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Matthias Buth: Pörtschach Passagen

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Jürgen Brôcan

Matthias Buth: Pörtschach Passagen. Gedichte. Berlin (PalmArtPress) 2025. 92 S. 22,00 Euro.

Der Tod ist groß


Die Klage über das unwiderruflich Verlorene hat die Dichtung zu ihren vielleicht schönsten Blüten angestiftet. Zweifellos ist der Tod groß, aber wir stehen ihm nicht oder zumeist nicht lachenden Munds gegenüber. Vielmehr tropfenden Augs und ausgeleerten Herzens. Keine kathartische, reinigende Wirkung entsteht dadurch, sondern ein Wundsekret, ein Wundwasser, aus dem sich die Trauernden mittels Kreativität neu finden und womöglich sogar erfinden können. Die Dichtung ist ganz dicht dran an den Realien des Lebens, aber sie bildet sie nicht einfach nur ab, wodurch sie zu einem schlichten Zeugnis oder Bericht degradiert wäre, sie formt sie aktiv um, indem sie das konkrete Einzelereignis in einen Zusammenhang mit der Humana conditio stellt. Mary Jo Bang hat den Tod ihres Sohnes betrauert (»Elegy«), Donald Hall den Tod seiner Frau (»Without«), aber die Wehe- und Trauerklage kann nicht nur Menschen, sondern auch ganze Länder und Zeiten umfassen.
Matthias Buths Anliegen ist es, im Gespräch zu bleiben – mit wem, ist am Beginn seines Gedichtbands noch unge-klärt, wir kennen die Identität dieses Du noch nicht. Bilder vom Wasser ballen sich zu Anfang. »Hinter der Stirn sammeln sich die Seen«, erklärt eines der Gedichte und verweist auf das nächtliche Ritual eines Erinnerns, das Gedächtnis und Vergegenwärtigung in einem Atemzug ist. Mit der Evokation von Brahms' Zweiter Symphonie (man bedenke, daß ihre elegische Ausschweifung in gelösten Jubel mündet!) - entstanden in Pörtschach am Wörther See - konkretisiert sich allmählich der Ort des Verlustes, bis das tragische Ereignis direkt benannt wird.

Matthias Buth trauert um den Verlust seiner Frau, und er tut das, mit vollem Recht, weil alle großen Gefühle zur großen Geste neigen, in einer ausgreifenden, pathetischen Bildlich-keit, die sich nicht scheut, in den Himmel zu greifen:
Die Himmelsdeuter Ägyptens sahen einen einzelnen Stern
Er umkreiste die Vorstellung
Auf diese richteten sie die Pyramiden aus

Auch die von Giseh
So mache ich es nun mit Dir
Und lasse die Wolken bauen

Der versierte Dichter weiß natürlich auch, daß ein Gegengewicht nötig ist, denn: »Wer Augen hat weiß dass Eurydike die Dichterin | Aller Religionen ist denn alle die zurückblicken | Schauen nach vorn«, und so folgen auf die vernichtenden Einschläge der Trauer und deren Aufhebung in kosmologischer Mythologie diese schlichten Alltagsschnipsel, die Buths besondere Stärke sind. Seifenblasen erinnern an Leichtigkeit, Atem und Farben; der Rasen-mäher »beginnt sein Liebesspiel mit dem Rasen«, ein Flixbus »webte sich in den Morgen-verkehr ein«, die A3 schiebt den Sonnenuntergang vor sich her.

Wer die Gedichte von Matthias Buth kennt, wird auf vertraute Motive und Themen treffen. Musik ist das Lebenselixier; Bücher und Kunst nicht weniger. Die Umgebung Kölns scheint auf, tröstlich und verläßlich, selbst wenn Heimat eine ferne Geliebte ist, »die nicht kommt nicht wiederkommt«. Auch mancher Kommentar zum Zeitgeschehen darf nicht unterdrückt werden, denn der Tod eines Menschen entbindet nicht davon, die Lebenswelt aller anderen mit berechtigt harscher Kritik zu begleiten. Was indes stattfindet, stattfinden muß, ist eine Umstellung der Zeit, »zurück und nach vorn«, eine »Umdich Tung« des Du, wie es wortspielerisch heißt, als würde sich der Sprecher des Gedichts hier den Mantel eines chine-sischen Dichters ausleihen und für einen kurzen Augenblick umlegen.

Die Pörtschach Passagen sind eine Reise ans Ende der Nacht und in die Einsamkeit der Ster-benden. Sie führen in hymnisch helle Bewahrung und Bewährung des Andenkens. In die Bewältigung eines Alltags, der überall von Spuren der Abwesenheit geprägt ist.

Der Morgenkaffee zieht eine Duftflagge hoch
Am Tisch dem Basislager des Verstummens
Er spricht von Dir und behält das Kissen im Blick
Das auf dem Stuhl wartet wie ein Stiefel


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