Lea Schneider: Invasion rückwärts
Jayne-Ann Igel
„jeder raum enthält mindestens eine utopiegefahr“
Notizen zu Lea Schneiders Debütband „Invasion rückwärts“
Auffällig, nicht nur bei ihr, ist der Gebrauch von Begrifflichkeiten, die in der Wissenschafts- und Techniksprache Verwendung finden. In der Folge haftet den Gegebenheiten, gerade auch denen naturalen Charakters, die dichterisch reflektiert werden, der Geruch des Künstlichen, des Surrogats an – Bei Lea Schneider ist beispielsweise von Sommertagen die Rede, aus denen das füllmaterial raustropft (S. 68). Möglicherweise schlägt sich darin nicht zuletzt der städtisch-virtuell geprägte Assoziationshorizont nieder, mit dem wir Jetztzeit-Menschen es vorrangig zu tun haben. Die Autorin wechselt ständig zwischen den Ebenen, denen der Realität wie denen ihrer Reflexionen, und so entstehen Strudel, Bewußtseinsstrudel, die ab und an paradox wie hellsichtig Erscheinendes an die Oberfläche treiben: dein denken ist unvollständig, /wie alles erlernte, und das ist die beste chance, zu /entkommen: durch ein fahrlässig offengelassenes/ fenster, das existiert, weil du es nicht sehen kannst.
Die im Blocksatz gesetzten Texte, sämtlich ohne Titel (es sei denn, daß man die Kapitelüberschriften als jeweils gemeinsamen Titel für die folgenden Gedichte betrachten kann), dünken mir Teile oder Fragmente eines fortwährenden Sprechens, die sphärisch aus dem Dunkel auftauchen und aus denen sich ein Zusammenhang, vielleicht auch zusammenhängender Text konstituiert. Eine Invasion von Worten …
Manches macht den Eindruck verdichteter Logbucheinträge, souverän und traumwandlerisch sicher (den vormittag über kehren wir licht von der straße, S. 50), Tag, Licht, Zeitlichkeit spielen hier eine Rolle. Öfters waltet dabei eine verhaltene, gelegentlich auch bissige Ironie, wenn die Autorin z.B. dem zusammenhang von langeweile und wahrheit nachspürt, wie er sich auf einer Grillparty offenbaren mag, oder sie den oblomowschen Ängsten vor denken und tun auf den Grund geht. Und dies alles in einer Leichtigkeit, als wollte sie jeglicher Assoziation freien Lauf lassen:
Doch Lea Schneider ist eine disziplinierte Beobachterin mit ausgeprägtem Sprachbewußtsein. Sie verwirklicht in ihren Gedichten eine Metaphorik resp. leistet einer Übersetzungsarbeit Vorschub, die Dinge, Erscheinungen, Realitäten unterschiedlichster Natur in eins setzt, sie auf einer Ebene zusammenführt. Nur selten geht sie dabei einmal fehl. So ergibt sich der Eindruck einer Wandelbarkeit, einer Metamorphose, die beständig am Wirken ist und uns Gedankengänge in Ungekanntes zeitigt, wiewohl es vertraut erscheint: so ist das, wenn man gruppe mit/ schutz verwechselt, den tag herausschält und/ dann bloß die schalen isst. Philosopheme, um die wir im Alltag gern einen Bogen machen, wandelt sie ab, löst sie in Bilder auf oder erfindet neue: jeder raum enthält mindestens eine utopiegefahr (S. 33). Diesen Texten wohnt eine Lust am Denken und Erkennen inne, die, neben der sprachlichen Qualität, ihre magische Anziehungskraft ausmachen.
November 2014
Lea Schneider: Invasion rückwärts. Berlin (Verlagshaus J. Frank) 2014. 85 Seiten. 13,90 Euro.