Manfred Peter Hein: Fährten im Zeitdämmerareal
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Timo Brandt
Manfred Peter Hein: Fährten im Zeitdämmerareal. Gedichte
2015 – 2019. Göttingen (Wallstein Verlag) 2020. 140 Seiten. 18,00 Euro.
Im Dämmer mit sich
und der Welt
„Was schattet fremd am Nachtpfadim Takt gezählter Schritte –“„Wie wird dir sein insTageinerlei heimgekehrtvom Sog zum Tode –“
Das erste Kapitel in Manfred Peter Heins neustem Lyrikband,
mit Gedichten aus den Jahren 2015-2019, trägt den Titel „Schattenüberhang“ und
den Untertitel „Tagumtagnotate“. Im Prinzip sind diese Bezeichnungen geradezu
programmatisch für den ganzen Band: Hier wird die Welt in Schattenflächen
wahrgenommen und sehr konzentriert skizziert.
Die einzige Art, in der die Gedichte des ersten Kapitels
formal abweichen, ist, dass es unnummerierte Zyklen sind, in denen jeweils nur
kursive Titel den Anfang eines neuen Notats anzeigen. Wie Kommentare lesen sich
einige dieser kurzen Stücke und auch als wären sie Wort für Wort ins Papier
gekratzt, gemeißelt worden, so zurückhaltend, geradezu fern wirken sie, und so
schwer wiegen sie aber auch.
„Der Blick hängt am Zerbrochnendas der Sturm herabgefegtSetzt unterm Eschenwipfeldas Echobild zusammenSinnt der Schattenlinie nachdem ausgelöschten Gesicht“
Und Kommentare sind es irgendwie auch: Kommentare eines lyrischen Ich, das die letzten Reste seiner Zeit und die Spuren von Erinnerung darin zu entziffern sucht, während gleichzeitig noch immer die Welt hereinruft, sich mit diesen Fährten vermischt. Oft kommt es mir als Leser so vor, als stünde das lyrische Ich am Fenster und schaue hinaus und dabei in sich hinein, aber das Fenster ist nicht nur ein Fenster, das auf den eigenen Flecken Leben hinausgeht, sondern gleichsam auch ein Bildschirm, auf dem das Tagesgeschehen vorbeihetzt, sich miteinschreibt und in der Folge ebenfalls kommentiert wird.
Diese Einschläge des Weltgeschehens geben den Gedichten
etwas Dystopisches, aber in diesem Zeitgeistgehalt wird auch eine Einsamkeit,
eine Abgeschiedenheit deutlich, die das lyrische Ich (aufgrund seines Alters,
seiner Einstellung zur Welt) empfindet. Die persönliche Bilanz, die viele der
Gedichte als Ganzes anberaumen, ist so durchzogen von Sprüngen, durch die der
Lärm der Nachrichten dringt, der auch, in Worte gefasst, erfasst werden will.
In diesen Sprüngen offenbart sich dann auch ein grundsätzlicher Bruch, der
mitten durch die poetische Position der Texte verläuft: auf der einen Seite steht
das Enden, das Dämmern des lyrischen Ichs, auf der anderen der Fortgang der
Welt.
„Er hört sich redenwie von jemand begleitetund protokolliert[…]Mit jedem Wort stirbtHoffnung aufs Überlebenam Reißwolf der Zeit[…]Du hast überlebt vielleichtaber stirbst an Erinnrung“
Weiterhin ist die Lyrik Heins auch mythisch durchdrungen –
manche der Texte, aufblitzend wie Kometen, ziehen einen breiten
Anspielungsstreif hinter sich her. In dieser mythischen Dimension wird aus dem
begrenzten (Zeit)Raum, von dem viele der Texte handeln und den sie mit ihrer
Kürze auch verkörpern, etwas Zeitloses – kein Aufschub darin, aber eine
Stoffwerdung, die das Skizzierte, Gedachte, Geschriebene entkörpert, in größere
Zusammenhänge überträgt.
„Ufer unerreichtWohin führen weiter undweiter die Pfade –“„Leben in Sprachegegen die Zeit die uns hetztübers Leichenfeld“
Ins Verschwinden gerichtet, aber ans Daseins gewandt – viel
Weisheit liegt in diesen Texten, auf kleinstem Raum pendeln sie Zustände und
Zusammenhänge aus. Mitunter hat man das Gefühl, dass sie aus sich selbst ein
Artefakt machen wollen, einen Gegenstand mit klaren Kanten, der nicht verhallen
oder durch Ansichten jedes Mal neu geknetet werden kann.
Ein anderes Bild, das sich manchmal bei mir eingestellt hat,
ist das der Kapsel, in der etwas bewahrt wird. Aber es würden sich wohl auch
noch andere Bilder für die Gedichte Heins finden. Sie haben etwas Fragiles und
zugleich Weitgehendes an sich, weswegen mir das Bild der gemeißelten Inschrift
immer noch am besten gefällt.
Im Areal des lyrischen Ichs dämmert Zeit, aber die Gedichte
sind Skizzen der Fährten, die nachweisen, dass es noch immer von vielem
durchquert wird.
„Himmel und Erde
einander
widerstreitende
Verheißungen des Glücks –“