Karla Reimert: Picknick mit schwarzen Bienen
Jan Kuhlbrodt
Am Rand der Realität
zu: Picknick mit schwarzen Bienen.
Das Lyrikdebüt von Karla Reimert
Es ist etwas her, dass ich Redakteur der Literaturzeitschrift Edit war. In jener Zeit aber fischte ich ein Manuskript aus dem Postfach, das einen Gedichtzyklus enthielt, der mich im Grundpersonal eigentlich hätte abschrecken müssen, denn im Zentrum stand die fiktive Begegnung von Paul Celan und Sigmund Freud, die beide so etwas wie die Säulenheiligen zu meiner Zeit am Frankfurter Philosophischen Seminar waren. Ich studierte dort am Anfang der Neunziger, und meine damaligen Kommilitonen hatten die Ernsthaftigkeit für sich gepachtet und schritten mit trüben Gesichtern durch den deutschen Nachherbst und den langen Vereinigungswinter. Dieser Text wäre ihnen ein Antidot gewesen.
Celans Sitzungen mit Freud
beginnen am 20. Jänner
Sie machen ein Picknick.
So heißt es im zweiten Text des Zyklus Bugrad. Gesang mit Corona, der den Lyrikdebütband von Karla Reimert beschließt.
Und ich finde mich bei der erneuten Lektüre in einer ähnlichen Situation wie damals, als ich die Texte zum ersten Mal las. Denn im Grunde kann ich die Namen Freud und Celan nicht mehr hören. Zu sehr, scheint mir, habe ich mich durch ein damit verbundenes Textlabyrinth gequält. Ein abgeerntetes Feld, könnte man meinen.
Was in Reimerts Zyklus aber passiert, ist erstaunlich. Mit grimmigen Humor hält der Text an den Schemen des Vergangenen fest.
Freuds Hilflosigkeit, die ja die Hilflosigkeit der ganzen Psychoanalyse ist, spiegelt sich im fiktiv irrationalen Verhalten des Reimertschen Celan. Sie rettet Gedanken in die Dichtung hinein.
Wir alle wissen um die düstere Realität des 20. Jahrhunderts. Wir alle wissen um das dramatische Ende des Dichters Celan. Und wir alle wissen auch um das Unvermögen der Psychoanalyse angesichts des konkreten Leids der Patienten, woraus sie letztlich ihre gesellschaftstheoretische Kraft bezog.
Aus dieser paradoxen Situation entwickelt Reimert auf knappem Raum ein trotziges Spiel mit und um Gott und einen Joghurtbecher. So, könnte man meinen, kündigt sich Rettung an. Dieser Text also, der mir ein langes Warten auf diesen Reimertschen Debütband einbrockte, beschließt diese Sammlung, die nicht weniger ist, als eine Poliklinik der Spätmoderne.
Hier wird sich der religiösen Wurzeln wieder versichert, ohne sie in Fundamentalismus einzulegen wie Ingwerknollen.
Wenn Walter Benjamin den Schachautomaten des historischen Materialismus von einem Zwerg geführt beschreibt, der die Religion ist, so lässt Reimert diesen Zwerg ins Freie treten. Und hier, im Freien, erweist er sich nicht nur als geschickter Fädenzieher, sondern auch als humorvoller – und skeptischer – Begleiter der Aufklärung.
Geradezu meisterhaft (um diesen etwas angestaubten Begriff zu benutzen) spielt Reimert auf dieser dialektischen Klaviatur im für mich zentralen Kapitel des Buches:
Maria. Recherche in Serpentinen
Der Titel kündigt es an. Hier wird religionswissenschaftliches Vokabular mit gedanklicher Reiseerfahrung verknüpft. Das ist einzigartig und in seiner Verknüpfung von Aufklärung und Mystik ein politischer Kommentar zu den Verwerfungen unserer Zeit. Das macht diesen Text so aktuell wie kaum einen anderen. Und so endet er:
Die Ironie des Heiligen, erfuhr ich, ist aus Glas
Lang nach Abgabe erfolgt
die Aushärtung von Geschriebenem in Realität.
Dann erst sieht es durch dich hindurch.
Lesen!
Karla Reimert: Picknick mit schwarzen Bienen. Gedichte. Berlin (kookbooks) 2014. 88 Seiten. 19,90 Euro.