Kunst und Technik
Diagramme
Jan Kuhlbrodt
Kunst
und Technik
In seiner Schrift "Ohne Leitbild",
die sich gegen eine zyklisch auftretende Forderung richtet, dem einzelnen
Kunstwerk äußerliche Kriterien für Kunst im allgemeinen zu entwickeln, an
welche die Künstler in ihrer Produktion sich halten können und müssen, durch
die auch der Rezipient die Mittel zur Einschätzung von Kunst in die Hand
bekommt und der Kunst eine Funktion im arbeitsteiligen Gefüge der Gesellschaft
zugewiesen wird, formuliert Adorno:
"Die Sphäre aber, in der über richtig und falsch zwingend, doch ohne Rekurs auf trügerische Leitbilder sich entscheiden läßt, ist die technische."¹
Um das Mißverständnis zu vermeiden, daß mit
diesem Kriterium der Entscheidbarkeit, das bruchlose sich Fügen des einzelnen
Kunstwerkes in die Einheit des Stils gemeint sein soll, verweist er darauf, daß
ein sich Halten an die aus der Einheit des Stiles ergehende Forderung zu nichts
weiter führe als zur Kopie des Vorhandenen, also Entwicklung und subjektiven
Ausdruck ausschließe.
Wenn in der Vergangenheit große Kunstwerke
sich als geschlossen darstellten und in der Sprache einfach identisch, so sei
dies nur ein Phänomen ihrer Oberfläche. In Wahrheit seien sie "Kraftfelder,
in denen der Konflikt zwischen der anbefohlenen Norm und dem ausgetragen wird,
was in ihnen Laut sucht."² Je energischer
dieser Konflikt ausgetragen würde, umso höher rangierten sie.
Stil ist demnach ein Produktionsverhältnis,
das die künstlerische Produktion hemmt und fördert. Mit dem Wegfall der
"anbefohlenen Norm" scheint nun ein Zustand erreicht, der in absolute
Beliebigkeit ausartet. Es könnte angenommen werden, daß der subjektiv
künstlerische Ausdruck ungehemmt ins Freie trete.
Dieses Moment des Ungehemmtseins würde aber
Ausdruck im emphatischen Sinne unmöglich machen, die Momente des Werkes auf
willkürliche Gefühlsäußerungen reduzieren und mit der Einheit des Werkes dieses
selbst auflösen. Der Wegfall des Widerständigen des Materials und der
Anstrengung, dieses zu überwinden, suggeriert angesichts gesellschaftlicher
Totalität eine Freiheit, die nur durch das sich Fügen des Einzelnen ins
Allgemeine erkauft würde und somit keine wäre. Das Verleugnen der eigenen
Vermitteltheit, Suggestion von Unmittelbarkeit zeitigt nur die Fratzen
gesellschaftlicher Herrschaft als Idole.
Trotzdem will Kunst ihrem Gebilde ein Moment
von Unmittelbarkeit zusetzen.
Kunst darf sich diesem Konflikt nicht
entziehen. Sie kann ihm nur begegnen, wenn sie auf Durchbildung des einzelnen
Werkes geht, eine innere Rationalität entwickelt, durch die jedes einzelne
Moment des Werkes bestimmt ist. Diese innere Rationalität läßt sich nicht durch
äußere Normen der Kunst bestimmen. Erst im Vollzug ergibt sie sich und macht
dieses zu einem in sich dynamischen Phänomen im Stillstand, das nur jenen
Zugang gestattet, die die innere Dynamik bereit sind nachzuvollziehen. Dieser
Nachvollzug wäre Aufgabe der Rezeption.
Die Beliebigkeit der zeitgenössischen Kunst
ist demnach nur eine scheinbare.
Im Material wird der Künstler auf Geschichte
verwiesen, denn Material ist "sedimentierter Geist."³ Der Künstler
hat dem Materialstand gerecht zu werden, er hat Veraltetes und Brauchbares voneinander
zu scheiden und somit einen Ausdruck zu ermöglichen, der zugleich subjektiv,
aber in seiner Subjektivierung als objektiver sich bewährt. Dies ist nicht durch
universelle feste Normen zu erreichen. In der geschichtlichen Veränderung
verändert sich die Produktion. Einzig im Hier und Jetzt ist über das Verfahren
zu entscheiden. Jedoch macht sich das Vergangene in der Auseinandersetzung als
Subjektivität geltend.
"Der fortgeschrittenste Stand der technischen Verfahrungsweise zeichnet Aufgaben vor, denen gegenüber die traditionellen Klänge als Clichés sich erweisen."⁴
Adorno bringt hier einen Begriff von Technik
ins Spiel, der sich von dem der Dialektik der Aufklärung grundlegend
unterscheidet. Während dort Technik zwischen dem Zweck der Produktion, der
außerhalb der unmittelbaren in der Ordnung des Eigentums begründet ist, und den
gegenständlichen Bedingungen der Produktion vermittelt und damit, unter den
Bedingungen der kapitalistischen Produktion, die Subjektivität versachlicht
wird, wird künstlerische Technik zu einem Kriterium für Richtigkeit und
ästhetische Verbindlichkeit, die sich auf die Sache selbst richtet, und in
ihrer Versachlichung Subjektivität freilegt.
¹ Theodor W. Adorno: Ohne Leitbild, Frankfurt am Main 1967, S.17.
² a.a.O.: S.11.
³ cf. Theodor W. Adorno: Philosophie der neuen Musik, Frankfurt am Main 1976, S. 39.
⁴ a.a.O.: S.40.
² a.a.O.: S.11.
³ cf. Theodor W. Adorno: Philosophie der neuen Musik, Frankfurt am Main 1976, S. 39.
⁴ a.a.O.: S.40.