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Katharina Schultens: Geld

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Dirk Uwe Hansen


Prozesslogik



Seit im Oktober 2013 die ersten Bände der Edition Poeticon im Verlagshaus Berlin (damals noch Verlagshaus J. Frank) erschienen sind, ist diese schöne Reihe aufs Schönste angewachsen. Kleine, einfach und handschmeichelnd-gediegen gestaltete Bändchen, in denen Dichter*innen die Gelegenheit bekommen, sich zum Verhältnis ihrer oder der Dichtung zu allerlei Emanationen der uns umgebenden Wirklichkeit zu äußern. Der Titel der Reihe lässt dabei Raum für Vieles und Verschiedenes (und das haben die Autor*innen der bisher erschienenen Bände weidlich ausgenutzt): Ein ποιητικόν kann entweder ein Text sein, der zur Poesie Stellung nimmt, ein Poetologisches also, oder aber selbst zur Poesie gehört, etwas Poetisches also.

Katharina Schultens Essay „Geld” passt hervorragend hinein in diese Reihe, denn es ist ein Text, der zum einen Schultens’ poetologische Position beleuchtet, zum anderen aber auch wegen der Schönheit seiner Sprache die Leser in seinen Bann zieht.

Mit dem Allgemeinplatz, dass Geld und Poesie im Sinne einer merkantilen Verwertbarkeit von Dichtung wenig miteinander zu tun haben, hält Schultens sich dabei gar nicht erst lange auf. Ihr ist es um anderes zu tun, um die Parallelen zwischen der Prozesshaftigkeit und Eigendynamik des Buchens, Verbuchens und Umbuchens von Geld und der Umbuchung von Wirklichkeit in Verse. Dabei geht es bisweilen sehr abstrakt zu („ich weiß, wie sich ein dem Jährlichkeitsprinzip unterliegendes Budget in der Kameralistik komplett ausreizen lässt”), bisweilen wieder sehr konkret, etwa wenn beschrieben wird, wie das Auto eines ehemaligen Geliebten in ein Gedicht hineingerät und nicht wieder herauszubekommen ist.

Schultens’ Essay mischt dabei wissenschaftliche, praktisch-poetologische und autobiographische Betrachtungsweisen, oder besser: Diese Betrachtungsweisen werden verflochten, ineinander-geschοben oder einander entgegengesetzt. Eine Abrechnung des Lebens ihres Vaters taucht auf, eine Liebe, die sich in zwei Rechnungen mit identischen Summen auflöst, wie auch ein gegeneinander Aufrechnen von Dichterin, Text und Leser.

Leitmotiv dabei ist das Geld als Gabe, als Entgeltung, die entweder ein Defizit ausgleichen, oder eine Gegengabe provozieren, ja erpressen soll. Dabei erledigt Schultens im Schulterschluss mit Monika Rinck gleich noch einen weiteren Allgemeinplatz, die zuletzt von Schlaffer vertretene Herleitung der Dichtung aus kultischem Handeln, aus einem nur an Götter gerichteten, weil für Menschen ganz unverständlichen Sprechen.

„Besessenheit ist kein Vorrecht der Dichtung. Ich verstehe, warum sich jemand besessen mit Geld beschäftigen will, solche Prozesse entwickeln zwanghafte Schönheit, verbrauchen alle vorhandene Zeit – ...”


Der Punkt, an dem Geld und Dichtung für Schultens vergleichbar werden, ist dieser Prozess, der flow, der seine eigene Dynamik zu entwickeln scheint.

„Es wäre also egal, was im Prozess passiert und welcher Logik ich mich unterordne. Ich kann von Material sprechen, das ich einsetze, oder ich kann es lyrische Produktionsmittel nennen und über die Totalverausgabung, die Verwendung von Mitteln in der Kameralistik nachdenken. Nicht auseinandersetzen muss ich mich in den meisten Fällen mit kapitalistischen Produktionsbedingungen, da – von Ausnahmen abgesehen – kein Markt existiert und auch kein Staat, der mir einen erzeugte. Von Produktion zu sprechen, macht mein Gedicht noch lange nicht zum Produkt.”


Und doch. So jedenfalls lese ich es, ist Dichtung die bessere Währung, „gibt es im Gedicht, im Unterschied zum Geld, etwas,” gibt es „zumindest vorübergehend inflationsstabile Gedichte.” Nur wird es dafür nötig sein, die Gabe des Gedichtes nicht zu verwerten, keine Wirkung einzufordern, sondern sie mit dem einzig angemessenen Entgelt zu entgelten: mit Offenheit.

Ich gestehe: Ich verstehe wenig von Geld, weiß nicht, was man mit einem dem Jährlichkeitsprinzip unterliegenden Budget anfängt. Das hindert mich nicht daran, diesen Essay mit Freude (unter anderem freue ich mich immer wieder an Schultens’ großartig gesetzten Paradoxa) und Gewinn zu lesen. Ich kann mir vor einer zweiten Lektüre einiges Wissen über Kameralistik und Buchführung aneignen, gewiss; aber noch davor lese ich lieber noch einmal gorgos portfolio, denn Schultens’ poetologische Betrachtungen machen neugierig auf ihre Poesie.


Katharina Schultens: Geld. Eine Abrechnung mit privaten Ressourcen. Berlin (Edition Poeticon im Verlagshaus Berlin) Berlin 2015. 48 Seiten. 7,90 Euro.

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