Klaus Anders: Nachtgesang einer Zitrone
Montags=Text

Klaus Anders
Nachtgesang einer Zitrone
...fein gepudert wie eine
gut gepflegte Leiche …
Sunna Dís Másdóttir
Schnee brachten
arktische Winde, türmten
Wechten und Wehen
auf, dann aus sibirischer
Weite, die bis in
die Milchstraße reicht, Ostwind,
Frost ließ
dreifach gefrieren, Schnee
zu Granit und
Basalt, die Lippen,
die Nase zu
blauem Marmor, den
keine Wärme zu
schmelzen vermag,
das Herz eine
Mandel aus Quarz,
Atem ein
Eisschloss, die Augen
Katzengold, in
der strengen Kammer
ein letztes
tanzendes Molekül.
*
Vor einer Tür
lag, vor sieben
geschlossenen
Toren, ein achtes
vermauert, als
mich ein Wanderer fand,
lud mich auf
seinen Esel, das
duldsame Tier,
zaghaft auf
eisglatten Wegen
bis in den Stall.
Dort nahm mich
einer, trug mich
zu seinem Pick
up, rostig
klappriges Ding,
und fuhr los.
Durchgeschüttelt,
ein Sack voller
Knochen und
Matsch, abgeladen
vor einer
Drehtür.
*
Und es kam eine
Frau, sagte:
Du trägst ein
Kind, spürst du es nicht?
Und sie führte
mich durch einen
gläsernen Park,
die Vögel aus Glas
mit gläsernem
Zwitschern. Und zu essen
gab es
zersplittertes Glas,
zu trinken
eiskaltes Wasser. Halte mich,
rief sie, lass
mich nicht zerschellen
an den scharfen
Korallen, dem Riff!
Und ein Foss
öffnete sich, ein gläserner Fall.
Sie trat ein in
den dunklen Schlund.
*
Du wechselst
deine Farben wie ein Oktopus,
als Gecko läufst
du an der Wand,
du konntest bei
Hofe die Prächtigste sein,
doch niemand sah
dich an,
du warst die Schnecke
unter dem Stein,
Kopfweh plagte
dich und Herzverdruss.
*
Eine Tanne, rank
auf einem Felsen,
überragte viele
andere. Die Leute hatten
sie schon
jahrelang beäugt,
wie sie zu
fällen, wegzuholen wäre.
Da traf ein
Blitz, die Krone brach,
der Stamm riss
auf, das weiße Holz
jetzt dunkel.
Doch die Tanne,
Wurzelbau gesund,
erholte sich, sehr
langsam, bildete
zwei Spitzen, die sich
krümmten, ein
kurzer dicker Stammrest
mit einer wirren,
halb in die Schlucht
gesenkten Krone.
Älter als alle
Bäume rings lebt
sie noch, gesprächig,
winkt jedem von
ihrem Fels.
*
Die
Smalte-Platten, viereckig gestückelt,
bewahrt in
Kästen, mein Vorrat ist
nicht groß. Hab
aber im Lauf der Jahre
von den
kostbarsten Farben einen Teil
zurückbehalten.
Für dieses Mosaik
nur sie
gebraucht, wie ein Schlafwandler
gesetzt, das Bild
vor Augen,
das ich nicht
versteh. Noch nicht
ganz fertig,
ratlos, im letzten Kreis
ein blinder
Fleck, sucht meine Hand
und findet nicht.
Doch da
geschiehts aus
sich: Das Mosaik
zerfließt,
schweift wie Polarlicht.
Feuer knackt im
Ofen, die Werkstatt warm,
geschützt vom
Fels, der darüber hängt.
*
Sie fand auf der
Straße
ein Scheckheft,
blätterte darin,
wusste nichts
damit zu tun.
Später nahm sie
es als Skizzenblock,
schrapp, schrapp,
schrapp, schrapp,
ein Blatt nach
dem anderen verbraucht
und ausgerissen.
O Cantapa, Cantapa,
der du hangest,
ich geb dir meine Milz.
Schlürf sie aus,
dass dir wieder Hufe
wachsen, du mich tragen
kannst
nach Machu
Picchu. Dort wächst
eine Flechte, die
mein Heimweh
lindern wird.
Bitter ist sie,
bitter, doch
stillt Durst und Hunger,
ich seh das
Paradies in meinen
blauen Händen.
*
Und niemand
glaubte mir.
Obwohl ich mich
an die sieben
Regeln der
Unkenntnis hielt,
glaubte mir
keiner.
Ich erzählte
meine Geschichte.
Doch sie vermuten
eine andere,
und dahinter noch
eine
und wieder eine
andere.
Wo ist die
Wahrheit, fragen sie.
Die Wahrheit
entspringt im Nimmerland,
ist das Vogeljunge
in meiner Hand,
das Glaskorn in
meinem Auge.
*
Poesie ist die
Kunst derer,
die scheitern.
Ist es nicht so?
Zu gewissen
Zeiten gedeiht sie
nur in
Katakomben. Ich wandere,
doch weiß nicht
wohin. Ich schaue, aber
weiß nicht, was
ich seh. Ich horche,
doch weiß nicht,
was ich höre. Adieu also,
hab lange
Spaziergänge immer geliebt,
auf oder unter
der Erde.
*
Zwei Jahre wohne
ich in den Trümmern der
Abtei, ein
Zimmer, das mich vor Kälte schützt
und Hitze, seh durchs Fenster den Pa-
lazzo Panfilio, die Fassade,
einst weiß, jetzt
schwarz von Brand und Ruß, auf dem Dach
die Krähen, leer
das Gebäude, unbewohnt,
die Fenster dunkel. Höre von dort
Stimmen, Musik noch jenes Abends
und spüre deinen
Blick auf den Schultern, dreh
mich um und schau
dir in die Augen. Wir
verschmolzen in dem Augenblick, doch
fanden dann niemals mehr zueinander.
Ich hatte dich
verjagt, ganz erfüllt von Glück.
Wie quälte mich
das Sehnen, es brennt noch heut.
Getrennt, zerriss das Leben, wir sind
Träume, ein Nebel auf toten Mooren.
*
Meine Sprache
kennt niemand.
Die Worte, mit
denen ich spreche,
sind nicht die
meiner Sprache.
Wo kommt sie her?
Wie habe ich sie
gelernt?
In ihr bewege ich
mich
wie die Forelle
im Wildbach.
Sie hat keine
Zeichen,
geschwind wie das
Licht
ist sie mein Auge
im Dunkeln,
im Schweigen mein
Ohr.