Direkt zum Seiteninhalt

Jonas Gawinski: Die Nacht wächst schnell nach

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen



Armin Steigenberger


Action Writing. Explodierende Bilder. Raue Notation. „SIC!“



Der im Februar bei der Lyrikedition 2000 erschienene Gedichtband mit dem Titel Die Nacht wächst schnell nach¹ ist das Debüt von Jonas Gawinski: ein bemerkenswert frischer und lebendiger Band mit 48 Gedichten. Dass Jonas Gawinski tatsächlich ernsthaft an einer Einzelveröffentlichung arbeitet, habe ich erst gemerkt, als sein Buch auf meinem Schreibtisch lag. Mir gefiel es sofort, auch wenn ich mal gehört habe, die Lyrikedition-Covers sähen vom Layout her aus wie die Jahresbroschüren eines Aktienfonds. Hier ist es etwas anders, meine ich: das schwarze Feld mit der elegant geschwungenen Autorenunterschrift wirkt konziser und schärfer als das sonst meist farbige Feld. Das Cover ist nüchtern, schwarzweiß und klar. Ich mochte die Lyrikedition-Bände immer schon, und nicht nur rein haptisch.

Vorab sei gesagt: Jonas Gawinskis Band ist unbedingt lesenswert. Nachdem darüber seit Monaten, was die illustre Lyrikgemeinde angeht, nachhaltig geschwiegen wird (ein Schweigen, das rätselhaft ist, ein Schweigen, das sich gar nicht gut anhört ...), möchte ich zumindest einmal bemerken, dass am Lyrikhimmel etwas Neues passiert ist: ein Debüt von einem gerade mal 20-jährigen Autor. Wenn das nicht erstaunlich ist?

Jonas Gawinski ist ein ungewöhnlicher, sehr talentierter Autor. Kennengelernt habe ich ihn zuerst im Netz, als die Lyrikzeitung im März 2014 sein überbordendes „wildes Statement“ (Jinn Pogy) mit dem Langgedicht abdruckte. Ich war begeistert, „das zu lesen ist wirklich eine wohltat.“, lautete das erste Post von wolkenbeobachterin. Und mir ging es genauso: Das war genau das, was ich seit langem vermisst hatte: spontan, nonchalant, expressiv und einfach mal hingeschrieben; eben nicht jene Art von Dichtung, die durch tausend Filter gelaufen zu sein scheint, auf dass sie dünn und makellos werde. Ich glaube unbedingt an Spontaneität in Bezug auf Kreativität, auch weil ich meine, darin liegen große, wenn nicht gar die größten Potenziale. Warum immer alles kontrollieren und einzügeln? Gut ist doch, wenn jemand seinen inneren Beobachter, der ständig alles kritisch beäugt, irgendwie austricksen kann. Und Gawinski hat genau das hinbekommen. So entstanden Gedichte, die auf Anhieb sitzen. Darin allein schon liegt außerordentliche Virtuosität. Man könnte es rauschhaftes Schreiben nennen. Es scheint, als schöpfe Jonas Gawinski aus ebendiesem Reservoir. Die Texte riskieren eine Menge.

Und nun sind alle doch gar nicht so sehr überrascht. Oder sogar ein wenig enttäuscht von dem Gedichtband? Woran liegt das? Wurden die Erwartungen nicht erfüllt? Möchte niemand diesen Band besprechen, um nicht als Negativbesprecher*in eines jungen Debütanten zu gelten? Über Jonas Gawinski wird viel geredet. Über einen Autor, der schon so früh seinen ersten Gedichtband „draußen“ hat, wo andere sich viel länger Zeit lassen, wird naturgemäß immer gesagt, er sei noch zu jung. „Er hätte noch ein paar Jahre warten sollen“. Bei diesem Spruch möchte ich am liebsten entgegnen: Wäre der Autor 70+, würde man ihm bei genau demselben Buch sagen, er habe zu lange gewartet. Immerhin macht das Buch durchweg den Eindruck, als sei ein Damm gebrochen: da „brandet“ etwas regelrecht hervor, was man so eigentlich nicht für möglich gehalten hätte. Daran allein kann man sich erst einmal erfreuen. Kann man das?

Zunächst fällt die unterschiedliche Länge der Gedichte auf, sie sind formal sehr heterogen. Die Verszeilen sind ebenfalls sehr unterschiedlich von der Länge her. Metrische Formen gibt es keine. Bei der ersten Lektüre war ich zunächst ein wenig perplex, fand ich doch rein formal Großschreibung und Kleinschreibung im selben Text vor. Zudem waren da etliche Orthographiefehler, die ich mir nicht erklären konnte. Anfangs war ich mir nicht sicher, kam aber bald zum Schluss, dass es hinzugehört, ja hinzugehören muss: dass also absichtsvoll Orthographiefehler gesetzt werden. Oder wenn nicht absichtsvoll, dann bleiben sie trotzdem absichtsvoll einfach so stehen. Ein Stilmittel, wie es nicht nur in der Werbung von Fastfoodketten und Elektromärkten zum Zwecke der Irritation eingesetzt wird, sondern lange schon Stilmittel der Popkultur ist, als eine Überhöhung der Buchstaben². Ähnlich wie in sehr expressiven Bildern krude Farbverläufe da sind, z. B. herabrinnende Tropfen an den Farbkanten, was den Hauch von Action Painting erhöht. Action Writing? Warum nicht!

Überhaupt wäre Action Writing ein ganz guter Begriff, um sich Gawinskis Gedichten zu nähern. Wo Jackson Pollock der Legende nach mit löchrigen Farbeimern nackt und betrunken über seine Bilder taumelte (wenn er mal nicht gerade mit einer seiner Geliebten beschäftigt war) und ich noch nie einen Grund sah, warum das Ergebnis, so aleatorisch und dionysisch es sein mag, nicht Kunst sein sollte, so sehe ich hier eine skizzenartige Ebene der Zeichen („Scrapbook“), wo Überschreibung usw. praktiziert wird. Gawinski lässt es so stehen. SIC!

Ich denke, SIC! ist der einzige Modus, wie man sich Gawinskis Gedichten nähern, sie rezipieren und ihnen gerecht werden kann. Denn es ist nicht einzusehen, wieso das Lektorat bei einigen orthographischen Bagatellen, wie sie beispielsweise auch beim Lyrikpreis München von der Jury öffentlich bemängelt wurden, keinerlei Niederschlag in den Texten gefunden haben sollte. Zeit dafür muss in den vier Monaten ausreichend gewesen sein. Somit kommt ein Moment des Zufalls mit in die Texte, man hat hier genau das Gegenteil von zu Ende gefeilten Texten. Es scheint, als blieben absichtsvoll „falsche“ Elemente einfach stehen. Es ist wirklich erstaunlich, inwieweit auch Groß- und Kleinschreibung variieren darf.

Ich neige – das ist ein seltsames Phänomen – beidem gleichermaßen zu, ich mag Texte, die ob des Grades ihres Zu-Ende-Gefeiltseins verblüffen, und ich mag Texte, die stürmisch und roh sind, wo man noch nicht mal die Lust verspürt, Buchstabendreher usw. auszumerzen. Die Flüchtigkeit, ja die Sichtbarmachung der flüchtigen Entstehung sind hier der Reiz. Man erkennt dennoch auf den zweiten Blick, dass die Gedichte nicht nur „mal schnell“ auf das Papier gehuscht worden sind. Auch wenn ich einem Arbeitsethos nie dahingehend den Vorzug gebe, dass Texte durch viel sichtbare Arbeit besser werden müssen, da es auch diejenigen Autoren gibt, die das ganz anders machen, also ihre Gedichte geraume Zeit im Kopf mit sich herumtragen, sie zwischendurch nur flüchtig notieren oder die eigentliche Arbeit mittels Überschreibungen o. ä. leisten. Oft ist Flüchtigkeit genau die Qualität. Das Unfertige hat derzeit sowieso Konjunktur. Das, was am Ende auf dem Papier steht und/oder vorgetragen wird, muss überzeugen. Wie es dazu kommt, interessiert (mich) nicht so sehr. Hier wird aber nicht sichtbar überschrieben und die Arbeitstechnik sichtbar gemacht, sondern Gawinski schreibt es hin und fertig. Vermutlich hat er es schon fünfmal wegradiert und am Schluss steht es dann so da, wie es da steht. Es ist nicht im mindesten konsequent, manche Verse beginnen klein, manche groß. Und ich denke mir immer wieder: Ja, warum denn eigentlich nicht? Warum nicht genau so? Warum eigentlich muss das (für den Leser?) immer ein schlüssiges System sein? Das dann doch wiederum den Nachteil hat, als gewollt und somit als sturer Manierismus auszusehen, als Ma(s)che. An dieser Stelle kann ich dem Autor nicht in die Karten schauen, was daran gewollt oder ungewollt ist. Ungewollt ist möglicherweise ein Stichwort.

ein Altweibersommer

niemand weiß.
in der Weinrosengasse,
die Gärung meiner Selbstsucht
unter der rötlichen Milchsonne,
ein Baby weinte
einer wurde erschossen
war ich das weinende Baby,
war ich das Projektil.
verflüchtigte Tinktur, Ignoranz
es gibt ein Wort für die Versklavung meiner Wünsche.
Nocturnalie.
es wird mit verrotteten Lilien gedealt.
spät am Mittag. versungene Szene
ins Verblassen geriebene Stille
eines ungewollten Gedankens.
Das Telefon weint wieder.
ich hab am Rand gelebt.
Auf der anderen Seite
durfte man noch träumen.
ich bin nicht
was ich gewesen sein werde.


Vermutlich hätte jede Schreibschule dem Autor angeraten, die letzten vier Verse zu streichen. Wo sich der erste der beiden Sätze noch gewissermaßen süßlich und esoterisch anhört, ist der zweite so ein Denk-Abkömmling des 19. Jahrhunderts, wo Rimbaud, Nietzsche, Freud u. a. anklingen, einfach nur einen Zacken weitergedreht ins Absurde. Es bildet allerdings eine schöne Klammer zum anfänglichen niemand weiß. Wenn man genauer hinschaut, sind die einzelnen „Partikel“, aus denen sich das Gedicht zusammensetzt, bei aller vermuteten Flüchtigkeit auch sehr vielschichtig. Die rötliche Milchsonne muss man nicht mögen, auch das weinende Baby nicht, das indes in der Zusammenschau mit dem weinenden Telefon mindestens ungewöhnlich erscheint. Ist der Gedanke ungewollt? Oder das Baby? Welche versungene Szene eigentlich? Und wer ist das Ich? Texte wie ein Altweibersommer fand ich bei der Erstlektüre grandios, allein schon aufgrund der rauen „Notation“.

Aus dem Gedicht

Kannst du wieder das Mädchen sein?

(…) Weckst du mich
wenn ich zum Brunnen schlafwandle um deinen Namen
aus der Tiefe zu ziehen? Deinen Namen der in meinen
Händen hängt wie der Kadaver eines klaffenden Lamms?
(...)


Gawinski hat kein Problem, Konkretes und Abstraktes zusammenzubringen, wovon man in Schreibschulen und Workshops ja standardmäßig abrät. Was man sich eher fragen muss, sofern die Texte dahingehend Konzept sind, wie sie mit der (und das muss ich nach der Lektüre konstatieren) doch eher konservativen Poetik zusammenpassen? Nur hier tut sich für mich ein Konflikt auf. Also, was die Texte mit ihrer progressiven Schreibung mir im Endeffekt inhaltlich „verkaufen“ wollen.

Die Maserung dieser Tage

Wie friedlich wir jetzt sind,
Bonbonpapier weht über weißestem Sand,
die Lehmhäuser verdampfen (...)


Ich würde sagen: im Herzen ist Jonas Gawinski Romantiker. Es ist darin alles zu finden, was romantisches Repertoire ausmacht – Herbst, Nebel, Sterne, Wolken und überhaupt viel 19. Jahrhundert. Es kippt teils schon in den Symbolismus unter einer dünnen Haut modern(istisch)er Sprache, die auch mitunter eine l’ecriture automatique-Handschrift trägt. Eine Dichtung, die in ihrer improvisierten oder (ich würde mich sogar trauen zu sagen:) fabulierten Poesiewelt teils atemberaubend und gleich daneben mitunter auch bisweilen atemberaubend banal erscheint. Ein paar Mal saß ich da und verstand einfach den Aufwand nicht, den Jonas Gawinski an manchen Stellen betreibt, warum das alles so laut und mit so einer pathetischen Wucht und, so wie ich es lese, zumeist komplett ironiefrei gesagt werden muss. In diesen Momenten hatte auch ich das Gefühl, der Band hätte noch etwas besser „durchreifen“ können. Wo es beispielsweise um Liebe geht, sind es die Empfindungen eines Jugendlichen – wie auch anders? – also Eifersucht, Trennung, Verlassenheit, Schmollen: das ganze Programm. Jemand hat geäußert, ihm sei das alles zu pubertär, wie Gawinski es vorträgt. Ja! Nein! Gawinski fabriziert einen überbordenden Bilderreigen, der mir assoziativ, hochspontan und psychedelisch vorkommt.


es wird mit verrotteten Lilien gedealt.


Das sind solche Bilder, die mich im Buch immer wieder faszinieren. Manchmal klingen sie fast wie frisch aus dem Amerikanischen übersetzt. Man weiß nicht, wo er sie hernimmt. Man weiß auch nicht, wie das zusammengehört, aus welchen Quellen all das in einen Text zusammenfließt. Aber es findet beim Lesen für mich sofort zusammen. Und bei guten Texten weiß man es nie, und – ja, genau! – das macht ja den Reiz aus. Dieses Erlebnis hatte ich beim Lesen häufig, und ich bin Jonas Gawinski sehr dankbar dafür.

Da ich selbst einen weniger inhaltlichen als sprachlichen Ansatz habe, d. h. die Wortkaskaden, die Gawinski baut, primär als Action-Writing-Fluss lesen kann, oder als reinen Klangfluss samt allen rhythmischen Raffinessen, habe ich bei der Lektüre immer wieder große Freude. Das meiste scheint erst in der Sprache dagewesen. Und habe sich sozusagen auf diese Art seinen Inhalt erst geschaffen. Einiges wirkt dennoch „aus dem Inhalt selbst geboren.“

menage

Ich möchte dich ein allerletztes Mal
verschwinden sehen in den Rapsfeldern,
dich verschwimmen sehen wie
einen Bleistiftstrich im Regen, dein Kleid
aufflackern sehen in diesem verrauchten
Fischerdorf bei Marseille.
(...)


Das Buch hat gewaltigen Zug, auch wenn ich inhaltlich an manchen Stellen oft nicht viel verstehe. Es geht glatt runter, ich glaube das alles und glaube gleichzeitig kein Wort – ein Erlebnis, das ich anders nicht beschreiben kann und zum ersten Mal bei diesem Autor hatte. Wie geht das? Die Gedichte sind so massiv wie sie fragil sind. Sie sind sosehr in Stein gemeißelt wie sie flüchtig sind. Ich erkenne einen „barocken“ Sprechdrang in vielen Worten und neben der inhaltlichen Schwere steht große Leichtigkeit. Manchmal nähert sich eine Metapher verdächtig nahe der Kitschgrenze oder scheint in die Klischeefalle zu geraten, das manifestiert sich in Wortbildungen wie kalten Zehen auf warmem Apfelholz oder (…) fließt Holunderblut aus / meinem alten Füllfederhalter (… ), schwimmt ein Gewitter durch meine Augen, … eine milchige alte Sonate aus dem Radio, / (…) mein Mund, eine angeschwollene Wortlosigkeit (…) Ich habe auch gehört, dass Bob Dylan
³ teils sehr krude Metaphern verwendete. Wo Gawinski auch Anklänge an Popgrößen wie Bob Dylan bringt, frage ich mich, inwieweit es mehr sein kann als eine Reprise, wobei der Beatnikgestus, der dabei gelegentlich aufschimmert, auch gebrochen wird. Aus dem Gedicht undundund:

(…) aus
den Cafés dampfen Skizzen
wir werden zunehmend unglücklicher,
wenn wir uns nicht sehen, weshalb wir
trinken und rauchen und ficken und tanzen
und uns lieben und so tun als
wäre das alles.


Nicht nur in diesem Gedicht gibt es eine Sehnsucht nach einer Welt hinter dem Materiellen. Als existiere zumindest die Skizze einer idealeren Welt. Vieles hat geradezu illusionären Charakter: Motive, Stimmungen, Gegenstände tauchen auf und verschwinden wieder, allerhand dei ex machina (oder ex machinis?), die mal da und gleich darauf wieder weg sind. In Gawinskis Gedichtband glaubt man den Bildern und Metaphern einfach trotzdem, vermutlich weil es unterm Strich stimmt und zudem etwas „lostritt“ an Emotion usw., und ich nicht bemerke, dass ein Bild physikalisch oder sonstwie gar nicht möglich ist. Die Bilder fangen an zu flackern, der Wechsel passiert oft so schnell, dass ich ab und zu das Gefühl nicht loswurde, es werde einem durch die geschlossene Gedichtform eine Geschlossenheit vorgegaukelt, die nicht gegeben ist. Wir spielen Verstecken in schnell verfallenden Bildern / aus Sekundenkleber und Sand, heißt es im Gedicht Le Havre weint. Auch wenn sich der Autor im Wort surreal nicht wiederfinden mag: In dem scheinbar beliebigen Spiel aller Gegenstände und auch in ihren Narrationen sind seine Dichtungen sehr traumartig.

Im Herbst schließe ich die Fenster und die Möbel
blühen dunkel und feucht.
Moos, Silben, Beine bleiben
Gebet, das Heuschreckensummen in deinen Zehenspitzen bleibt.


Bei Gawinski gibt es Texte, wo ich Gefühl habe, dass das Gedicht am Ende schon vergessen hat, wie es anfing, was neben den semantischen auch syntaktische Auswirkungen hat. Das kann auch sehr reizvoll sein. Es ist in diesem Ausmaß für mich neu, dass Texte nicht perfektioniert und konsequent durchgehalten werden. Gawinski ist nicht konsequent. Das finde ich großenteils sehr sympathisch. Ich hatte bisher nur bei Farhad Showghis Gedichten ab und zu das Gefühl, dass die Texte ganz woanders aufhören als sie beginnen, also sozusagen mit sich selbst davon treiben, und finde es charmant, wenn ein Text sich in sich selbst verirrt und verliert; wo auch grammatikalisch ein Text am Ende gar nicht mehr weiß, wo er angefangen hat. Der Text scheint stoned zu sein. Zur Poetik von Jonas Gawinski [http://poemie.jimdo.com/nahbellpreis/preistraeger-portraits/16-nahbell-preis-2015-jonas-gawinski/] im zugehörigen Interview wird der Autor als sexuell, politisch und kulturell durchtränkt dargestellt. Er spricht dort unter anderem über die Notwendigkeit, mit der (seine) Gedichte entstehen müssen.

Irgendwo weit abseits der Sinatra singenden Gullis
würde eine Ruhe warten
eine gepeitschte, unersättliche Ruhe,
in der die Mädchen Mädchen sein könnten,
wo ich kein Dichter sein müsste (...)


Man spürt es bei ihm an der Kraft, am Gestus, dass es keineswegs beliebig ist, dass er auch kein „Zweifingerlyriker“
ist. Es hat ungeheure Wucht. Das sind Gedichte, die ich so noch nicht gelesen habe. Seit Wochen versuche ich mir selber zu erklären, wie das geht. Vieles bleibt rätselhaft.

ich weine und niemand ist da,
der mit mir verrückt wird
und zurückkehrt ins Rätsel.


So komme ich am Ende wieder zurück auf die Sehnsucht, die ich in vielen Gedichten Gawinskis spüre und die mir als Leser unzugänglich scheint. Auch die muss man wohl einfach so stehen lassen.


¹ Der Titel kommt einem bekannt vor. Es finden sich Zitate wie Die Nacht wächst mit jedem halben Monat eine halbe Stunde (Goethe), Die Nacht wächst wie eine schwarze Stadt (Rilke), Die Nacht wächst wie eine schwarze Stadt, wo nach stummen Gesetzen sich die Gassen mit Gassen vernetzen (...) (Robert Walser)
²
Z.B. bei Musiktiteln wie Coz I luv you der 70er-Jahre-Band The Slade u.v.a.
³  
Immer wieder hat der Autor erklärt, dass Bob Dylan ihn sehr inspiriert habe.
Begriff von Markus Hallinger.


Jonas Gawinski: Die Nacht wächst schnell nach. Gedichte. München (Allitera Verlag - Lyrikedition 2000) 2016. 60 Seiten. 9,50 Euro.

Zurück zum Seiteninhalt