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Julia Trompeter: Zum Begreifen nah

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Dirk Uwe Hansen

Zu Julia Trompeter: "Zum Begreifen nah"



In ihrem 2014 erschienen Roman „Die Mittlerin” lässt Julia Trompeter die Titelfigur, eine Art geheimnisvoller Literaturagentin, der Protagonistin, einer jungen Autorin, den Rat geben, erst einmal einen Roman vorzulegen — einen Gedichtband, wie die Autorin ihn gern veröffentlichen möchte, könne man dann ja später noch herausbringen.
Nun muss man kein glühender Anhänger des biographistischen Interpretierens sein, um sich über das Erscheinen von Julia Trompeters Lyrik-Debutbandes im Jahre 2016 nicht zu wundern. Aber dies ist nicht die einzige Verbindung, die sich zwischen der Erzählerin in Julia Trompeters Roman und der Sprecherin ihrer Gedichte knüpfen lässt. Denn Trompeters Gedichte überschreiten gern Gattungsgrenzen, gleiten immer wieder einmal ins Erzählen oder in dialogisch gestaltete Situationen hinein, und es ist natürlich verführerisch, die Erzählerin oder die Dialogpartnerin mit der Erzählerin des Romans versuchsweise zur Deckung zu bringen, Orte und Liebesgeschichten aus der Mittlerin in den Gedichten zu suchen und zu finden. Doch das überlasse ich getrost den Germanisten späterer Generationen und mache mich lieber daran, den mit 105 Seiten recht umfangreichen Band zu beschreiben.

Und das ist gar nicht so leicht, denn die hier gesammelten Gedichte zeigen eine bemerkenswerte thematische und formale Vielfalt, die von der verdichteten Momentaufnahme etwa aus einem Philosophieseminar an der Universität Bochum bis hin zum gutgelaunten und nicht immer kalauerfreien Spiel mit Worten („Schritthmus”) und Lauten reicht, etwa wenn ein schlichter Kater uns mit dem „Chimmär” seines Felles zuerst in die Welt der Dialekte und von da aus direkt Hesiods feueratmender Chimäre vor die Füße wirft; ἡ δὲ Χίμαιραν ἔτικτε πνέουσαν ἀμαιμάκετον πῦρ — Trompeter ist zudem noch eine gelehrte Dichterin, eine, die bei Siegen-Wittgenstein natürlich an den Philosophen denkt, weshalb dann auch der Referenzrahmen ihrer Gedichte nicht minder weit gespannt ist, als der formale.
Gegliedert sind die Gedichte in fünf Kapitel unterschiedlicher Länge, deren Gedichte manchmal eng zusammengehörige Zyklen bilden, manchmal Sammlungen eher locker aufeinander bezogener Einzelstücke sind.

Zum Begreifen nah, der erste Abschnitt, sammelt zunächst tagebuchartige Gedichte („Warum nicht von Zärtlichkeit schreiben, / wenn sie als Schatten über die Tasten huscht.), die sich zum großen Teil an ein „Du” richten, das sich immer wieder zu entziehen scheint („... Am anderen Ende / der Leitung war nunmehr nichts, bloß / immer das Schweigen und die Republik”), eine Großstadtgeschichte nicht ohne Melancholie lässt sich hier erkennen („Sechs Weisen, unglücklich zu sein”), aber auch, wie in den späteren Kapiteln noch stärker, immer wieder die Lust am Spiel mit Lauten und Sprache:

Die Markise von O.

Ein Strahl Sonne durchbricht die geschlossenen Lider von O.

Markise (ausfahrend):

O o  o O OO o Oo Ooo o O
...


Sieben Lamellen, das kürzeste Kapitel, spielt in sieben Gedichten den Moment zwischen Schlaf und Wachen immer wieder und immer wieder neu durch.

Lamelle VII
Oder Schelfeis

Felsbrocken aus Styropor, die
im Traum vom Himmel stürzten,
auf den Strand krachten, und alles
um mich zum Zittern brachten, ein
einsames Stehen, die Stille der Seele:
phantastische Show ohne doppelten Boden.
Und am Morgen rattern die Beine,
ist die vergessene Flucht spürbar
Brücke zwischen den Welten.


Ein freischwebender Ton erzählt eine Liebesgeschichte. Musikalisch, ja tänzerisch schieben sich hier die Motive der einzelnen Gedichte fugenartig und unterirdisch verbunden ineinander und lassen uns Leser vom „Ich sah dich und wusste es / würde eine Nacht —” bis zum letzten Gedicht die Geschichte von Annäherung, Trennung und dem was danach noch bleibt, nacherleben:

Alles auf Anfang

Und unter abgerissenen Fassaden noch
verschüttetes Gefühl, das nicht nach außen dringt,
ganz nicht-lebendig, aber längst nicht tot.
Ein Schuttberg Dinge: weise Architexte
aus Kleidern, Briefen und Versandpapier.
Der Berg spielt Zeichen aus und bläst sie in die Tiefe,
doch drunten bleibt es still und kalt.
Beinahe lautlos ist die Wühlmaus dort zugegen,
die kommt dem eigenen Namen heimlich nach.
So was wie Wärme aus Erinnerungen graben,
sich niederlegen und den Zeiger rückwärts
drehen in sein altes Lot, so denkt es sich
dies letzten Endes vielleicht hochbegabte Tier.


Es sind berührende, ja, bisweilen auch sentimentale Texte, die Trompeter hier gelingen, und die den Leser auf eine stille, rhythmische Weise („An deinem Kehlkopf baumelt noch ein letzter Laut, / der sich den Weg zum Wort nicht mehr gebahnt, / nur leises Flattern wie von Wäschefahnen...”) in ihren Bann ziehen. Dabei will es mir bisweilen scheinen, als traute Trompeter der Kraft ihrer Gedichte nicht so sehr, wie sie es tun könnte. Wenn sie etwa typographische Besonderheiten wie Kursive, Sperrungen und Unterstreichungen benutzt, um dem Leser einen Rhythmus oder ein Innehalten vorzugeben, das er auch selbständig gefunden hätte, wenn sie immer wieder einmal Namen (von Hegel über Reinhold Messner bis Lacan) einstreut, als bräuchte sie Gewährsleute, oder glückliche Formulierungen durch hinzugesetzte Erklärungen eher schwächt als stärkt („Und auf der Weiterfahrt nichts, / nur Glaskörperpingpong im Auge. / Ich fuhr tagblind bis Berlin.”)

Auch Aus gekachelten Nestern lässt sich als eine Erzählung lesen, als die Geschichte eines Abschieds von dem Ort der Kindheit, der „Milchpfützen” und „Regeneimer” (auch diese Wortschöpfungen sind stark und schön genug, dass sie ohne typographische Hervorhebung hätten begeistern können) einerseits und der geliebten Großmutter anderseits. Hier wird in zehn Gedichten die Ambiguität eines unwirtlichen Sehnsuchtsortes mit einer Präzision dargestellt, die ein Coming-of-Age-Roman wohl auf 200 Seiten nicht erreichen könnte.

Das letzte Kapitel, Feldforschung, gelichtet, scheint nur auf den ersten Blick allerlei disparate Gedichte von disparaten Orten (die Ruhr-Uni-Bochum taucht auf, die Insel Usedom, Bornholm, Köln und noch mehr) zu sammeln. Sieht man genauer hin, lassen sich von diesen Gedichten immer wieder Beziehungen zu den Gedichten der ersten Kapitel herstellen, so dass man als Leser, am Ende angekommen, gleich wieder nach vorn blättert und dann wieder zurück und in diesen Hin- und Herbewegungen den ganz eigenen Rhythmus dieses Bandes entdeckt.


Julia Trompeter: Zum Begreifen nah. Frankfurt a. M. (Schöffling & Co. Verlag) 2016. 112 Seiten. 18,95 Euro.

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