Direkt zum Seiteninhalt

Martin Piekar: Gegenwarten

Gedichte > Gedichte der Woche



Gegenwarten



AntI

Jetzt. Gegenwarten der Revolution.
Warten als Existenz
Erwartungshaltung ist Stase oder Tremens
Wenn ich Majdan suche
Weiß ich nicht in welche Zeit ich googlen soll
Den Geist als Brieföffner lesen
Welcher ist der richtige für welche Daten?
Stochern im Bällchenpool
Gegenwarten gehen nie in
Nur an Gedichten verloren
Die Zeiten kennen unsere Haltung nicht
Und kümmern sich nicht
Sie zu erfahren

Wenn wir verändern wollen
Ist es keine Frage der Zeit
Wann es abgeschlossen ist, Kids
Widererwarten Krieg
Wider Revolution
Ich weiß nicht, wohin
Weil wir eine Generation sind
Die über nichts mehr schreiben
Können soll, Gegenwarten der Langeweile
Endstation, bitte nicht aus dem System aussteigen
Das spart Zeit.


AntII

Oder später. Aufbruch dagegen
Auf fb geteilte Angst ist
Ungeteilte Aufmerksamkeit, Ferneuphoristen

Bekommen keinen Wasserwerfer in die Fresse
Und manche bedauern es
Timelines nach Highlights gesichtet

Als Borderliner werden wir das Gedicht haben
Erzählerspotlights, ich schreibe
Auf Zeiten und kenne keine außer meiner

War nicht schon immer etwas los?
Aufstände werden gefunden, keiner biedert sich an
Copypasterino ist für Revolutionen nicht möglich

Das Strahlen des Newsstream das Licht
Der Revolution im Obduktionssaal
Wenn wir austreten um Um-

Stürze zu suchen oder zu doodlen
Finden wir nur offensichtliche Fälle von
Menschenrechtsverletzungen auf dem Bürgersteig.


AntIII

Bald. Früher war alles
Heute ist alles anders, soll ich glauben
Irgendwo streiten Freiheiten

Und sezieren Transparente, passiv-
Progressiver Couchprotestler
Weil es angenehmer ist, blinde Blitze zu reiten

Was sich da heranblinzelt, erschrickt nicht
Man verbucht und twittert den Waffenstillstand
Als Sieg mit entsichertem Abzug

Faustgeschwollene Städte, wo wildernde
Erwartungen die Zeit bereiten sollen
Sich zu ändern. Die Sorge flößt mir Städte ein

Ich lerne, dass dort Menschen leben
Und hoffe es geht ihnen gut. Ich gluckse
Über meine Naivität für Menschen

Und die ewige Beschäftigung mit der Zukunft
Bis wir mittelalterlich zählen und wählen
Ungepflegte Traditionen: die Angst, zeitlos zu sein.


AntIIII

Nun oder. Ich weiß nicht
Wovon ich schreibe
Wenn ich über Aufstände schreibe
Ich nenne es Kiew und meine Paris
Kairo Frankfurt Tripolis Istanbul
Iron Maidan - Fear of the Park
Streck die Hand aus und
Du greifst in Unwohl oder Unwahl
Nicht weil die Zeit dagegen ist
Ich bin gegen sie
Für den einen Einwegprotestler
Kann ein Aufstand Milchschaum sein
Für den anderen Horoskop
Revolutionäre fragen nicht

Und wir sprengen Türme der Kritik
Wir vernebeln uns mit Schutt
Vor andrem Schutt – das trägt schon noch
Einer ab, denkt man
Am besten nach Farfaraway
Und nimmt Rüstzeug gleich mit
An dem wir uns später screenbreit empören
I need to fuck the system, sonst
Machts der Krieg – hier klärt sich nichts auf
Ich sehe nur noch den Himmel
Durch Lichtverschmutzung verdunkeln.


Für Jan Kuhlbrodt


Martin Piekar: in mosaik und Schwarzbuch der Lyrik (Auszug, Teil 4), 2015.

Zurück zum Seiteninhalt