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Kristian Kühn: Klopstock, Blake & der Kampf um die Imagination

Memo/Essay > Aus dem Notizbuch > Essay

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Portrait Klopstock von
Maria Elisabeth Vogel, 1792
Lebendmaske Blake
Kristian Kühn

Klopstock, Blake & der Kampf um die Imagination


Frau Wirtin hatt‘ auch einen Traum
Der war so schön man glaubt es kaum
Der war wie ein Tedeum
Sie sah den Führer ausgestopft
Im Britischen Museum
(in Peter Rühmkorf: Über das Volksvermögen. Kap. 6, Ich will dir was erzählen)


Acht Jahre später, Friedrich Gottlieb Klopstock war europaweit berühmt, aber 1803 gestorben, erschien im Vaterländischen Museum ein anonym verfasster Aufsatz namens „William Blake. Künstler, Dichter und religiöser Schwärmer“, der Klopstocks Anliegen, die damals grassierende Bardenliebe dem deutschen Geiste zuzuschreiben und diese mit der allgemeinen Vaterlandsliebe damals zu verquicken, Rechnung tragen sollte.(1) Verfasst war dieser Essay von einem Bekannten von Samuel Taylor Coleridge, einem Journalisten, der auch bei William Blake ein- und ausging: Henry Crabb Robinson. Er wollte Blake in Deutschland „so bekannt wie möglich machen“, in der Hoffnung, die mit Blake konnotierten keltischen Mythen ins Deutsche hinein zu entlehnen, weil man seine Mythen „eher von einem Deutschen als von einem Engländer erwartet hätte.“(2)

Robinson rechnete mit Blakes Zustimmung, denn beide, Klopstock und Blake, hatten in ihren Werken vom Narrativ her das „verlorene Paradies“ von John Milton zum Vorbild. Auch war Klopstock, wie der junge Blake, anfangs ein glühender Befürworter der französischen Revolution. 1792 wurde er sogar als Ehrenbürger in die französische Nationalversammlung aufgenommen, doch schon ein Jahr später geißelte Klopstock das Jakobinertum als Schlange, die Frankreich zusammenschnüre.

Die Jakobiner

Die Korporazionen (Verzeiht das Wort,
Das schlecht ist, wie die Sache.) vernichtete
Das freie Frankreich; durchgehauen,
Zuckten im Sande die kleinen Schlangen.

Und doch erhob sich neben den liegenden
Die Korporazion, der Jakoberklob!
Ihr Kopf durchrast Paris, und ihre
Schlängelung windet sich durch ganz Frankreich.

Ha, täubet euch denn Taubheit? vernehmt ihr nicht,
Wie sie aus ihrem scheußlichen Innersten
Musik beginnt, die selten zweimal
Hörte der Wanderer? wie sie klappert?

Treibt ihr die Riesenschlang’ in die Höhle nicht
Zurück, und wälzt nicht Felsen dem Schlunde vor;
So wird ihr Geiferbiss die Freiheit,
Welch’ ihr erschuft, in den Staub euch stürzen.(3)

Klopstock hatte fast dreißig Jahre lang an seinem Messias geschrieben, ohne – wie Milton – einer erzählerischen Struktur zu folgen. Sein Epos in „nachgeahmten“ Hexametern bildete eine liturgische Reihe, als handle es sich um einen in mehrere Gesänge aufgeteilten Gottesdienst. Schnell gelang der Ruhm des Klopstock’schen Messias als kultisch-religiöses Epos auch nach England, Robinsons Rechnung hingegen ging nicht auf: Blake reagierte schon früh entschieden abweisend und mit Spott auf den pietistischen Deutschen, was Robinson sicher bekannt war:

Als Klopstock England spottete
Erreichte fürchterlich Blake in seinem Stolz
Droben den alten Nobodaddy,
Der furzte & rülpste & kröchte.
Dann schwor er einen großen Eid, der den Himmel erschütterte
Und rief laut nach dem Engländer Blake,
Wodurch Blakes Körper sich erleichterte.(4)

Als Zeugnis von Blakes Zorn auf Klopstock und auf dessen erhabene Ausdrucksweise nach „dem innern Plane der Religion“(5) kann man nicht nur das Gedicht To Nobodaddy ansehen. Klopstock hatte es gewagt, Miltons Nachfolge anzutreten, obwohl Blake Klopstocks vergeistigten bombastischen Ton für pietistisch und vollkommen verfehlt hielt. Zudem ging dessen bürgerliche Lesart von einem unbekannten, weit entfernten, abstrakten Gott aus, den Blake in krassen ja schmutzigen Farben schilderte. So wird Blakes Nobodaddy nicht nur zu einer Klage über einen Deus absconditus, sondern zugleich zu einer Satire und Selbstkritik der menschlichen Schwäche, wenn überhaupt, dann etwas Dinghaftes anzubeten. Gott sei „Niemandes Papi“, zum anderen widersprach Blake Klopstocks beiden, den Messias begleitenden Essays, „Von der heiligen Poesie“ und „Von der Nachahmung des griechischen Silbenmasses im Deutschen“. Klopstock zufolge habe Dichtung nämlich die Aufgabe, die Offenbarung göttlicher Begebenheiten in ihren „Grundrissen“ auszuschmücken und als priesterliche „Erdichtungen“ mental weiterzuführen.(6)

Diese Ausschmückungen nach einem Narrativ und die angeblich heilige Aufgabe, als Lehrer diesen Gedankenplan zu vermitteln, widersprechen komplett der Blake‘schen Poetik der Imagination. Denn Klopstock gibt in seiner Schrift „Von der heiligen Poesie“ zu, durchaus auch Löcher zu stopfen, die seine Imagination ihm hinterlässt, und zwar durch Denken, das die „vornehmsten Kräfte“ „beschäftigt“, quasi „poetisch zu denken“, und derweil den Inhalt zu Gedichten und Texten – wie ein Narrativ – „aus der Religion zu nehmen“:

„Der Theil der Offenbarung, der uns Begebenheiten meldet, besteht meistenteils nur aus Grundrissen, da doch diese Begebenheiten, wie sie wirklich geschahn, ein grosses, ausgebildetes Gemälde waren. Ein Dichter studirt diesen reichen Grundriß, und mahlt ihn nach den Hauptzügen aus, die er in demselben gefunden zu haben glaubt. Zugleich weis man von ihm, daß er dieß für nichts mehr, als Erdichtungen ausgiebt. Er thut, in seiner Art, nichts weiter, als was ein andrer thut, der, aus den nicht historischen Wahrheiten der Religion, Folgen herleitet. Sie dachten, auf verschiedne Weise, über die Religion nach.“(7)

Und Klopstock schließt diesen Gedankengang ab:

„Da ich also, wie ich glaube, die Erlaubniß, in der Religion zu dichten, annehmen darf; oder mit andern Worten, da ich für erlaubt halte, auch nach poetischer Denkungsart, dasjenige, was uns die Offenbarung lehrt, weiter zu entwickeln: so gehe ich zu dieser viel wesentlicheren Frage fort: Unter welchen Bedingungen man von Materien der Religion dichten dürfe? Diese Bedingungen werden von nichts Geringerm, als von dem innern Plane der Religion bestimmt.“

Und noch mehr dürfte Blake der Schluss des Essays aufgestoßen sein, dass nämlich

„Dasjenige, was uns die Offenbarung lehrt, besteht, aus moralischen Wahrheiten; aus Begebenheiten, aus Prophezeyungen; aus Geheimnissen; und aus solchen Stellen, wo das Geheimnisvolle mit jenen, besonders mit moralischen Wahrheiten, vermischt ist.“

Für Blake hingegen gibt es die vierfache Sicht, die zur Imaginationskraft führt, wie eine erlernbare Stufenfolge. Das einfache Sehen, das mit dem physischen Auge nur, und damit auch jede wissenschaftliche Messung, nennt Blake spöttisch den „Schlaf Newtons“ (8)

Das doppelte Sehen geschieht nach Blake durch das Auge, nicht mit dem Auge, indem Werte, Analogien und Signaturen in den Dingen mitgesehen werden. Hier wären für ihn Klopstock und auch Dante eingereiht.

Das dreifache Sehen, die dreifältige Schau, ergänzt das bisher Erreichte durch die Einbettung der emotionalen Sphäre, dem orphisch Irrationalen und Lebendigwerden von Traum, Sprachfluss und inneren Ereignissen, etwa wie es später, fast schon in unserer Zeit, Ted Hughes in seinem „Der verbrannte Fuchs“ beschreibt: „Ich begann zu träumen. Ich träumte, dass ich meinen Tisch nie verlassen hätte und immer noch dort saß. Über das von der Lampe beleuchtete Blatt Papier gebeugt, starrte ich auf die gleichen wenigen Zeilen auf dessen oberer Hälfte. Plötzlich wurde meine Aufmerksamkeit zur Tür gelenkt.“ Eine Gestalt kam herein, halb Mensch, halb Fuchs. Sie kommt auf das Gedicht auf dem Blatt Papier zu und sagt: „Laß das – du tötest uns.“ Augenblicklich wacht Hughes auf und beschließt, alles was sich nicht lebendig mit ihm beim Schreiben verbindet, in den Papierkorb zu werfen.(9)

Das vierfache Sehen dann ist für Blake prophetische Poesie. Der Mensch muss sie sich stets und ununterbrochen gegen seine Ratio und seine Selbstbezogenheit erkämpfen. (Ganz wie es später Rimbaud in seinem Seherbrief erklärt: „Wenn das Blech als Trompete aufwacht, ist es nicht selbst daran schuld. Dies ist mir offensichtlich: helfend tätig habe ich an der Erschließung meines Gedankens teil: ich sehe und höre ihn: ich tue einen ersten Bogenstrich: in den Tiefen setzt sich der Zusammenklang in Bewegung, oder er kommt jäh in einem Sprung auf die Bühne.“

Zu dieser Zeit, vielleicht ein bisschen früher als Hughes, verfasste Peter Rühmkorf seinen Text „Walter von der Vogelweide, Klopstock und ich“, der 1975 erschien und in dem Klopstock als „empfindsamer Revolutionär“ dargestellt wird. Rühmkorf sieht zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen dem frühen 19. Jahrhundert, in dieser puritanischen und für die viktorianische Unduldsamkeit vorgeprägten Zeit, die Klopstock berühmt machte, aber Blake für einen unschädlichen Irren hielt, mit unseren derzeitigen Intentionen. In einem Brief an Jürgen Manthey (10) sagt Rühmkorf, er wolle das „Literaturdenkmal“ aus dem reaktionären Traditionsbett lösen (11) und Klopstock „kühn an die eigene Brust gerissen“, neu beatmen.


(1)   Das Folgende nach William Blake & das lyrische Konto. Herausgegeben von Kristian Kühn und Norbert Lange. München (Aphaia Verlag) 2024. 281 Seiten. 24,00 Euro.
(2)   Alexander Roob: Als Klopstock Blake herausforderte und Alte Briten auf einmal Deutsche waren. In: Arbeitsgruppe Ancient Britons. William Blake's The Ancient Britons. Erscheinungen eines verschollenen Bildes. 2022. S.70 ff.  
(3)   Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden. Band 2. Leipzig 1798. S.152
(4)  Blake E500 - eines der Motti zu den Songs of Innocence & of Experience. Zwischen 1797 und 1799. Klopstock hatte gerade den Engländwen erklärt, ihre Sprache sei für Hexameter nicht so geeignet wie die deutsche.
(5)   Von der heiligen Poesie. In "Der Messias", Reclam Studienausgabe, 1986, S.116.
(6)   Ebenso, S. 115.
(7)   Ebenso, S. 115.
(8)   William Blake & das lyrische Konto, S. 44.
(9)  Ted Hughes: Wie Dichtung entsteht. Essays. Frankfurt a.M. und Leipzig (Insel Verlag) 2001. S.22 ff.
(10)  Jürgen Manthey, abgedruckt auf der Buchrückseite von „Walther von der Vogelweide, Klopstock und ich“. Rowohlt 1975.
(11) Corinna Schultz: Klopstock-Rezeption im 20. Jahrhundert: Peter Rühmkorf. Dresden (Technische Universität (Germanistik) 2006.


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