Jure Detela: Zwei Gedichte
Gedichte > Zeitzünder
Jure Detela
(1951 - 1992)
Zwei Gedichte,
übersetzt aus dem Slowenischen von Anja
Silovšek (Berlin)
und Patrik Valouch (Prag)
DAS LIED DER ANTIGONE
Schön ist die Leiche, die zerfällt,
so wie ein Baum vermodert.
Das Bild anderer Körper ist kein
Kriterium für meine Menschlichkeit.
In der Luft gleicht die Pest dem Wirbelwind.
Samen schrumpfen im Feuer.
Murmeltiere suchen Schutz in den Bergen.
Die Flüsse sind verteilt.
so wie ein Baum vermodert.
Das Bild anderer Körper ist kein
Kriterium für meine Menschlichkeit.
In der Luft gleicht die Pest dem Wirbelwind.
Samen schrumpfen im Feuer.
Murmeltiere suchen Schutz in den Bergen.
Die Flüsse sind verteilt.
Die Leiche ist meinen Augen verborgen.
Sie liegt überall begraben,
wo immer ich auch bin. Alle Mächte,
die kräftig genug sind, um sie über
die Erde zu heben, sind an den Felsen verstreut.
Wo sie sich zu Formen verdichten,
reicht bereits meine Anwesenheit,
um sie zu neutralisieren.
Sie liegt überall begraben,
wo immer ich auch bin. Alle Mächte,
die kräftig genug sind, um sie über
die Erde zu heben, sind an den Felsen verstreut.
Wo sie sich zu Formen verdichten,
reicht bereits meine Anwesenheit,
um sie zu neutralisieren.
Denke ich an eine Leiche, die zerfällt,
ist mein Gesicht eine Maske. Aus
ihr fließen alle Reisen zu einem
Bild: schon immer bin ich tot gewesen
und mein Körper ist die Probe der ganzen Erde,
auf die ich durch Hades’ Gebete
geboren wurde. Die Leichenverwesung
kann nicht nach Göttern schreien.
ist mein Gesicht eine Maske. Aus
ihr fließen alle Reisen zu einem
Bild: schon immer bin ich tot gewesen
und mein Körper ist die Probe der ganzen Erde,
auf die ich durch Hades’ Gebete
geboren wurde. Die Leichenverwesung
kann nicht nach Göttern schreien.
Denn alles, was Mörder sagen,
saugen lebende Körper ein.
Weil jeder Getötete an Augen und Händen
erkannt wird. Meine haben ein
Grab ausgehoben. Doch im Sterbemurmeln
der Welt bleiben Gespenster,
die den Blick in die Leichen werfen,
wie in einen Kerker, wo der
Strom des Universums erstarrt.
saugen lebende Körper ein.
Weil jeder Getötete an Augen und Händen
erkannt wird. Meine haben ein
Grab ausgehoben. Doch im Sterbemurmeln
der Welt bleiben Gespenster,
die den Blick in die Leichen werfen,
wie in einen Kerker, wo der
Strom des Universums erstarrt.
Für immer bin ich von dieser Zauberei
befreit. Die Himmelswesen kennen
die Übergänge zwischen den Lebenden und den Toten.
Sie kennen den Drang nach endloser
Abwechslung. Sie kennen die Freiheit, die will,
dass die Leiche wie ein Baum vermodert:
das Grab ist wie ihr Schiff, wie ein Tor
für alle Lebenden der Erde.
befreit. Die Himmelswesen kennen
die Übergänge zwischen den Lebenden und den Toten.
Sie kennen den Drang nach endloser
Abwechslung. Sie kennen die Freiheit, die will,
dass die Leiche wie ein Baum vermodert:
das Grab ist wie ihr Schiff, wie ein Tor
für alle Lebenden der Erde.
GEDICHT FÜR DIE HIRSCHE
Hirsche! Soll ich in mein Gedicht das
Bewusstsein für Gewalt einlassen? Wie
kann ich der Erinnerung an euch treu bleiben,
wenn meine Welt sich in eine Botschaft
Bewusstsein für Gewalt einlassen? Wie
kann ich der Erinnerung an euch treu bleiben,
wenn meine Welt sich in eine Botschaft
des Mordens wandelt? Für euch ist es
anders.
Ihr seid unschuldig. Ihr werdet
angegriffen. Immer schwebt ihr in Lebensgefahr.
Ihr ergebt euch vollends
Ihr seid unschuldig. Ihr werdet
angegriffen. Immer schwebt ihr in Lebensgefahr.
Ihr ergebt euch vollends
den flüchtenden Herden. Ihr haltet eure
Körper
den Schüssen feil, um den Lauf
der Kühe und Kälber beschützen zu können. Mit
luftgeschwellter Brust steht ihr
den Schüssen feil, um den Lauf
der Kühe und Kälber beschützen zu können. Mit
luftgeschwellter Brust steht ihr
vor den Gewehren. So seid ihr dann traurig,
heilig,
stolz. Mit einem reinen Blick
schaut ihr auf die Jäger. Ihr nehmt den Tod an,
ohne Vertrag. Weil eure
stolz. Mit einem reinen Blick
schaut ihr auf die Jäger. Ihr nehmt den Tod an,
ohne Vertrag. Weil eure
Wünsche mordfrei sind. Schon hier
auf Erden ist euer Wandeln
vollends frei, obwohl euch die Jäger
unentwegt folgen. Jeder
auf Erden ist euer Wandeln
vollends frei, obwohl euch die Jäger
unentwegt folgen. Jeder
Frühling erlöst euch. Jeder Voll–
Mond erlöst euch. Jede
Senke, durch die ihr von den Jägern flüchten könnt,
erlöst euch. Jeder Stern
Mond erlöst euch. Jede
Senke, durch die ihr von den Jägern flüchten könnt,
erlöst euch. Jeder Stern
erlöst euch. Auch die Erde, auf die ihr
blutig, mit Blei in euren Körpern fallt,
erlöst euch. Hirsche! Sprecht mit euren Todes–
Stürzen nicht die Jäger von
blutig, mit Blei in euren Körpern fallt,
erlöst euch. Hirsche! Sprecht mit euren Todes–
Stürzen nicht die Jäger von
eurem Leben frei. Jäger verachten
eure Unschuld. Deshalb
morden sie euch so leicht. Hirsche! Hirsche!
Wie könnte ich es schaffen,
eure Unschuld. Deshalb
morden sie euch so leicht. Hirsche! Hirsche!
Wie könnte ich es schaffen,
dass diese Grausamkeit, die in euren
Wäldern wütet, sich nicht in das Gedicht
für euch hineindrängt? Hirsche! Hirsche! Hirsche!
Und wie die Erde sich auflockert
Wäldern wütet, sich nicht in das Gedicht
für euch hineindrängt? Hirsche! Hirsche! Hirsche!
Und wie die Erde sich auflockert
unter euren Schalen! Und wie durchscheinend
ist sie
und luftig, sonnig, grün!
Und wie sie eure Körper zum
Himmel bringt! Und wie lebendig ihr seid!
und luftig, sonnig, grün!
Und wie sie eure Körper zum
Himmel bringt! Und wie lebendig ihr seid!
Aus dem Gedichtband: Mah in srebro (Založba Obzorja, 1987; dt. Moos und Silber)