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Lütfiye Güzel: Aus "nahezu nichts gelingt"

Montags=Text
Lütfiye Güzel

aus „nahezu nichts gelingt“


Den Geruchs-und Lautstärkeregler habe
ich im Blut. Also Zeigefinger auf die Lippen legen
und sich still verhalten. Die Stufen leise hinaufsteigen.
Die Türe leise schließen.
Leise. Leise.
Zähneklappern aus Prinzip.
Briefe aus dem Kasten fischen.
Mit Absicht falsch übersetzen, damit das Frühstück nicht
ruiniert ist. Die Eier haben die perfekte Kochzeit.
„Wir kriegen Kleidergeld. Keine Sorge.
Alles ist in Ordnung.
Und den Staubsauger spendieren sie uns auch.“
Die Bürokratie hat Magen und Darm und Lunge
in die Pflichtfelder ihrer Formulare gequetscht.
Verlängert für fünf Jahre.
Verlängert für sieben Jahre.
Danach einen Tritt mit dem Stempelfuß...

Mutter läuft im Nachthemd und Strümpfen
über den Krankenhausflur.
Ich liege im Gästebett auf dem Gang am Fenster
und schaue ihr nach, als wäre ich nicht ihr Kind.
Ich habe keine Angst. Ich habe gar nichts...

Auf der Treppenstufe plötzlich stehen bleiben.
Einfach stehen bleiben und abkühlen.
Der Schlüssel kommt ins Schloss, die Jacke an den Haken,
die Schuhe kommen unter den Stuhl,
die Selbstverteidigung kommt zu den Akten.
Diese Bildergeschichten, die zu Filmen
werden machen mulmig wie Sicherheitsbehörden...

An den Tagen danach nur noch ein kriechen
entlang hingestreckter Geschmacksnerven, vollkommen erledigt
und erloschen.
Ankommen am Leseort und reflexhaft eingeschaltet sein.
Irgend etwas zusammenhalten mit Buchbinderleim.


Lütfiye Güzel: nahezu nichts gelingt. Duisburg (go-güzel-publishing) 2020. 45 Seiten. 10,00 Euro.


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