas völlig anderes als das klaffend Offene des Namens. Ein Name ist für mich das Ausrufezeichen unter den Worten – ich will nicht ausschließen, dass es sie in meinen Texten geben kann, Namen wie Ausrufezeichen, in jedem Fall werden sie immer selten bleiben. Den Namen zu verlieren, dem Wort für mich oder für eine andere Person zu entkommen, darunter wie unter einer Abgrenzung hinweg zu tauchen, ist ein Ideal, aber es ist auch eine unsagbar unheimliche Vorstellung. Das entgegengesetzte Extrem ist vielleicht, sich einen Namen zu machen. In letzterem Fall entkommt man dem, wofür der eigene Name steht und stand, scheinbar, in die Anonymität des sich gemachten Namens. Im Fall der Namenlosigkeit, wie ich sie denke, wird man sich und der Welt zum Geheimnis, zum Gast, zum unbegründeten, sprachnackten Dasein. – Und immer denke ich an einen Satz aus Oscar Wildes The Picture of Dorian Gray, den ich vor über zehn Jahren gelesen habe und der mir seitdem zu einem Privatgesetz geworden ist, wenngleich ich es auch immer wieder emphatisch breche: “When I like people immensely I never tell their names to any one.“

Das selbstbezügliche Schreiben über Sprache wird in Ihrem Buch in subtiler Komik zum „inzestuösen Akt“ erklärt. Abgesehen vom Inzest, vom Bild des Meeres als einem Element der Symbiose, der Aufhebung der Grenzen und der Unterscheidungen begegnen Figuren wie die Sphinx oder die Sirenen, scheinen punktuell Themen wie Angst, Kränkung, Scham oder die Ananke auf; Freuds Satz, „daß das Ich nicht Herr sei im eigenen Haus“, wird ebenso eingespielt wie der Traum samt der Terminologie der Traumdeutung in gewitzter Wörteranagrammatik – anstelle von Tagesrest und Traummaterial ist die Rede von den „Traumresten als Tagesmaterial“. Verschiebung und Verdichtung der unbewussten Spracharbeit sind aufgerufen, die auch im Versprechen und Verhören am Werk ist und im Wortspiel ihr poetisches Pendant hat. Dass ‚das Unbewusste wie eine Sprache strukturiert ist‘, wusste Jacques Lacan, dessen Satz ‚Liebe heißt: geben, was man nicht hat‘ überdies anzuklingen scheint. Ihre Dichtung ist, um das Mindeste zu sagen, psychoanalytisch informiert. Welcher Status kommt der Psychoanalyse in Ihrem Schreiben zu?

Mit der Psychoanalyse verbindet das Schreiben vielleicht, dass nichts harmlos ist darin. Das Harmlose findet keinen Eingang in die Psychoanalyse oder das Schreiben und die Psychoanalyse oder das Schreiben finden keinen Zugang zum Harmlosen. Beide halten etwas Unerträgliches aus. Beide rahmen etwas immerzu Überschäumendes gewissenhaft. Beide harren aus im Staunen, und kämpfen sich dennoch, beharrlich, weiter vor durch ein Dickicht aus Zwang und Angst, Begehren und Lust. Ich kann eigentlich nicht viel sagen über die Psychoanalyse. Sie kann, in all ihrer Fremdheit und Ferne und Faszination, trotzdem im Verhältnis zu meinem Schreiben als ein gutes, ein ruhiges, grenzwahrendes, unsichtbares Gegenüber gesehen werden. Vielleicht wäre auch eine weitere interessante Frage, welcher Status der Sprache in Freuds Vorstellungen von der Psychoanalyse zugekommen ist und wie das wiederum unser Verhältnis zur Psyche, unseren Umgang mit uns selbst und miteinander prägt. Vielleicht ginge es ja ohne die Sprache. Aber wir müssten natürlich viel weiter zurückgreifen – dann gäbe es womöglich eine Sphinx, die schweigt, Sirenen, die nicht singen. Die Sprache ist eine Fehlleistung, denke ich. Doch die Psychoanalyse erinnert, beinah tröstlich, daran, dass die Verfehlung selbst spricht, dass in ihr eine ungeheure Willenskraft liegt. Und diese Kraft holen weder die Psychoanalyse noch die Schrift ein. Sie lassen, und darin liegt eine je ganz eigene Stärke, diese Kraft einfach gewähren.

Leser dürften bei der Lektüre Ihrer Prosa immer wieder zu Nachschlagewerken greifen: Denn was mitunter wie ein Neologismus anmuten mag, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als einer älteren Sprachschicht entnommenes Wort, wie im Fall von „Schwimmung“, oder als ein Lexem der juristischen Fachsprache wie beim „Entkennen“. Nicht zuletzt hat man zum Goutieren eines Wortspiels wie in der paradoxen Maxime, ein „sprechendes Echo“ sein zu sollen, mit der Etymologie – hier dem altgriechischen Wort für Schall (ēchē) – zu rechnen. Geht es bei der Aktualisierung des Sprachreichtums um Verfremdung, um geistreiches Sprachspiel, das neue Sinnschichten in der Sprache offenlegt, oder darum, Erfahrungen, Empfindungen, Vorstellungen und Bilder der Phantasie mittels eines unverbrauchten Wortschatzes gerecht zu werden?

Ich denke nicht, dass Wörter Gefahr laufen, je verbraucht zu sein. Es kommt doch eher immer aufs Neue auf den Wort-Gebraucher an, wie ein Wort wirkt. Worte sind ja nicht Münzen in einer Schatztruhe, sondern kleine wilde Tiere. Wie ich mit ihnen umgehe, wie sehr ich die Worte zähme, welchen von ihnen ich meine Phantasie und meine Sprache als Revier überlasse, ist eine immer aufs Neue zu treffende Entscheidung. Und die Wortwahl, die Gewähltheit des Schreibens und Sprechens, ist – um nochmal vom Wort Wortschatz fort zu kommen – das Insigne des Schriftstellers. Aber an dem Wort selbst, scheint mir, scheitert der Ausdruck nicht. Über die Existenz der Worte Schwimmung und Entkennen war ich mir beim Schreiben tatsächlich auch nicht im Klaren. Ich sehe solche Wörter später, beim Wiederlesen des Texts, nach und bin hin und her gerissen zwischen der Freude über die aufgespürten Mit-Bedeutungen oder Vor-Bedeutungen und einer kleinen Enttäuschung, dass es hier etwas, das kurz nur mir zu gehören schien, doch schon gab. Das Wort „Schwimmung“ ist ein gutes Beispiel. In Sprache und Meer taucht im ersten Text, dem einzigen Text ohne Titel, der Satz „Auch die Sprache war bloß Schwimmung.“ auf. In diesem erst sehr spät von mir eingefügten Satz, schien mir alles zusammenzufließen, was ich mich auf die verschiedenste Weise in dem Buch auszudrücken bemühe. Als ich dann das Wort „Schwimmung“ am nächsten Tag in die Suchmaschine eingab, wurde etwas ganz Anderes, ganz Fremdes, und doch auf kuriose Weise das Wort zum zweiten Mal zum Leben Erweckendes angespült: Auf der Webseite eines Bautzener Maschinenbau-Ingenieurs findet sich eine enigmatisch anmutende Definition des technischen Fachworts „Schwimmung“. Es entsteht ein Fremdbild im Eigenbild. Die Sprache, als ein so viel Größeres, flutet manchmal meine Sprache.

Das Nachdenken über Sprache findet in Ihrem Buch als ein Denken in Bildern statt – in Vergleichen, Gleichnissen, Personifikationen, Metaphern und Bildbrüchen. Der Widerspenstigkeit der Worte gegen die Stillstellung der Bedeutung im Begriff verhelfen Sie auch durch Wörtlichnehmen zu ihrem Recht. Das auch dort, wo sie auf die Fundamentalontologie Martin Heideggers zurückgreifen, indem sie dessen Katachresen nun tatsächlich als Bilder fortspinnen. Die Frage nach dem Verhältnis von Erfahrung und Benennung in Sprache und Meer, aber auch die neuartige poetische Beschreibung von Empfindungen, Vorstellungen und Begegnungen durch Bilder legt eine gewisse Nähe zur Phänomenologie als Methode nahe. Edmund Husserl wird mit der „Stimmigkeit“ in Ihrem Buch auch eingespielt. Wie stehen Sie zur Phänomenologie?

Ich müsste einen Schritt zurückmachen vielleicht und überlegen, wie ich zur Philosophie stehe. Und tatsächlich spielt und hat die Philosophie eine wichtige Rolle gespielt, allerdings bin ich der Anziehung, die diese Disziplin immer schon auf mich hatte, nur bruchstückhaft und sehr launisch nachgegangen, habe also lediglich gelesen, was ich lesen wollte. Sicherlich können bestimmte Begriffe in Sprache und Meer auch als Anspielungen auf philosophisches Vokabular gelesen werden, obgleich ich sie im eigentlichen Schreibprozess keineswegs philosophisch oder als Zitate denke, sondern selbst erst später beim ersten eigenen Lesen darin auch das Gelesene wiedererkenne, etwa der Mittag (Friedrich Nietzsche) oder das Ereignis und die Lichtung (Martin Heidegger). Ich spreche mit diesen Gestalten aus Liebe zu ihren jeweiligen Sprachen, nicht so sehr um an Gedanken anzuknüpfen. In solchen spurhaften Ansprachen unterscheide ich nicht zwischen Philosophen und Dichtern. Zur Phänomenologie: Der Phänomenologie, muss ich gestehen, misstraue ich. Es muss hinzugefügt werden, dass ich ihr von einem Standpunkt aus misstraue, der sehr angreifbar ist. Ich sage das ohne einen theoretischen Sockel unter mir. Aber vielleicht rückt mich das gerade in die Nähe der Phänomenologie, zumindest, wie Sie vorschlagen, methodisch. Meine Phantasie zur Phänomenologie ist, dass sie dem Unmittelbaren möglichst unmittelbar zu begegnen versucht. Das, was erscheint, das Phänomen, nicht nur als das, was es ist, begreifen will, sondern ihm in der Weise, wie es erscheint, zu entsprechen versucht, zu entsprechen begehrt. Doch da setzt das Misstrauen ein, und es ist vielleicht ein Misstrauen, das ich auch meinem eigenen Schreiben gegenüber manchmal empfinde. Die Phänomenologie kann dem, was erscheint, eben nur sprachlich entgegenkommen. Ich kann schlichtweg nicht annehmen, dass meine Sprache eine Entsprechung findet außerhalb ihrer selbst, außerhalb der Sprache. Ich habe die Vorstellung, dass eher das Nicht-Sprachliche in der Sprache selbst gesucht werden muss, als dass es möglich ist, sich mit der Sprache von oben über das Nicht-Sprachliche zu beugen, und dabei etwas zu finden, was es ohnehin schon gibt. Ich finde zurück zu einem Dichter, Paul Celan, und meine, alles in diesen wenigen Worten zu finden, was ich suche, in und mit der Sprache: „Aber das Gedicht spricht ja!“ und dann „Ich spreche ja von dem Gedicht, das es nicht gibt!“. Ich will schreibend schon nicht mehr sprechen müssen. Ich suche keinen Gegenstand mehr, sondern immer nur ein Gegenüber.

Sie haben von der Erfahrung berichtet, dass Leser Ihnen – dann als sehr konkrete ‚Gegenüber‘ – ihren Lektüreeindruck mitteilen und auch, an welche Autoren sie sich beim Lesen erinnert fühlten. Darunter war Rimbaud, man könnte auch an Rilke denken. Leser interessieren sich für den jeweiligen ‚Kanon‘ von Autoren. In Sprache und Meer begegnen einige von ihnen, die teils schon erwähnt wurden: z. B. Hölderlin, Carroll, Flaubert, Dostoevskij, T.S. Eliot und Kafka. Über das Lesen und das Verhältnis des „Vielkopfes“ Autor zu seinen Lesern findet sich auch eine Reflexion im Buch. In welchem Verhältnis steht der Schreibprozess zu Ihrer eigenen Lektüre?

„Von meinem Handwerk wird man dann sagen: / Es hat einen brennenden Boden.“, schreibt Christine Lavant am Ende eines Gedichts, dessen erster Vers lautet „Hab ich den Vogel erfunden“. Ich muss an diese Zeilen denken, da sie, scheint mir, keineswegs nur auf eine prekäre oder gefährliche Seite des Schreib-Handwerks verweisen, sondern auch auf das vom Boden her dem „Handwerkenden“ Entgegenzüngelnde, die früheren Stimmen. Das ließe sich überdies gut mit der Frage aus der ersten Zeile zusammenlesen – nicht nur die Frage nach dem Erfinden des Vogels, sondern auch seiner Bezeichnung, des Worts „Vogel“. Auch ist die Rede vom „in die Wälder gehen“, vom „Wurzeln graben“ und vom „klauben“ – wie ließe sich das Lesen besser fassen? Ich spreche und spiele gern mit dem Gelesenen, schon beim Lesen vielleicht, aber immer einmal wieder auch beim Schreiben. In den Texten in Sprache und Meer tauchen teils kursive Worte auf, die auf einen literarischen Ursprung zurückgehen, denen man aber den Zitatcharakter nicht mehr ohne Weiteres immer ansehen kann, vermutlich. Beispiele wären die Wörter plötzlich, trotzdem, Revier und Zwang (in Nachbarschaft zum Wort Licht), Gegenwort, stiften oder der Name Alice. Möglicherweise sind selbst mir manche Anspielungen nicht bewusst. Wenn Leserinnen oder Leser meiner Texte mich auf solche mir unbewussten Bezüge in meinen Texten hinweisen, ist das wunderbar, dann weiß ich gleich, was ich als nächstes lesen werde – so etwa Rimbauds Zeit in der Hölle. Das unbewusste Zitieren und Übertragen ist aber vermutlich eben eine Eigentümlichkeit im Umgang mit der Sprache. Immer wieder greifen wir auf das exakt gleiche Material zurück in der Arbeit an und in und mit der Sprache – und doch kristallisieren sich manchmal Einzigartigkeiten aus diesem Allgemeingut heraus. Daher war mir allerdings auch wichtig, die Anspielungen auf meine Lektüre, die mir wichtigen fremden Stimmen, nur schattenhaft und flüchtig auftauchen zu lassen. Vielleicht sind die erzeugten kleinen Begegnungen mit den von Ihnen genannten Autoren nicht viel mehr als ein Ausdruck großer Verbundenheit zu der Sprache, die ich vorfinde, und eine vorsichtige Verbeugung vor diesem Wunder, in einem Wort oder einem Satz oder einem Stil eine Person zu erkennen – als könne man durch eine gespiegelte Scheibe auf wunderliche Weise doch hindurchsehen, und den dahinterstehenden Eliot, Kafka oder Rilke sehen.

Bleiben wir kurz bei Kafka. Einem seiner Briefe an Milena Jesenská ist das Motto entnommen, mit dem sich Ihre Dichtung vielleicht auch als ein ‚längerer Brief‘ bzw. eine Flaschenpost an den Leser begreifen ließe. Zudem formulieren Sie in der programmatischen Schreibszene zu Beginn des Buches eine Poetologie des Kafkaesken als das „Aufeinanderprallen des Unzubändigenden, Wilden und dem bis ins Absurde Überstrukturierten“. Das Wort kafkaesk wurde in Anlehnung an das Wort grotesk gebildet; das Groteske ist auch zentral – etwa im Bild vom in der Sprache waltenden „Lindwurm mit offenem Rücken“. Es geht auch um die „Monstrosität der Phantasie“ selbst. Mit dem Kafkaesken und Grotesken in Sprache und Meer werden Grenzen – diejenigen zwischen Mensch und Tier, Tier und Ding, Innen und Außen, Subjekt und Objekt, Ego und Alter – sowie ihre Auflösungen verhandelt. In welchem Zusammenhang steht die in diesem Rahmen aufscheinende Faszination für die Selbstvergessenheit oder auch den Selbstverlust mit der beängstigenden Sprachlosigkeit, die eine Art Schlusspointe Ihres Buches ist?

Vielleicht ist es da wie mit dem Unterschied oder Zusammenhang zwischen den Wörtern wirklich und eigentlich. Vielleicht auch wie mit dem Hund des alten Manns in Camus’ Der Fremde, den sein grimmiger Besitzer immerzu loswerden zu wollen scheint und doch innig liebt. Was den Vorzug genießt, was fasziniert, was Angst macht, was ich will, was ich nicht will, was ich will und gleichzeitig nicht will, wobei die zwei Seiten des Widerspruchs sich sogar kausal bedingen können, ist nicht sagbar. Eigentlich will ich, wenn ich im Meer schwimme, weiter und weiter und weiter hinausschwimmen, ich höre schon den Sirenengesang, alles ist Wasser und Licht, die schimmernde, wogende Wasseroberfläche, der leere, blaue Himmel, der hochstehende, hypnotisierende, weiße Lichtfleck, und je weiter ich wegschwimme vom Land, desto wahrer wird diese äußerste Reduktion. Eigentlich ist die Lust auf so eine Schönheit anziehender als alles, was ich in meinem Rücken weiß. Ich kann schwimmen. Ich besitze eine vielleicht verheerende Schwimmgabe. Ich spüre mich im Wasser und fühle mich, als hätte ich das mir zugehörige Habitat wiedergefunden. Ich will, eigentlich, nur schwimmen und davonschwimmen. In der Wirklichkeit aber fürchte ich mich ab einem gewissen Punkt vor mir, dem Wasser, dem Licht, der zunehmenden Verlassenheit – diese Begegnung ist in der Tat monströs. An dieser Grenze erinnere ich mich daran, dass ich die Grenze liebe und sie gerade deswegen nur eigentlich auflösen wollen, nicht aber wirklich überschreiten kann, denn sonst würde ich ihr ja das Begrenzende, ihre Eigenschaft, den Grund für mein Begehren nehmen. Ich schwimme zurück ans Ufer, hastiger, mit Blick auf die anderen Badenden und Strandbesucher, kleine bunte Figuren, mit Blick auf die andere Grenze, die Wasser-Land-Grenze, die so viel zahmer ist, die ich doch überschreiten kann, immer wieder und in beide Richtungen. Die Grenze, an die ich weit draußen im Meer stoße, ist grotesk, schön, aber grotesk. „Grotesk, grotesk.“, schreibt Thomas Bernhard. Für die Wirklichkeit zu absolut. Die Grenze, über die ich nun ins Land zurückgerate, vom Schwimmen zum Gehen durchs brust-, dann knie-, dann knöchelhohe Wasser übergehend, und wo ich ins Trockene gerate, selbst langsam trockne, anders bebend nun als zuvor, ist kafkaesk, ist schön und schmerzhaft und – kafkaesk. Zwischen dem Grotesken und dem Kafkaesken habe ich mir, wortlos, schwimmend, in Erinnerung gerufen, was und wie und weshalb ich schreibe. Und während ich mit der Zungenspitze noch die Sprachlosigkeit auf meinen Lippen schmecke, sie koste, mit noch tropfendem Haar, ist die Angst verebbt, ist auch das Glühen gedimmt, ist auch der Groll vergessen, schreibe ich womöglich schon wieder irgendetwas auf oder denke an jemanden oder drehe mich, glücklich, um die eigene Achse, glücklich, mich im Kreis drehen zu können, glücklich, dass geschieht, was nicht sagbar ist, und umgekehrt.

Den November haben Sie als H.C.-Artmann-Stipendiatin in Salzburg zugebracht. Eine kleine Kostprobe aus den dort entstandenen Gedichten gaben Sie am 1. Dezember 2023 bei der Poesie-Nacht im Literaturhaus Salzburg. Darunter fand sich auch eines über, zu, ja: für Georg Trakl. Ihr Gedicht schien mir getragen von einer zärtlichen Geste. Könnte man sagen, dass das lyrische Gedicht – für Sie – auch ein Akt zärtlicher Zuwendung ist, dem eine Tendenz auf Berührung über die Zeiten hinweg eignet? Ist das Gedicht eine Gabe – und in diesem speziellen Fall eine Art Gegengabe?

Ihre Formulierung „über, zu, ja: für“ scheint mir das Zärtliche des Gedichts, die Möglichkeit der Zärtlichkeit, genau einzufangen. Und wiederum zärtlich einzufangen – wie ein flatterndes Insekt, das man in der Höhle zwischen zwei gewölbten aufeinandergesetzten Händen gefangen hält für einen Augenblick. Es muss im Gedicht, das verleiht seiner Geste eine große Freiheit, nichts zurückgehalten werden. Jeder Bezug zum Anderen, jede Beziehung, jedes Begehren, jede Berührung und selbst Beschlagnahmung können hier gleichzeitig und zeitlos zum Ausdruck gebracht werden, ohne befürchten zu müssen, zum Bedrängnis zu werden. Dieser schillernden, dunklen Auffassung von Zartheit entspricht vielleicht das in Trakls Texten so häufig zu findende „Tier“. Eine Gabe, die auf die Annahme hofft, zärtlich hofft, und doch nichts zurückzuhalten braucht. Ein Guss. Und die Spur des Gusses. Denn das Gedicht bleibt. Deshalb muss das Gedicht auch ein Un-Ort sein. Die schmerzliche Zärtlichkeit des Vers-Endes „Denn bleiben ist nirgends.“ (Rilke) gipfelt vielleicht darin, dass das Bleiben im Gedicht gelingen darf und dass gleichsam das Gedicht nirgends ist. Die Wucht, mit der eine zarte Gestalt wie Trakl aufbegehrt, und sein elegischer Eigensinn, berühren mich in der Tat so sehr, dass ich nach dem Besuch des „Trakl-Hauses“ an der Salzach (sein Geburtshaus, das heute als Forschungs- und Gedenkstätte dient) und nicht zuletzt dem Anblick seines dort neben dem Fenster hängenden Selbstportraits einen Anflug von Verliebtheit empfunden habe, ein Begehren, aber auch das Bedürfnis, in Schutz zu nehmen, und die Gefahr, dass es eben hier zu einem Verfehlen kommt – davon spricht, die Zeit, den Zeitabstand, natürlich völlig missachtend, das im November in Salzburg entstandene und noch im Dezember in der Literaturzeitschrift SALZ zu lesende Gedicht Trakls Taschenuhr.

Ihre ersten Veröffentlichungen in Zeitschriften waren lyrische Gedichte. Ihr Debüt brilliert in der Prosaminiatur, die sich mal zum Essayistischen hinneigt, in der bildliche Szenen und kleine Erzählungen entbunden werden und die sich nicht selten in Aphorismen zuspitzt. Bei der Nacht der Poesie haben Sie lesend den Schwerpunkt wiederum auf die Lyrik gelegt. Und Anfang des kommenden Jahres wird eine Auswahl an Gedichten in den Zeitschriften die horen und Sinn und Form erscheinen. In welchem Verhältnis stehen für Sie Lyrik und Prosa?

Die Texte in Sprache und Meer, die in einer Kurzrezension vor einer Weile als „poésie en prose“ bezeichnet wurden, sind vielleicht im Verhältnis zu dem, was mir die Gedichte sind, Wasser. Und wenn ich zurückdenke an die Frage nach der Biologie, nach der Lehre des Lebens, und dann an die Bedeutung des Wassers in diesem Kontext denke, bestätigt sich für mich dieser Eindruck. Ich denke aber auch, der Biologie gleich wieder den Rücken zuwendend, an David Foster Wallace’s Rede This Is Water. Ich denke auch an einen Vers aus Paul Celans Übertragung von Arthur Rimbauds Das trunkne Schiff: „Und über mir sei, Meer!“. Die Fließtexte in Sprache und Meer sind vielleicht, wassergleich, meergleich, ein Medium, eine Grundbedingung, ein Lebensraum, ein Lösungsmittel. Die Gedichte dagegen verstehe ich als Geschöpfe. Mein Verhältnis zu ihnen ist ein von Grund auf anderes. Welches, das erfahre ich beinah täglich, kann aber und will es auch noch nicht versuchen zu benennen – und so möglicherweise erstarren zu lassen. Bei verschiedenen Lesungen aus Sprache und Meer in der letzten Zeit hat es sich wie von selbst ergeben, beinahe als wolle die Dichtung kurz ans Land kommen, dass ich auch eine Hand voll Gedichte gelesen habe. Ganz unbestimmt überglücklich bin ich also, seit Kurzem zu wissen und wissen lassen zu dürfen, dass im kommenden Herbst im Wallstein Verlag mein erster Gedichtband unter dem Titel Die Goldwaage erscheinen wird.

Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Herzlichen Dank auch Ihnen.



Nasima Sophia Razizadeh: Sprache und Meer. Berlin
(Rohstoff / Matthes & Seitz) 2023. 92 Seiten. 10,00 Euro.
Wir danken der Seite Literatur für den Fall des Literaturhaus Salzburg für die
Erstveröffentlichung!


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