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Martin Luther: Sendbrief vom Dolmetschen

KIOSK/Veranstaltungen > Lyrikpreis München 2021
Martin Luther
Sendbrief vom Dolmetschen


Dem ehrbaren und klugen N., meinem geneigten Herrn und Freunde.
Gnade und Friede in Christus. Ehrbarer, kluger, lieber Herr und Freund! Ich habe Eure Zuschrift empfangen mit den zwei Fragen, darin Ihr meines Unterrichts begehrt: Erstens, warum ich (im Brief an die Römer) im dritten Kapitel (Vers 28) die Worte des Paulus: »Arbitramur hominem iustificari ex fide absque operibus« so verdeutscht habe: »Wir halten (dafür), dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.« Ihr weist dabei darauf hin, wie die Katholiken sich über die Maßen unnütz ereifern, weil im Text des Paulus nicht das Wort »sola« (allein) stehet und solcher Zusatz von mir in Gottes Wort nicht zu leiden sei usw. Zum zweiten, ob auch die verstorbenen Heiligen für uns bitten, weil wir (Hiob 33, 32 ff.) lesen, dass ja die Engel für uns bitten usw. Auf die erste Frage (wo es Euch gelüstet) mögt Ihr Euren Katholiken von mir aus so antworten:
Zum ersten, wenn ich, D. Luther, das hätte erwarten können, dass die Katholiken alle auf einen Haufen so geschickt wären, dass sie ein Kapitel in der Schrift recht und gut verdeutschen könnten, so wollte ich mich fürwahr demütig gezeigt und sie um Hilfe und Beistand gebeten haben, das Neue Testament zu verdeutschen. Aber dieweil ich gewusst und noch vor Augen sehe, dass ihrer keiner recht weiß, wie man übersetzen oder deutsch reden soll, habe ich sie und mich solcher Mühe überhoben. Das merkt man aber wohl, dass sie aus meinem Übersetzen und Deutsch (überhaupt erst) deutsch reden und schreiben lernen, und mir so meine Sprache stehlen, davon sie zuvor wenig gewusst haben. Sie danken mir aber nicht dafür, sondern brauchen sie viel lieber wider mich. Aber ich gönne es ihnen wohl; denn es tut mir doch sanft, dass ich auch meine undankbaren Jünger, dazu meine Feinde, reden gelehrt habe.
Zum zweiten mögt Ihr sagen, dass ich das Neue Testament verdeutscht habe, nach meinem besten Vermögen, und in (Verantwortung vor) meinem Gewissen. Damit habe ich niemand gezwungen, dass ers lese, sondern (es jedem) freigelassen, und es allein denen zu Dienst getan, die es nicht besser machen können. Es ist niemand verboten, ein besseres zu machen. Wers nicht lesen will, der lass es liegen. Ich bitte und preise niemand darum. Es ist mein Testament und meine Übersetzung - und soll mein bleiben und sein. Hab ich drinnen irgendwie fehlgegriffen - dessen ich mir noch nicht bewusst bin, wie ich freilich ungern auch nur einen Buchstaben absichtlich falsch übersetzt haben wollte -, darüber will ich die Katholiken nicht zu Richtern leiden. Denn sie haben noch zur Zeit zu lange Ohren dazu, und ihr Iha iha ist zu schwach, mein Verdolmetschen zu beurteilen. Ich weiß wohl, und sie wissens weniger als des Müllers Tier, was für Kunst, Fleiß, Vernunft, Verstand zum guten Übersetzer gehöret; denn sie habens nicht versucht.
Es heißt: Wer am Wege bauet, der hat viele Meister. So gehet mirs auch. Diejenigen, die noch nie haben recht reden können, geschweige denn übersetzen, die sind allzumal meine Meister, und ich muss ihrer aller Jünger sein. Und wenn ich sie hätte fragen sollen, wie man die ersten zwei Worte Matth. 1, 1 »Liber generationis« hätte verdeutschen sollen, so hätte ihrer keiner gewusst Gack dazu zu sagen, und sie kritisieren mir nun das ganze Werk, die feinen Gesellen. So ging es Hieronymus auch, als er die Bibel verdolmetschte. Da war alle Welt sein Meister, er allein war es, der nichts konnte, und (es) beurteilten diejenigen dem guten Mann sein Werk, die ihm nicht genug gewesen wären, dass sie ihm die Schuhe hätten wischen sollen. Darum gehört große Geduld dazu, so jemand etwas öffentlich Gutes tun will. Denn die Welt will Meister Klügling bleiben und muss immer das Ross vom Schwanz her aufzäumen, alles meistern und selbst nichts können. Das ist ihre Art, davon sie nicht lassen kann.
Ich wollte dennoch gern den Katholiken sehen, der sich hervortäte, und etwa einen Brief des Paulus oder einen Propheten verdeutschte, sofern er des Luthers Deutsch und Dolmetschen nicht dazu gebrauchte: da sollte man ein feines, schönes, löbliches Deutsch oder Dolmetschen sehen! Denn wir haben ja den Sudler zu Dresden gesehen, der mein Neues Testament gemeistert hat - ich will seinen Namen in meinen Büchern nicht mehr nennen; ebenso hat er nun auch seinen Richter, und ist sonst wohl bekannt -, der bekennet, dass mein Deutsch süß und gut sei. Er sah wohl, dass ers nicht besser machen konnte, und wollte es doch zuschanden machen, fuhr (also) zu, und nahm sich mein Neues Testament vor, fast Wort für Wort, wie ichs gemacht habe, strich meine Vorrede, Anmerkungen und Namen weg, schrieb seinen Namen, Vorrede und Anmerkungen dafür hin und verkaufte so mein Neues Testament unter seinem Namen. Ei, liebe Kinder, wie geschah mir da so wehe, da sein Landesfürst mit einer gräulichen Vorrede verdammte und verbot, des Luthers Neues Testament zu lesen, (und) doch gleichzeitig gebot, des Sudlers Neues Testament zu lesen, welches doch eben dasselbe ist, das der Luther gemacht hat!
Und dass nicht jemand hier denke, ich lüge: so nimm Dir beide Testamente vor, (das) des Luthers und des Sudlers, vergleiche sie miteinander, so wirst Du sehen, wer in allen beiden der Übersetzer sei. Denn was er an wenigen Stellen geflickt und geändert hat, so kann ichs doch wohl leiden, obwohl mirs nicht alles gefällt, und schadet mir nicht besonders, soviel es den Text betrifft. Darum habe ich auch nie dawider schreiben wollen, sondern habe der großen Weisheit lachen müssen, dass man mein Neues Testament so gräulich verlästert, verdammt, verboten hat, weil es unter meinem Namen ausgegangen ist, (es) aber doch hat lesen müssen, dieweil es unter eines andern Namen ausgegangen ist. Trotzdem: was das für eine Tugend sei, einem andern sein Buch verlästern und schänden, danach dasselbe stehlen und unter eigenem Namen dennoch ausgehen lassen, und so durch fremde (vorher) verlästerte Arbeit eigenes Lob und Namen suchen, das lass ich seinen Richter finden. Mir ist indes genug und bin froh, dass meine Arbeit, wie Paulus Phil. 3, 18 auch rühmet, auch durch meine Feinde gefördert, und des Luthers Buch ohne Luthers Namen, unter seiner Feinde Namen, gelesen werden muss. Wie könnte ich mich besser rächen?
Und auf dass ich wieder zur Sache komme: Wenn Euer Katholik sich sehr unnütz machen will mit dem Wort »sola« = »allein«, so sagt ihm flugs so: Doktor Martinus Luther wills so haben, und sagt: Katholik und Esel sei dasselbe. Denn wir wollen nicht der Katholiken Schüler noch Jünger, sondern ihre Meister und Richter sein, wollen auch einmal stolz sein und prahlen mit den Eselsköpfen. Und wie Paulus wider seine tollen Heiligen sich rühmet (2. Kor. 11, 22 f.), so will ich mich auch wider diese meine Esel rühmen. Sie sind Doktoren? Ich auch. Sie sind gelehrt? Ich auch. Sie sind Prediger? Ich auch. Sie sind Theologen? Ich auch. Sie sind Disputatoren? Ich auch. Sie sind Philosophen? Ich auch. Sie sind Dialektiker? Ich auch. Sie halten Vorlesungen? Ich auch. Sie schreiben Bücher? Ich auch.
Ich will weiter rühmen: Ich kann Psalmen und Propheten auslegen; das können sie nicht. Ich kann übersetzen; das können sie nicht. Ich kann die heilige Schrift lesen; das können sie nicht. Ich kann beten; das können sie nicht. Und dass ich mich zu ihnen herablasse: ich kann ihre eigene Dialektik und Philosophie besser, als sie selbst allesamt, und weiß dazu fürwahr, dass ihrer keiner ihren Aristoteles verstehet. Und ist einer unter ihnen allen, der ein Prooemium oder Kapitel im Aristoteles recht verstehet, so will ich mich prellen lassen. Ich rede jetzt nicht zuviel; denn ich bin in all ihrer Kunst erzogen und erfahren von Jugend auf, weiß sehr wohl, wie tief und weit sie ist. Ebenso wissen sie auch gut, dass ichs alles weiß und kann, was sie können. Dennoch handeln die heillosen Leute gegen mich, als wäre ich ein Gast in ihrer Kunst, der allererst heute morgen gekommen wäre, und noch nie weder gesehen noch gehört hätte, was sie lehren oder können. So gar herrlich prangen sie herein mit ihrer Kunst und lehren mich, was ich vor zwanzig Jahren an den Schuhen zerrissen habe, dass ich auch mit jener Dirne auf all ihr Plärren und Schreien singen muss: Ich habs (schon) vor sieben Jahren gewusst, dass Hufnägel Eisen sind.
Das sei auf Eure erste Frage geantwortet. Und ich bitte Euch: wollet solchen Eseln ja nicht anders noch mehr antworten auf ihr unnützes Geplärre vom Wort »sola«, als so viel: Luther wills so haben und sagt, er sei ein Doktor über alle Doktoren im ganzen Papsttum. Da solls bei bleiben, ich will sie hinfort schlechterdings verachten und verachtet haben, solange sie solche Leute (ich wollt sagen Esel) sind. Denn es sind solche unverschämte Tröpfe unter ihnen, die auch ihre eigene, der Sophisten, Kunst nie gelernt haben, wie Doktor Schmied und Doktor Rotzlöffel und seinesgleichen: und stellen sich mir gleichwohl in dieser Sache entgegen, die nicht allein über die Sophisterei (hinausgeht), sondern auch (wie Paulus 1. Kor. 1, 20 sagt) über aller Welt Weisheit und Vernunft ist. Allerdings braucht ein Esel nicht viel zu singen, man erkennt ihn ohnehin schon an den Ohren.
Euch aber und den Unsern will ich anzeigen, warum ich das Wort »sola« habe gebrauchen wollen, obwohl Röm. 3, 28 nicht »sola«, sondern »solum« oder »tantum« von mir gebraucht ist. So fein sehen die Esel meinen Text an; aber doch habe ichs sonst anderswo als »sola fide« gebraucht, und will auch beides, »solum« und »sola«, haben. Ich hab mich des beim Übersetzen beflissen, dass ich reines und klares Deutsch geben möchte. Und ist uns wohl oft begegnet, dass wir vierzehn Tage, drei, vier Wochen ein einziges Wort gesucht und (danach) gefragt haben, habens (aber) dennoch zuweilen nicht gefunden. Beim Buch Hiob mühten wir uns, M. Philippus (Melanchthon), Aurogallus und ich so, dass wir in vier Tagen zuweilen kaum drei Zeilen fertigbringen konnten. Mein Lieber, jetzt wo es verdeutscht und fertig ist, kanns ein jeder lesen und meistern. Jetzt läuft einer mit den Augen durch drei, vier Blätter hindurch, und stößt nicht einmal an; wird aber nicht gewahr, welche Steine und Klötze da gelegen haben. Wo er jetzt drüber hingeht wie über ein gehobeltes Brett, da haben wir schwitzen und uns ängstigen müssen, ehe wir denn solche Steine und Klötze aus dem Wege räumten, auf dass man so fein dahergehen könnte. Es ist gut pflügen, wenn der Acker gereinigt ist; aber den Wald und die Wurzelstöcke ausroden und den Acker zurichten, da will niemand heran. Es ist bei der Welt kein Dank zu verdienen. Kann doch Gott selber mit der Sonne, ja mit Himmel und Erde, noch mit seines eigenen Sohnes Tod keinen Dank verdienen; sie ist und bleibt Welt in des Teufels Namen, weil sie ja nicht anders will.
So habe ich hier Röm. 3, 28 sehr wohl gewusst, dass im lateinischen und griechischen Text das Wort »solum« nicht stehet, und hätten mich solches die Katholiken nicht zu lehren brauchen. Wahr ists, diese vier Buchstaben »sola« stehen nicht drinnen. Diese Buchstaben sehen die Eselsköpfe an, wie die Kühe ein neues Tor, sehen aber nicht, dass die Absicht des Textes gleichwohl das »sola« in sich hat, und wo mans klar und deutlich verdeutschen will, so gehöret es hinein. Denn ich habe deutsch, nicht lateinisch noch griechisch reden wollen, da ich mir beim Übersetzen deutsch zu reden vorgenommen hatte. Das ist aber die Art unserer deutschen Sprache: wenn sie von zwei Dingen redet, deren man eines bejaht und das andere verneint, so gebraucht man das Wort »solum« = »allein« (nur) neben dem Wort »nicht« oder »kein«. Z.B. wenn man sagt: »Der Bauer bringt allein (nur) Korn, und kein Geld«; »Nein, ich hab wahrlich jetzt nicht Geld, sondern allein (nur) Korn«; »Ich hab allein (nur) gegessen und noch nicht getrunken«; »Hast du allein (nur) geschrieben, und (es) nicht durchgelesen«? Und dergleichen auf unzählige Weise im täglichen Gebrauch.
In diesen Redewendungen allen - wenn es gleich die lateinische oder griechische Sprache nicht tut, so tut es doch die deutsche - ist es ihre Art, dass sie das Wort »allein« (nur) hinzusetzt, auf dass das Wort »nicht« oder »kein« desto vollständiger und deutlicher sei. Denn obwohl ich auch sage: »Der Bauer bringt Korn und kein Geld«, so klingt doch das Wort »kein Geld« nicht so vollständig und deutlich, als wenn ich sage: »Der Bauer bringt allein (nur) Korn und kein Geld«; und hilft hier das Wort »allein« (nur) dem Wort »kein« so viel, dass es eine vollständige deutsche, klare Rede wird. Denn man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man deutsch reden soll, wie diese Esel tun; sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den einfachen Mann auf dem Markt danach fragen, und denselben auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach übersetzen, so verstehen sie es denn, und merken, dass man deutsch mit ihnen redet.
Z.B. wenn Christus (Matth. 12, 34; Luk. 6, 45) sagt: Ex abundantia cordis os loquitur: wenn ich den Eseln folgen soll, die werden mir die Buchstaben vorlegen, und so übersetzen: »Aus dem Überfluss des Herzens redet der Mund.« Sage mir, ist das deutsch geredet? Welcher Deutsche verstehet so etwas? Was ist »Überfluss des Herzens« für ein Ding? Das kann kein Deutscher sagen, er wolle denn sagen, es sei, dass einer ein allzu großes Herz habe, oder zu viel Herzens habe, obwohl das auch noch nicht richtig ist. Denn »Überfluss des Herzens« ist kein Deutsch; so wenig wie das Deutsch ist: »Überfluss des Hauses«, »Überfluss des Kachelofens«, »Überfluss der Bank«, sondern so redet die Mutter im Haus und der Mann auf der Straße: »Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über.« Das heißt gut deutsch geredet, dessen ich mich befleißigt, aber leider nicht immer erreicht noch getroffen habe. Denn die lateinischen Buchstaben hindern über alle Maßen, sehr gutes Deutsch zu reden.
Ebenso, wenn der Verräter Judas Matth. 26, 8 sagt: Ut quid perditio haec? und Mark. 14, 4: Ut quid perditio ista unguenti facta est? Folge ich den Eseln und Buchstabilisten, so muss ichs so verdeutschen: »Warum ist diese Verlierung der Salben geschehen«? Was ist das aber für Deutsch? Welcher Deutsche redet so: »Verlierung der Salben ist geschehen«? Und wenn ers richtig verstehet, so denkt er, die Salbe sei verloren, und er müsse sie etwa wieder suchen; obwohl das auch noch dunkel und ungewiss klingt. Wenn das nun gutes Deutsch ist, warum treten sie nicht hervor und machen uns ein solches feines, hübsches deutsches Neues Testament und lassen des Luthers Testament liegen? Ich meine ja, sie sollten ihre Kunst an den Tag bringen. Aber der deutsche Mann redet so: Ut quid etc.: »Was soll doch solche Verschwendung? Nein, es ist schade um die Salbe.« Das ist gutes Deutsch, woraus man erkennt, dass Magdalena mit der verschütteten Salbe verschwenderisch umgegangen sei und Schaden angerichtet habe. Das war des Judas Meinung: denn er dachte, bessere Verwendung zu schaffen.
Ebenso, da der Engel Luk. 1, 28 Maria grüßet und sagt: »Gegrüßet seist du, Maria, voll Gnaden, der Herr mit dir.« Wohlan, so ists bisher schlicht, den lateinischen Buchstaben entsprechend verdeutschet worden. Sage mir aber, ob das auch gutes Deutsch sei? Wo redet der deutsche Mann so: »Du bist voll Gnaden«? Und welcher Deutsche verstehet, was damit gesagt sei: »voll Gnaden«? Er muss an ein Fass voll Bier oder Beutel voll Geldes denken. Darum habe ichs verdeutscht: »du Holdselige«; damit ein Deutscher sich desto besser vorstellen kann, was der Engel mit seinem Gruß meinet. Aber hier wollen die Katholiken toll werden über mich, dass ich den Engelsgruß verderbet habe: obwohl ich damit noch nicht das beste Deutsch getroffen habe. Und hätte ich das beste Deutsch hier nehmen und den Gruß so verdeutschen sollen: »Gott grüße dich, du liebe Maria« - denn so viel will der Engel sagen, und so würde er geredet haben, wenn er sie auf deutsch hätte grüßen wollen - ich meine, sie (die Katholiken) sollten sich wohl vor großer Schwärmerei für die liebe Maria selbst erhängt haben, weil ich den Gruß so zunichte gemacht hätte.
Aber was frage ich danach, ob sie toben oder rasen? Ich will es nicht wehren, dass sie verdeutschen, was sie wollen. Ich will aber auch verdeutschen, nicht wie sie wollen, sondern wie ich will. Wer es nicht haben will, der lass mir stehen, und behalte seine Meisterschaft für sich; denn ich will sie weder sehen noch hören. Sie brauchen für mein Dolmetschen nicht die Verantwortung zu übernehmen noch Rechenschaft abzulegen. Das hörest Du wohl, ich will sagen: »Du holdselige Maria«, »du liebe Maria«; und lass sie sagen: »du voll Gnaden Maria«. Wer Deutsch kann, der weiß wohl, welch ein herzlich feines Wort das ist: die liebe Maria, der liebe Gott, der liebe Kaiser, der liebe Fürst, der liebe Mann, das liebe Kind. Und ich weiß nicht, ob man das Wort »liebe« auch so herzlich und sinnentsprechend in lateinischer oder in andern Sprachen ausdrücken kann, dass es so ins Herz dringe und klinge, durch alle Sinne, wie es das in unserer Sprache tut.
Denn ich meine, Lukas, als ein Meister in der hebräischen und griechischen Sprache, habe das hebräische Wort, das der Engel gebrauchte, mit dem griechischen »kecharitomene« treffen und deutlich machen wollen. Und ich denke mir, der Engel Gabriel habe mit Maria geredet, wie er mit Daniel redet, und nennt ihn (Dan. 9, 23; 10, 11. 19) »chamudoth« und »isch chamudoth«, »vir desideriorum«, das heißt: »du lieber Daniel«. Denn das ist Gabriels Weise zu reden, wie wir im Buch Daniel sehen. Wenn ich nun den Buchstaben nach, nach der Eselskunst, des Engels Wort verdeutschen sollte, müsste ich so sagen: »Daniel, du Mann der Begehrungen« oder: »Daniel, du Mann der Lüste.« Oh, das wäre ein schönes Deutsch! Ein Deutscher höret wohl, dass »Mann«, »Lüste« oder »Begehrungen« deutsche Worte sind, obwohl es nicht eitel reine deutsche Worte sind, sondern »Lust« und »Begier« wären wohl besser. Aber wenn sie so zusammengefasst werden: »du Mann der Begehrungen«, so weiß kein Deutscher, was gemeint ist; er denkt, dass Daniel vielleicht voll böser Lust stecke. Das hieße dann fein übersetzt. Darum muss ich hier die Buchstaben fahren lassen und erforschen, wie der deutsche Mann das ausdrückt, welches der hebräische Mann mit »isch chamudoth« meint. Da finde ich, dass der deutsche Mann so sagt: »du lieber Daniel«, »du liebe Maria«, oder: »du holdselige Magd«, »du maidliche Jungfrau«, »du zartes Weib« und dergleichen. Denn wer übersetzen will, muss großen Vorrat an Worten haben, dass er die Wahl haben könne, wo eins nicht an allen Stellen recht klingen will.
Und was soll ich viel und lange vom Dolmetschen reden? Sollte ich für alle Worte in meiner Übersetzung die Ursachen und (die zu Grunde liegenden) Gedanken anzeigen, müsste ich wohl ein Jahr daran zu schreiben haben. Was Übersetzen für Kunst und Mühe sei, das habe ich wohl erfahren; darum will ich keinen Papstesel noch Maulesel, die nichts versucht haben, hierin zum Richter oder Tadler leiden. Wer mein Dolmetschen nicht will, der lass es beiseite; der Teufel danke ihm, wer es ungerne hat, oder es ohne meinen Willen und Wissen schulmeistert. Solls geschulmeistert werden, so will ichs selber tun; wo ichs selber nicht tue, da lasse man mir mein Dolmetschen in Frieden, und mache ein jeglicher, was er will, für sich selbst, und habe ein gutes Jahr.
Das kann ich mit gutem Gewissen bezeugen, dass ich meine höchste Treue und Fleiß darin erwiesen und nie Hintergedanken gehabt habe; denn ich habe keinen Heller dafür genommen, noch gesucht, noch damit gewonnen. Ebenso habe ich dabei nicht meine Ehre gesucht, das weiß Gott, mein Herr, sondern habs den lieben Christen zu Dienst getan und zu Ehren einem, der droben sitzet, der mir alle Stunde so viel Gutes tut, dass, wenn ich tausendmal so viel und fleißig übersetzt hätte, ich dennoch nicht eine Stunde verdienet hätte zu leben oder ein gesundes Auge zu haben. Es ist alles aus seiner Gnade und Barmherzigkeit, was ich bin und habe; ja, es ist aus seinem teuren Blut und sauren Schweiß, darum solls auch (so Gott will) alles ihm zu Ehren dienen, mit Freuden und von Herzen. Lästern mich die Sudler und Papstesel, wohlan, so loben mich die frommen Christen, samt ihrem Herrn Christus. Und ich bin allzu reichlich belohnet, wo mich nur ein einziger Christ als einen treuen Arbeiter anerkennt. Ich frage nach Papsteseln nichts. Sie sind nicht wert, dass sie meine Arbeit anerkennen sollen; und es sollte mir im Grund meines Herzens leid sein, dass sie mich lobten. Ihr Lästern ist mein höchster Ruhm und Ehre. Ich will doch ein Doktor, ja auch ein ausbündiger Doktor sein, und sie sollen mir den Namen nicht nehmen bis an den Jüngsten Tag, das weiß ich fürwahr.
Doch habe ich umgekehrt die Buchstaben nicht allzu frei fahren lassen, sondern mit großer Sorgfalt samt meinen Gehilfen darauf geachtet. Wo es etwa auf eine Stelle ankommt, habe ichs nach den Buchstaben behalten, und bin nicht so frei davongegangen, wie z.B. Joh. 6, 27, da Christus spricht: »Diesen hat Gott der Vater versiegelt.« Da wäre wohl besseres Deutsch gewesen: »diesen hat Gott der Vater gezeichnet«, oder: »diesen meinet Gott der Vater.« Aber ich habe eher der deutschen Sprache Abbruch tun wollen, als von dem Wort weichen. Ah, es ist Dolmetschen ja nicht eines jeglichen Kunst, wie die tollen Heiligen meinen. Es gehöret ein recht, fromm, treu, fleißig, furchtsam, christlich, gelehret, erfahren, geübet Herz dazu. Darum meine ich, dass kein falscher Christ noch Rottengeist treulich übersetzen könne.
Das sei vom Dolmetschen und der Art der Sprache gesagt. Aber nun habe ich nicht allein der Sprache Art vertrauet und gefolgt, dass ich Römer 3, 28 »solum« (»allein«) hinzugesetzt habe; sondern der Text und die Absicht des Paulus fordern und erzwingens mit Gewalt. Denn er behandelt ja daselbst das Hauptstück christlicher Lehre, nämlich dass wir durch den Glauben an Christus, ohne alle Werke des Gesetzes, gerecht werden, und schneidet alle Werke so ganz ab, dass er auch sagt: des Gesetzes (das doch Gottes Gesetz und Wort ist) Werke helfen nicht zur Gerechtigkeit, und setzt zum Exempel Abraham, dass derselbe so ganz ohne Werke gerecht geworden sei. So dass auch das höchste Werk, das dazumal neu von Gott vor und über allen andern Gesetzen und Werken geboten ward, nämlich die Beschneidung, ihm nicht zur Gerechtigkeit geholfen habe. Sondern er sei ohne die Beschneidung und ohne alle Werke gerecht geworden durch den Glauben, wie er Kap. 4, 2 sagt: »Ist Abraham durch Werke gerecht geworden, so mag er sich rühmen, aber nicht vor Gott.« Wo man aber alle Werke so ganz abschneidet, da muss ja die Meinung sein, dass allein der Glaube gerecht mache. Und wer deutlich und dürre von solchem Abschneiden der Werke reden will, der muss sagen: allein der Glaube und nicht die Werke machen uns gerecht. Das erzwinget die Sache von selbst neben dem Charakter der Sprache.
Ja, sagen sie, es klingt ärgerlich, und die Leute lernen daraus verstehen, dass sie keine guten Werke zu tun brauchen. Lieber, was soll man sagen? Ists nicht viel ärgerlicher, dass Paulus selbst nicht bloß sagt: »allein der Glaube«, sondern sagts noch deutlicher, und stößt dem Fass den Boden aus und sagt: »ohne des Gesetzes Werke«? und Gal. 2, 16: »Nicht durch die Werke des Gesetzes«, und dessen viel mehr an andern Stellen. Denn das Wort »allein der Glaube« möchte noch einen umdeutenden Zusatz finden; aber das Wort »ohne Werke des Gesetzes« ist so grob, ärgerlich, schändlich, dass man hier mit keinem Zusatz abhelfen kann. Wie viel mehr möchten hieraus die Leute lernen, keine guten Werke zu tun, da sie mit so dürren, starken Worten von den Werken selbst predigen hören: »kein Werk«, »ohne Werke«, »nicht durch Werke«. Ist nun das nicht ärgerlich, dass man »ohne Werke«, »kein Werk«, »nicht durch Werke« predigt, was sollts denn ärgerlich sein, so man dies »allein der Glaube« predigte?
Und was noch ärgerlicher ist: Paulus verwirft nicht bloß schlichte, allgemein übliche Werke, sondern die des Gesetzes selbst. Daran möchte wohl jemand sich noch mehr ärgern und sagen, das Gesetz sei verdammt und verflucht vor Gott, und man solle eitel Böses tun, wie die taten Röm. 3, 8: »Lasst uns Böses tun, auf dass es gut werde«, wie auch ein Rottengeist zu unserer Zeit anfing. Sollte man um solcher Ärgernisse willen des Paulus Worte verleugnen, oder nicht frisch und frei vom Glauben reden? Lieber, Paulus und wir wollen eben solch Ärgernis haben, und lehren um keiner anderen Ursache willen so stark wider die Werke, und treiben allein auf den Glauben, dass die Leute sich ärgern, stoßen und fallen sollen, damit sie lernen können und wissen, dass sie durch ihre guten Werke nicht fromm werden, sondern allein durch Christi Tod und Auferstehen. Können sie nun durch gute Werke des Gesetzes nicht fromm werden, wie viel weniger werden sie durch böse Werke und ohne Gesetz fromm werden? Darum heißt die Schlussfolgerung nicht: gute Werke helfen nicht, darum helfen böse Werke, ebenso wenig wie: die Sonne kann dem Blinden nicht helfen, dass er sehe, darum muss ihm die Nacht und Finsternis helfen, dass er sehe.
Mich wundert aber, dass man sich in dieser offenbaren Sache so sperren kann. Sage mir doch, ob Christi Tod und Auferstehen unser Werk sei, das wir tun, oder nicht? Es ist ja nicht unser Werk, noch irgendeines Gesetzes Werk. Allein Christi Tod und Auferstehen macht uns ja frei von Sünden und fromm, wie Paulus Röm. 4, 25 sagt: »Er ist gestorben um unserer Sünde willen und auferstanden um unserer Gerechtigkeit willen.« Weiter sage mir: welches ist das Werk, damit wir Christi Tod und Auferstehen fassen und behalten? Es muss ja kein äußerlich Werk, sondern allein der ewige Glaube im Herzen sein; derselbe allein, ja ganz allein und ohne alle Werke fasset solchen Tod und Auferstehen, wo er durchs Evangelium gepredigt wird. Was ists denn nun, dass man so tobet und wütet, verketzert und verbrennet, so der Kern der Sache selbst klar daliegt und beweist, dass allein der Glaube Christi Tod und Auferstehen fasse, ohne alle Werke, und derselbe Tod und Auferstehen sei unser Leben und Gerechtigkeit? So es denn offenbar so ist, dass allein der Glaube uns solch Leben und Gerechtigkeit bringet, fasset und gibt, warum soll man denn nicht auch so reden? Es ist nicht Ketzerei, dass der Glaube allein Christus fasset und das Leben gibt; aber Ketzerei muss es sein, wer solches sagt oder redet. Sind sie nicht toll, töricht und unsinnig? Die Sache bekennen sie als recht, und strafen doch die Rede von derselben Sache als unrecht. Nichts kann zugleich recht und unrecht sein.
Auch bin ichs nicht allein noch der erste, der da sagt: allein der Glaube mache gerecht. Es haben vor mir Ambrosius, Augustin und viele andere gesagt. Und wer Paulus lesen und verstehen soll, der muss wohl so sagen und kann nicht anders; seine Worte sind zu stark und leiden kein, ja gar kein Werk. Ists kein Werk, so muss es der Glaube allein sein. O wie sollt es eine so ganz feine, bessernde, unärgerliche Lehre sein, wenn die Leute lernten, dass sie neben dem Glauben auch durch Werke fromm werden könnten! Das wäre so viel gesagt, dass nicht allein Christi Tod unsere Sünde wegnähme, sondern unsere Werke täten auch etwas dazu. Das hieße Christi Tod fein geehret, dass unsere Werke ihm hülfen und könnten das auch tun, was er tut, auf dass wir ihm gleich gut und stark wären. Es ist der Teufel, der das Blut Christi nicht ungeschändet lassen kann.
Weil nun die Sache im Kern selbst fordert, dass man sage: »allein der Glaube macht gerecht«, und es unserer deutschen Sprache Art (ist), die auch lehrt, solches so auszudrücken, ich dazu der heiligen Väter Exempel habe, und auch die Gefahr der Menschen dazu zwingt, dass sie nicht an den Werken hängenbleiben und den Glauben verfehlen und Christus verlieren, insbesondere zu dieser Zeit, da sie von so lange her der Werke gewohnt, und mit Gewalt davon gerissen werden müssen, so ists nicht allein recht, sondern auch hoch vonnöten, dass man aufs allerdeutlichste und vollständigste heraussage: allein der Glaube ohne Werke macht fromm. Es reuet mich (sogar), dass ich nicht auch dazugesetzt habe: »alle« und »aller«, also: »ohne alle Werke aller Gesetze«, so dass es voll und rund heraus gesprochen wäre. Darum solls in meinem Neuen Testament bleiben, und sollten alle Papstesel toll und töricht werden, so sollen sie mirs nicht herausbringen.
Es sei für dieses Mal genug auf die Frage. Ein andermal mehr. Und haltet mir meine lange Schrift zugut. Christus, unser Herr, sei mit uns allen. Amen.


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