Lütfiye Güzel: und james
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Artur Nickel
Lütfiye Güzel: und james. Chapbook. Duisburg/Berlin (go-güzel-publishing) 2022. 68 Seiten.
luetfiye-guezel.tumblr.com
lguezel@yahoo.com 8,00 Euro.
„und james“ von Lütfiye Güzel
Nimmt man das neue Werk „und james“ von Lütfiye Güzel in die Hand, der bekannten Underground-Lyrikerin aus Duisburg-Marxloh, so fällt einem sehr schnell auf, wie eigenwillig es gestaltet ist. Das Buch, ein Chapbook, eine Art Sammelalbum, besteht aus zusammengehefteten Blättern und einem etwas dickeren Blatt als Umschlag. Darauf sind der Titel, der Name der Autorin und ein Hinweis auf das Label zu finden, unter dem sie ihr Werk verkauft. Außerdem prangt rechts oben auf der Titelseite ein großes Pflaster. Nicht das Bild eines Pflasters, sondern ein richtiges, ganz haptisch, eines, das man zur Wundversorgung verwendet, wie man es aus der Apotheke kennt. Damit ist angedeutet, um was es Lütfiye Güzel mit ihrem neuen Werk geht. Es geht um Verletzlichkeit und die Frage, wie man ihr begegnen und mit ihr umgehen kann. Das zeigt schon das erste Gedicht:
zuhausedas große lochauf zeit
Geradezu meisterhaft versteht es Lütfiye Güzel mit wenigen Worten auf den Begriff zu bringen, was „Sache“ ist. Ein Zuhause ist ja nur ein Zuhause, wenn es Wärme, Sicherheit, Behaglichkeit, ja, Geborgenheit bietet. Das intendiert der Titel. Der erste Vers jedoch konstatiert das Gegenteil. Wo man das Zuhause erwartet, befindet sich ein großes Loch. Man kann hineinfallen, vielleicht sogar in ihm verschwinden, wenn man nicht aufpasst. Die Erwartungen an das Zuhause jedenfalls werden nicht erfüllt, ja, es droht einem dort sogar Gefahr. Man kann zuhause im wahrsten Sinn des Wortes untergehen. Vor diesem Hintergrund wirkt der zweite und letzte Vers schon fast wieder tröstlich. Was zuhause geschieht, gilt nicht immer, es hat eine Grenze, eine zeitliche. Gleichwohl gibt es keinen Hinweis, dass das Dasein vielleicht etwas besser wird, wenn man diese Grenze überschreitet. Alles bleibt gleichgeordnet – oder auch in gleicher Weise ungeordnet - nebeneinander stehen, das „zuhause“, das „loch“ und die „zeit“. Darauf deutet auch die durchgehende Kleinschreibung hin, die alle Begriffe egalisiert.
Das
Gedicht hinterlässt beim Lesen ein Loch, wenn man so will, ein Frage-Loch. Wer
sorgt dafür, dass „es“ später besser wird? Kommt Hilfe von außen? Vielleicht
sogar von innen? Wer weiß! Und da sind wir wieder bei dem ominösen Pflaster. Es
versorgt die Wunde, damit sie besser heilen kann. Aber heilen muss sie schon
von selbst. Da sind die Heilungskräfte des Verletzten gefragt. Ob sie reichen?
Das bleibt offen.
Der Band
zielt auf das letzte Gedicht, das ihm den Titel gegeben hat, das einzige
längere. Es beinhaltet eine Art Monolog eines lyrischen Ichs in sechs Teilen,
der sich an einen James richtet, der offensichtlich schon älter ist und alleine
in seiner Wohnung lebt. Es kommt aber nicht zu einem richtigen Dialog, weil der
Dialogpartner zwar angesprochen wird, aber stumm bleibt. Wer dieses Ich ist,
bleibt weitgehend im Dunkeln.
Jedenfalls
schildert das lyrische Ich ganz lakonisch kleine Alltagsbeobachtungen innerhalb
und außerhalb der Wohnung von James, die austauschbar sind. Es erinnert sich an
eine Fahrt auf der Autobahn und an eine Begegnung mit einem Kind, das ihm zum
Trotz auf dem Fahrrad Ziegelsteinen ausgewichen ist. Am Ende steht die
Mitteilung des lyrischen Ichs, dass dieses Kind noch so etwas wie lächeln
könne, wohl im Unterschied zu diesem James, dem selbst diese kleine menschliche
Geste abhanden gekommen zu sein scheint. Wieder eine Wunde! Eine, die zeigt,
wie sehr uns Mitmenschlichkeit verlorenzugehen droht, ja, verlorengeht und
Heilungskräfte gefragt sind.
„und
james“ ist ein besonderes Buch, das sich nicht auf das Ruhrgebiet, die Heimat
der Autorin, reduzieren lässt. Es stellt vielmehr Grundfragen, die alle
Menschen betreffen, egal, ob sie in einem Irgendwo oder einem Nirgendwo zuhause
sind. Es ist ein Werk, das uns als Leserinnen und Leser in die Mitte nimmt. Das
uns einen Spiegel vorhält und uns nach unseren eigenen Selbstheilungskräften
fragt! Das unseren Blick auf das richtet, wo Pflaster vonnöten sind. Es beginnt
bei uns selbst und direkt in unserer Nachbarschaft.