Direkt zum Seiteninhalt

Markus Hallinger: Erbschaften

Montags=Text

0
Markus Hallinger

Erbschaften


Früher Kaffee

Als Männer beim Kaffee Krawatten trugen
und Onkel Heiners Stiefel glänzten,
war das der Löffel in der Sahne,
Mann war der stattlich groß
und aus der Wurst gepellt. –
Dem Heiner konnte keiner,
und das nicht leicht
und wurde schwer vermisst
da irgendwo da draußen
zu flicken war da nichts,
das Zeug es hielt
der ganze Tand, die Spiegel am Revers
und das Gesicht wie aus ner Eiche rausgeschnitten.
Wir sollten über Schönheit sprechen.



Onkel Paul

Wie mager der war! Haut und Knochen.
Groß, einmeterundneunzig. Hager.
Ein stattlicher Mann gewesen. Worauf
man stolz sein konnte. Onkel Paul
mit dem Arsch in der Hose. Ein Baum
von einem Mann, da kam niemand ran,
glänzend, mit schwarzen Stiefeln,
aus einem Guss, und stramm, ganz und gar
ein Mannsbild gewesen, sondergleichen
von Herzen gut, herzensgut,
fraglos, das Bild von einem Mann, ohne Frage
konnte es ihm schlecht werden
hatte jeden Morgen Magenprobleme, -
half nur der Schnaps der gute.



Tirolerhut, Matrosenhut, das Fähnchen, das eben noch flatterte. Fischer, welche Fahne weht? Auf welchem Weg, welche Fahne? Wie kommen wir hinüber?

Was meint mein Vater auf dünnem Foto lachend, keck,
breit, und die Zahnlücke tritt hervor; nichts was im
Hintergrund, nichts was das Leben…, nichts außer Narwale
sagte er, in Spitzbergen, sagte er, Norwegen; Fjorde wie
eingefräste Zähne, felsig,-  das muss man gesehen, da
muss man gestanden…; Zahnstand groß, Wurzeln
tiefliegend, sagte der Zahnarzt später, eine Scheißarbeit,
eine Tortur bis die Tränen, die Bächlein fließen, sagte, da
muss man eben hindurch, die Mutter sagte, der Winter
war eisig, Januardonner, Gleiwitz wie Gleise, die Spatzen
fielen von den Dächern, die Kinder aus den Wagons, auf
den Bahnsteig fielen wir nach 6 Wochen Irrfahrt, kreuz
und quer übereinander, in Oberbayern aus dem Zug vor
die Füße der Bauern; Die waren alteingesessen, kinderlos
geworden und zerrissen, und maulten und schimpften;
Polakken und Zigeuner, nicht unverdient, sagten,
irgendetwas, sagten die, musste doch..; Sagte das wer,
hatte das gesagt, dass irgendwas musste, die Wurzeln
raus, der Zahnarzt später sagte es, und war Autorität, alte
Schule, was mein Vater verstand, blind meine Mutter
verstand, dass irgendetwas musste, die gehabt haben
mussten, die mussten gehabt, die anderen haben, sagten
doch nichts, rein garnichts, sagten die unüberhörbar.

Nur das Wort – monströs – im Kopf. Alles und Nichts bezeichnend.   Schwer atmend als ob die Lunge mit Steinen gefüllt wäre; Grabsteine, die im Vergessenen lagern und unberührt sind. Die Inschriften und Namen waschen sich aus im Staub der Zeit.
 Unweit der Heimatstadt meiner Mutter gab es ein Ghetto nahe am Fluss. Sie hat es nie erwähnt, wenn sie von den glühend heißen Badesommern und den gemähten, aber noch goldgelben Feldern erzählte, über die sie barfuß lief.
(Nach dem Besuch in Yad Vashem, Jan. 2020.)


Zurück zum Seiteninhalt