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Jerome Rothenberg: Robert Duncan - Ein Denkmal

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Jerome Rothenberg

Robert Duncan: ein Denkmal
übersetzt von Günter Plessow


Ich begegnete Robert Duncan 1959 zum ersten Mal. San Francisco war seine Stadt und blieb es, damals aber lebte er in Stinson Beach, ein Stück weiter küstenaufwärts. Davor hatten wir etwa ein Jahr lang korrespondiert, wiewohl ich ein Dutzend Jahre jünger war und sehr wenig publiziert hatte. Ferlinghetti’s City Lights waren dabei, mein erstes Buch herauszugeben, New Young German Poets (einen Band mit Übersetzungen), und diesen Sommer waren Diane und ich zum ersten Mal nach San Francisco gekommen.  Wir liefen ihm im City Lights Bookstore über den Weg –– dort war gerade eine Art Fotositzung im Gange –– und ein paar Tage später fuhren Diane und ich nach Stinson Beach und griffen Robert auf, der per Anhalter unterwegs war.  In diesem seltenen Moment trug er einen Bart, so wie Jess, und wirkte in meinen naiven Augen ein bisschen wie der 40-jährige Whitman. (Jess sah damals seltsamerweise wie ein jugendlicher D.H. Lawrence aus.)  Es lag ein Gefühl von Zauber über allem: über ihnen selber, ihrem Haus und Garten, den Büchern, die sie lasen, den Gemälden und Collagen, die Jess gerade machte, dem Grunion (Fisch), der jene Nacht lang die Küste bestürmte, den Meteoriten, die aufblitzten am Nachthimmel, und einem Mahl (Diane erinnert mich) reich gewürzt mit Sauerampfer und Zitronen und Kresse aus ihrem Garten. Ich fühlte mich auf magische Weise in eine Welt versetzt, die seine Gedichte entwerfen.
    Es war, wie mir jetzt klar wird, ein Wendepunkt für mich sogar im Sinne einer Transformation, zu der die beiden zuallererst beitrugen. Ich hatte wie andere auch zuhause herumgehangen, als Person und als Dichter, und Robert zeigte mir auf eigene Weise die Möglichkeit einer unabsehbaren und auf keiner Karte verzeichneten Domäne der Dichtung –– und noch etwas.  Mit unglaublicher Leichtigkeit und Bereitschaft bezeichnete er sich selbst als “belesen” und “nachahmend”, wobei er diese Worte aus den akademischen Bindungen befreite, in die ich sie gefesselt hatte. Er sprach leidenschaftlich, denn das war er damals zumeist, von Williams und einer poetischen Linie, in einem Atemzug.  Außerordentlicher noch versetzte er “Romantik” und “Gnosis” zurück in die Welt gewöhnlicher Dinge –– ein Verschmelzen in die etwas zu flapsigen Begriffe von Anaheim und Disneyland, wie David Antin später feststellte. Im Austausch für Paul Celan, auf den ich ihn damals als erster brachte, führte er mich ein in Gershom Scholems Sicht der Kabbala und die Weisheit der “alten Juden”, und er spürte, bevor es sonst wer tat oder gar ich selber,  daß ich mich in diese Richtung bewegen würde.

Was er damals weitergab und später auch –– bei allen Stimmungs- oder Wetterwechseln –– war eine geistige Generosität oder, genauer, eine Poetik des Geistes, selbst dort, wo diese Generosität ins Schwanken zu geraten schien. Es war ein erkenntnisvolles Insistieren auf Spirituelles in der Kunst, wie auch Kandinsky es gekannt haben mochte: ein inspiriertes Anmahnen dessen, was Kunst und Poesie immer noch sein könnten, eine Vision –– unter anderen von Whitman und Dante — einer totalen Universalität, die alle einzelnen Individuen und Arten einbezog und  über sie hinausging.
    Die Sprache, in der er dies alles sagte, wirkte manchmal wie pure Parataxe. Eine bockspringende Redeweise, die dauernd Ausschau hielt nach Verbindungen –– als werde eine seltene Form von Collage in die Welt der Konversation eingeführt.  Soweit seine Deutlichkeit Überzeichnung einschloss, war es gut so und ein essentieller Teil seines Wesens. Dennoch war die Sprache seiner Gedichte und Essays, alles in allem eine edle und veredelnde Sprache –– eine Position, die er willens war, so zu vermitteln wie nur wenige andere unter uns:

Oft ist mir erlaubt, zu einer Wiese zurückzukehren,
als wäre sie ein gegebener Besitz des Geistes,
der gewisse Bande festhält gegen das Chaos,

das ist ein Ort der ersten Erlaubnis,
ewigwährendes Omen dessen, was ist.
         
Eine nobilitierende Sprache, und eine, die zur gleichen Zeit (durch das, was er “Mut zu täglichem Tun” nannte) der Schöpfung einer neuen und “natürlichen” Maßstäblichkeit zustrebte.
    Robert Duncan war letztlich ein Dichter enormer Mittel und Komplexität –– einer der letzten, die kosmologische Poetik auf die Probe stellen als “Modell des Dichters” , wie Michael Davidson ihn beschrieb, “für den alle Realität ins Gedicht eingehen kann.”  Als solcher war (machte er sich) zu einem Menschen und Dichter, der vielfachen Einflüssen gegenüber offen war, der ein Gespür für die eigene Herkunft entwickelte und bekundete, um andere frei zu machen, dasselbe zu tun. Man denke nur an die bemerkenswerte Liste von Vorläufern –– und Zeitgenossen – die seine Essays füllten oder durch Collage und Paraphrase in seine Gedichte gelangten.   

“Ezra Pound, Gertrude Stein,  James Joyce, Virginia Woolf, Dorothy Richardson, Wallace Stevens, D.H. Lawrence, Edith Sitwell, Cocteau, Mallarmé, Marlowe, St. John of the Cross, Yeats, Jonathan Swift, Jack Spicer, Celine, Charles Henri Ford, Rilke, Lorca, Kafka, Arp, Max Ernst, St. John Perse, Prevert, Laura Riding, Apollinaire, Brecht, Shakespeare, Ibsen, Strindberg, Joyce Cary, Mary Butts, Freud, Dalí, Spenser, Stravinsky, William Carlos Williams, John Gay … [und] bunt durcheinander: Euripides und Gilbert. The Strawhat Reviewers, Goethe (seine Autobiographie. Faust habe ich nie gelesen) und H.D.”

So lautet eine Liste in seinem Essay aus dem Jahre 1953, “Seiten eines Notizbuchs,” dasselbe Schriftstück, auf dem er uns mitteilt, unvergesslich:  “Ich mache Poesie wie Andere Krieg oder Liebe oder Staaten oder Revolutionen: um meine Fähigkeiten auszuüben im Großen.”  Es ist die Art Feststellung, für die man ihn kannte und liebte –– die Art Feststellung, die durch ihren Wagemut und weil seine Poesie es selbst erwiesen hatte, ihn den Visionären zugesellte, denen er sich selber zugehörig wusste.  Und diese Gesellschaft konnte damals in jede Richtung erweitert werden –– nobel und bescheiden –– hin zu der größeren Tafelrunde des großen Ganzen, die er vorhergesagt hatte in seinen späteren „Riten der Teilnahme“, die er sich formieren sah in unserer Zeit.

So war er denn ein Dichter (sogar ein großer Dichter), der –– wie Whitman vor ihm –– sein eigenes Leben schuf als Dichter. Im Hinblick auf diesen Schöpfungsakt waren ihm die Stadien (der große Entwurf), die ein Leben wie das seine durchmachte, sehr bewusst, und uns machte er sie bewusst.  Daß er sich aus der Öffentlichkeit zrückzog, ein fünfzehnjähriger Hiatus, den er 1969 ankündigte, war nur ein Aspekt davon, ein andere die Voraussage, daß seine letzten Jahre dem Delirium und deliriöser Senilität gehören würden, und daß ihm (ach) einige Jahre kränklicher Hinfälligkeit bevorstünden.  Daß eine kritische Resonanz auf sein Ground Work I: Before the War so gut wie ausblieb, war, nehme ich an, so nicht vorauszusehen –– und sollte ihn unter jene großen Dichter versetzen, deren Lebzeiten nicht ausreichten, um ihm den Beifall zu geben, den ihm eine Nachwelt zubilligen würde.  Doch gerade diese Nicht-Würdigung wurde zum Anlass überströmender Verehrung für Dutzende Zeitgenossen, die darin übereinkamen, ihm einen National Poetry Award  für Ground Work I und für seine lebenslangen Verdienste zuzusprechen.  

Für jemanden, der in Begriffen von Lebensmustern denkt, von großen Lebensentwürfen, nimmt das Spätwerk eines Künstlers eine besondere Bedeutung ein.  Bei Robert Duncan ist das abschließende Werk –– Ground Work II: In the Dark ––, wie wir jetzt sehen können, gezeichnet nicht nur von Ruhe, sondern von ominösen Vorwarnungen/Konfrontationen mit Krankheit und Schmerz, –– für ihn, der sich einmal als Meister eines Lebenszaubers gesehen hatte, gab es immer (erzählte er mir einmal) eine mächtige Hand, die ihn bereitwillig dem Desaster aus den Fängen riss. So reflektiert er in einem dunklen Abschnitt der “Passagen”-Sequenz:  “In Blood’s Domain” den Tod durch Krankheit bei früheren Dichtern:

           Der Engel Syphilis im Umkreis der Zeichengebenden    läßt seine Heere los,     auszuschwärmen
               den Stamm des Seins emporzusteigen    bis zum Haupt
                                                                            Baudelaire, Nietzsche, Swift
               sind nicht in den Tod entlassen
                                                                 in die Auflösung des Ichs und seiner Regeln im Hirn.

Dasselbe Gedicht endet:

          Welcher Engel     welches Geschenk im Gedicht,     hat in meinen Körper          
                    diese Krankheit des Lebens gebracht?      In eben dieses Gloria des Lebensthemas und seiner                                                                                                                                                  Veränderungen
                         ein eigenes Gegenstück zu Baudelaires furchtbarem Ennuie?

Ground Work II endet –– denn er lebte, um es zu Ende bringen zu können –– mit dem einen Gedicht, nachdem die Krankheit seinem Leib den letzten Schlag versetzte, und mit der Betrachtung auch der Verwüstung von Verstand und Geist, die er bereits mitgemacht hatte.  Er las es uns vor, kurz nachdem er es geschrieben hatte –– es schloss die Hoffnung ein, es sei ihm vergönnt, noch weiter zu schreiben.  Er tat es nie mehr, als ob der Todesengel den schönen Optimismus seines Lebens und seiner Sehnsucht, es intakt zu verlassen, zu widerrufen vorhatte.  Doch als ich ihn zum letzten Mal sah –– einen Monat vor seinem Tod –– zusammen mit meiner Frau Diane und Jess und Michael Palmer, wurden die beiden Stunden am Krankenbett zum größten Teil lachend und scherzend verbracht, wie um uns zeigen, daß er nun diese unverschämte und komische “Senilität” erreicht, die er vorausgesagt hatte. Und ich musste (für mein Teil, wahrscheinlich nicht für seinen) denken, daß das richtig war –– daß wir bei dieser Gelegenheit nur lachen konnten, Tod und Gott zum Spott. Jenem Tod und jenem Gott, die ein und derselbe sind.

GP, ein Versuch, beendet am 31.5.2019
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