Jane Wels: Das Es reiten
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Florian Birnmeyer
Janes Wels: Das Es reiten. Gedichte. Dortmund (edition offenes feld) 2025. 92 S. 19,00 Euro.
Jane Wels – Das Es reiten
Jane Wels gehört inzwischen fest zur deutschen Lyriklandschaft. Nach ihrem Debüt Schwankende Lupinen (edition offenes feld, 2024) ist 2025, nur ein Jahr später, ihr zweiter Band, Das Es reiten, im unabhängigen Dortmunder Verlag von Jürgen Brôcan erschienen. Wels, 1955 in Mannheim geboren und seit langem im Nordschwarzwald zuhause, studierte Entwicklungspsychologie, Pädagogik und Medienwissenschaften. Sie arbeitete viele Jahre in therapeutisch-pädagogischen Berufen, bevor sie in Zeitschriften und Anthologien veröf-fentlichte und schließlich ihren ersten Lyrikband vorlegte.
Schon der Titel Das Es reiten weist die Leserinnen und Leser auf ein zentrales Motiv hin: eine Reise ins Unterbewusste, in jene Zonen des Bewusstseins, die wir im Alltag ausblenden, das, was die klassische Psychoanalyse „Es“ nennt. Doch wer dieses Buch aufschlägt, legt sich nicht auf die Couch. Wels lädt vielmehr zu einer sinnlichen Erkundung jener inneren Räume ein, deren Impulse und Begierden im geregelten Tagesablauf keinen Platz haben.
Ihre Gedichte arbeiten nie mit dem Vorschlaghammer. Sie
montieren Bilder in einer feinen, oft überraschenden Art, so-dass aus scheinbar
unvereinbaren Elementen etwas Neues entsteht, etwas Eigenes, Stimmiges.
Inspiriert sind diese Texte nicht nur von Kunst und Musik, sondern auch von
Rhythmen, Tönen, kleinen Alltagsbeobachtungen, von auf-geschnappten Worten und
Klängen. Besonders deutlich wird das im Gedicht „Für Maria Lassnig“:
Das lyrische Ich jonglierteinen fünfhebigen Jambusin die Senkungenströmen Böen der Stärke 7 bis 8,durch die getaktete Zeitrankt eine Monsterosa deliciosaihre Sehnsucht ans Fenster,luftwurzelt nach einem Urwaldriesen,längst brandgerodetim Dschungel Südamerikas,wo fliegende Flüsse verdurstenund Maria mit einem Tiger schläft.
Hier verdichtet sich vieles, was
diesen Band auszeichnet: das Ineinander von Klang, Bild und Wort; das tastende
Schmecken von Silben; das Neujustieren von Bezügen. Wels schreckt nicht vor
kindlich anmutenden Lauten wie „Üüüh“ zurück, genauso wenig vor Einschüben wie
„Imagine, you are the Oos“ oder „Are you German“. Ebenso selbstverständlich
stehen Begrif-fe wie „Grisaille“ oder „Pas de deux“ daneben, Anspielungen auf
Yellow Sunshine oder Emil Sinclair inklusive.
Es entsteht ein Eindruck
kontrollierter Spontaneität, spontan gesetzter Kunstfertigkeit. Die Texte
nehmen sich selbst nicht zu ernst, bleiben aber weit entfernt von bloßer
Ironie. Sie wollen etwas – sie wollen Sinnlichkeit behaupten, poetische
Lebenshaltung, die Möglichkeit, in der Sprache einen Ort für Existenz zu
finden, auch wenn dieser Ort im gesellschaftlichen Alltag meist Nische bleibt.
Vielleicht braucht es tatsächlich ein Wunder, damit sich das ändert.
Wels ist eine Kämpferin für die
Lyrik, und so treten in vielen Texten Großkatzen auf: Tiger, Panther, dunkle,
rätselhafte Wesen, die Macht und Präsenz ausstrahlen, fast ohne Handlung.
Daneben stehen die zarten Geschöpfe, die filigranen, die in den Gedichten
häufig mit dem französisch benannten bleu verbunden sind, als Erinnerung
an klassische Dichtung:
Sei mein Blaumeisenschwarm,mein Bauchdeckenzittern,dem ich mich hingeben will,sei meine Buhlschaft,Irrlicht der späten Jahre,sei mein Du.
Diese kleinen Wesen markieren das
fragile Gegenüber, das „Du“. Das lyrische Ich dagegen trägt Größe, Einfluss,
Macht – was zugleich immer auch Einsamkeit bedeutet. Ein „lonely wolf“, der
zuweilen in Gewaltfantasien kippt:
Ich willden Winter niederbrennenalle Schleier des Körpers ablegen,mit einem tasmanischen Baumfarn leben.Wild, wild, wild sein,im Blütenstand meiner Fesseln,will ich.
Da ist dieser Wille – kraftvoll,
drängend: „Ich verrenne mich in dir, / solange ich will.“ Und gleichzeitig eine
Verspieltheit: „Heute ist Ich / eine Oortsche Wolke.“ Wie in vielen modernen
Gedichten sind die Vögel Sehnsuchtsfiguren, Idealbilder: etwa der Schwan, der
„zweimal pro Sekunde“ mit seinen Flügeln schlägt.
Überhaupt spielt das Ideal eine
zentrale Rolle, das Ideal des Textes, der Poesie, des bleu, des Klangs,
der Grisaille, in der das Ich sich verlieren möchte. Wie wäre eine Welt,
in der wir alle Ideal sein könnten? Vielleicht erlaubt uns dieser Gedichtband,
für einen Moment die Wirklichkeit abzulegen, den Alltag zu vergessen und
schlicht zu sein. Und das ist bereits schön.